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ALLE PROBLEMATIK, die mit Gottesdienstübertragungen im Fernsehen zusammenhängt, und über die schon wiederholt berichtet wurde, trat bei der Übertragung des Reformationsgottesdienstes aus der Lutherischen Stadtkirche in Wien wieder zutage: die vielen Blicke auf die andächtige Menge — darunter einige geradezu peinlich wirkende Großaufnahmen —, das merkbare Streben nach Bildwechsel und Bildbewegung machten das besonders deutlich. Dabei kann die Bedeutung solcher Übertragungen nicht hoch genug eingeschätzt werden; aber gerade darum erschiene jede Bemühung um eine angemessene Femsehgestaltung, jeder Versuch, neue und bessere Wege zu finden, gerechtfertigt.

WIE WENIG man sich beim Österreichischen Femsehen um das Auffinden wirklich fernsehgemäßer Sendungsformen bemüht, zeigt auch die Sendereihe „Christ in der Zeit“. Unbekümmert hält man an der einmal gewählten Art fest, und nicht der geringste Versuch wird unternommen, um andere, dem Fernsehen gemäßere und wirkungsvollere Gestaltungsweisen zu finden. Aber auch vom Inhaltlichen her verliert man manchmal allzu sehr die Verbindung mit dem Grundthema „Christ in der Zeit“. Unter den Sendungen der letzten Zeit kann lediglich die über die Missionsarbeit als beispielgebend hervorgehoben werden. Der neue Sendetermin, Sonntag spät abends, ist zweifellos günstiger als der frühere; allerdings ergibt sich dabei nicht selten ein merkbarer Bruch in bezug auf die vorhergegangene Sendung. Läge aber nicht gerade hier dann und wann eine Möglichkeit, die Zuschauer besonders stark anzusprechen und dem Gedanken „Christ in der Zeit“ besonders nahezukommen? Indem nämlich auf die vorhergegangene Sendung Bezug genommen wird, indem aus ihr, ja vielleicht aus dem ganzen Abendprogramm, das Thema der Sendung ganz zwanglos erwächst.

WENIG ÜBERZEUGEND sind auch oft die Sendungen der Reihe „Kleine Kostbarkeiten großer Meister“, Die Sendung über die Volksliederbearbeitung Ludwig van Beethovens Heß es besonders deutlich werden: Hier geht es ausschließlich um ein akustisches Phänomen, und alle Bemühungen des Regisseurs um eine bildliche Untermalung müssen ins Leere gehen. Die vielen Bilder können nur eine Teilung der Aufmerksamkeit des Zuschauers erzwingen und lenken vom Wesentlichen, der Musik, ab. Nur selten wird es möglich sein, die Sendung so zu gestalten, daß Bild und Ton eine ursächlich bedingte Einheit bilden. Eine bebilderte Rundfunksendung aber könnte man im Fernsehen vielleicht doch entbehren.

VÖLLIG VORBEIGEGANGEN ist man an den Möglichkeiten des Fernsehens mit der Direktübertragung aus der Hauptwahlbehörde. Das lag keineswegs daran, daß die Wahlergebnisse so unerwartet rasch eintrafen; man hatte überhaupt nichts unternommen, um dem Zuschauer eine Fern s e h-sendung zu bieten. Eine einfallslose Kameraführung zeigte fast ausschließlich den Zahlen verlesenden Sprecher. Die einzige Tabelle, die es gelegentlich zu sehen gab, war — jedenfalls für das Fernsehen — ein Muster an Unübersichtlichkeit. Vor etwas mehr als einem Jahr haben wir auf ein Beispiel verwiesen, das zeigte, wie man eine solche Sendung machen kann. „Hoffentlich“, schrieben wir damals, „haben die zuständigen Fernsehleute auch zugesehen.“ Sie haben nicht.

DIE PROGRAMMHÖHEPUNKTE der letzten Zeit lieferte vorzugsweise der Westdeutsche Rundfunk; beispielsweise mit einem Film der Bavaria-Atelier-Gesellschaft: Er brachte eine ganz bezaubernde Aufführung der Komödie von Jean Anouilh: „Cecile — oder die Schule der Väter.“ Die Inszenierung durch Hans Dieter Schwarze traf den heiterironischen Ton — hinter dem sich manch ernste Gedanken über menschliche Schwächen verbergen — genauso wie die entzük-kende Ausstattung von Elisabeth Urbancic. Das Ensemble (Grit Böttcher, Loni v. Friedl und Karl-Heinz Schroth seien vor allem genannt) stellte sich mit Charme und Ambition in den Dienst der Sache und trug so wesentlich zu dem erfreulichen Gesamteindruck bei.

BESONDERS GEEIGNET für eine Fernsehbearbeitung erscheint die Romanze von Max Frisch, „Santa Cruz“, die in einer Inszenierung des Westdeutschen Rundfunks zu sehen war. Die Art, wie Imo Mosz/cowicz als Bearbeiter und Regisseur die beiden Ebenen, auf denen das Stück spielt, hart aneinander-setzte, ist eine von den Möglichkeiten, die das Fernsehen hier bietet, und die es dem Theater voraus hat. Ob es die beste war, läßt sich ohne einen praktischen Vergleich wohl kaum beurteilen. Jedenfalls war sie durch die Art, wie sie die geistige Mitarbeit des Zuschauers herausforderte, sehr eindrucksvoll. Ganz hervorragende schauspielerische Leistungen (in den Hauptrollen Eva Zilcher, Werner Hinz und Pinkas Braun) und die stilgerechten Szenenbilder von Gerd Richter machten die Inszenierung zu einem starken Erlebnis.

FERNSEHSPIEL nannte sich das von dem bekannten deutschen Bühnenautor Karl Wittlinger verfaßte Stück „Seelenwanderung“. In Wahrheit war es jedoch ein Fernsehfilm der Bavaria-Atelier-Gesellschaft, und es war auch durchaus mit filmischen Mitteln gestaltet, mit Mitteln, die dem Fernsehen in seiner Funktion als eigenständiges Medium zum Teil nicht zur Verfügung stehen. Abgesehen von diesem Mißbrauch des Wortes „Fernsehspiel“ war die von Rainer Erler für den Westdeutschen Rundfunk besorgte Inszenierung ganz vorzüglich. Wie hier mit trockenem Humor an den (kranken) Lebensnerv unserer Zeit gerührt wird, ist nicht nur echt Wittlinger, sondern sollte auch Anlaß zu sehr ernster Besinnung sein. Für die in die Tiefe gehende Überzeugungskraft dieser Aufführung waren neben dem Autor und dem Regisseur auch eine Reihe hervorragender Darsteller maßgebend, von denen nur die Träger der beiden Hauptrollen, Hanns Lothar und Wolfgang Reichmann, genannt seien. Daß das Stück bei der diesjährigen Tagung der Europäischen Rundfunk- und Fernsehunion mit dem Prix Italia ausgezeichnet wurde, ist als berechtigtes äußeres Zeichen seiner Bedeutung anzusehen.

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