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Nicht nur Epigonen

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Seit mit Ingmar Bergmans „Schweigen“ das Eis der filmischen Tabus zum Schmelzen gebracht worden war, sind so ziemlich alle Schranken gefallen. Es gibt kaum eine Filmnation, die sich nicht von dem allgemeinen Trend zur thematischen und optischen Freizügigkeit hätte mitreißen lassen, wobei allerdings selten das künstlerische Format der schwedischen Vorbilder erreicht wurde. Dies ist erst dem relativ unbedeutenden Filmland Griechenland mit dem Streifen „Angst“ gelungen, einem Blut-und-Boden-Drama ganz außergewöhnlichen künstlerischen Formats. Regisseur und Drehbuchautor Costes Manous-sakis läßt die Handlung mit Vergewaltigung und Mord nach relativ kurzer Zeit ihren Kulminationspunkt erreichen — wobei diese dramaturgisch wichtige Sequenz zwar breit und hemmungslos offen ausgespielt wird, optisch jedoch keineswegs die Grenzen des Zumutbaren überschreitet. Nach dieser Exposition gewinnt der Film, der nun schildext, wie die Familie des Mörders versucht, die Angelegenheit zu vertuschen, und sich dabei gegenseitig aufreibt, eine zunehmende Spannung, die in einem entfesselten Schlußteil ihre befreiende Lösung findet. — Das alles wird mit einer gestalterischen Meisterschaft, einer schlechthin makellosen Kameraleistung und einer Perfektion der Darstellung präsentiert, die einen erstaunen und zugleich vor Neid erblassen läßt, ob dieser einmaligen künstlerischen Leistung einer kleinen, aber ungemein regen Filmnation. Ein Sonderlob verdienen der Regisseur für seinen gelungenen Balanceakt an der Grenze des Möglichen, der Kameramann Nicos Gar-delis für die wuchtige Photographie und Yannis Marcoroulos für eine Filmmusik, die mit einfachsten Mitteln, aber höchster Ausdruckskraft ihre Akzente setzt.

Ein Film, in dem sich tiefer Ernst, schicksalshafte Tragik und ausgelassene Heiterkeit vereinigen, ist der französische Streifen „Der alte Mann und das Kind“. Regisseur Claude Berri hat das autobiographische Drehbuch zu diesem wunderschönen Film geschrieben, der uns das Schicksal eines kleinen jüdischen Buben vor Augen führt, der im Jahre 1944, mitten in Zeiten der Wirrnisse und Verfolgung, einen traumhaften Sommer bei alten Leuten auf dem Lande verleben darf. Selten noch ist es gelungen, die ganze Unsinnigkeit und Haltlosigkeit des Rassenwahns derart treffend und symbolhaft zu demaskieren wie hier in diesem einfachen, mit konventionellsten Mitteln gestalteten Filmchen. — Neben seiner allgemeingültigen versöhnlichen Aussage bringt der Streifen vor allem ein Wiedersehen mit einem der großen Menschendarsteller des französisch-schweizerischen Films, mit Michel Simon, der hier nach längerer Zeit erstmals wieder in einer größeren, menschlich mitreißenden Rolle zu sehen ist. Großartig auch der kleine Alain Cohen, ein Filmkind von ungewöhnlicher Reife und darstellerischer Ausdruckskraft.

Beim Hörfunk trat die Neuordnung schlagartig mit 1. Oktober in Kraft. Das Fernsehen bietet uns seine Neuerungen so nach und nach. So sahen wir in der vergangenen Woche einige neue Sendungen, einige altbekannte auch in neuer Form.

Das Fernsehen hat bekanntlich in Kuno Knöbl einen neuen Unterhaltungschef, der direkt vom Kabarett und natürlich auch, wie alle neuen Männer beim Fernsehen, von der Journalistik her kommt. Er hat bisher noch nicht viel Gelegenheit gehabt, etwas zu zeigen von dem, was er sicherlich kann. In ihm steckt gewiß auch viel mehr, als er bisher in der neuen Sendereihe „Postfach 7000“ zeigte. Immerhin gab er zu, daß die Udo-Jürgens-Sendung, für die er verantwortlich zeichnete, nicht ganz geglückt war. Ansonst erzählte er uns das, was Direktor Freund in den Urzeiten des Fernsehens im ,X>ienst am Kunden“ erzählte: Wann und wo neue Relaissender gebaut werden und wieviel Österreicher das erste bzw. schon das zweite Programm empfangen können. Für eine neue Sendung des neuen Unterhaltungschefs vielleicht nicht gar so umwerfend Lustiges. Im scharfen, gewollten oder ungewollten Kontrast zu dem breiten Fernandel-Lächeln Kuno Knöbls verzog Gerlinde Mandl bei dieser Sendung nicht eine Miene ihres hübschen Gesichtes. Daß sie nicht das stereotype Lächeln aller Fernsehdamen aufsetzte, ist ihr hoch anzurechnen. Aber vielleicht wird sie in Zukunft, wenn es in der Sendung „Postfach 7000“ etwas zu lachen gibt, ein wenig ganz zart lächeln.

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Heinz Fischer-Karwin hat seine neue Sendung. „Bittelegen Sie ab“, heißt sie. Prominente sollen hier ablegen, damit man sie in ihren Menschlichkeiten sieht und sie uns dann womöglich noch sympathischer werden. Erster Gast war der deutsche Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, ein sehr soignierter, sehr sympathischer, ja man kann fast sagen schöner atterer Herr, der mit leicht schwäbischem Akzent über sein Leben und sein Werk plauderte. Ein ganz und gar nicht präpotenter, sondern eher ein schüchterner Fischer-Karwin lieferte die Stichworte. Im großen und ganzen eine nette und ansprechende Sendung, wenngleich man vielleicht gerade bei einem Politiker etwas mehr über sein politisches Wirken hätte erfahren wollen.

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In etwas neuer Form präsentierten sich auch Nennings „Forum-gespräc he“, da er diesmal prominente Mitglieder des erweiterten Redaktionsstabes seiner Zeitschrift vors Fernsehen brachte, Marxisten aus Ost und West, dazu Naturwissenschaftler und einen evangelischen Theologen aus Paris. Es ging um die Bedeutung der russischen Oktoberrevolution für die Gegenwart. Manches Kluge wurde gesagt, vieles blieb unausgesprochen. Gerade bei dieser Sendung zeigten sich wieder einmal die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen des christlich-marxistischen Dialogs. Daß man miteinander reden solle und miteinander reden könne, ist nun hinlänglich bewiesen. Jetzt müßte einmal über Konkretes gesprochen werden, zum Beispiel ob ein solcher Dialog auch vom tschechischen Fernsehen ausgestrahlt werden könnte oder ob die Zeitschrift, die sich diesem Dialog so sehr widmet, auch drüben frei verkauft werden dürfe.

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Die „Horizonte“ unter der neuen Leitung von Alfred Paye*-leitner — kein Wort wurde über Brantl gesagt — brachten zwei eher schwache österreichische Beiträge, wofür die neue Leitung gewiß noch nicht verantwortlich gemacht werden kann: über Esterhazy und über das österreichische Zeitungssterben. In beiden Fällen wurden die Probleme nur angetippt, ohne wirklich in die Tiefe zu gehen.

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Für die Masse der Fernseher war das Programm der vergangenen Woche nicht von alldem hier Besprochenen geprägt, sondern von der dreiteiligen Kriminalstory „Flucht ohne Ausw e g“. Hier gab's nichts zu raten, der Täter und sein Ende standen fest, trotzdem aber gab es Spannung bis zum letzten Augenblick. Eine sehr sauber gemachte deutsche Produktion mit einem hervorragenden Schauspieler.

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