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Vor dem Bildschirm

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ÜBER DAS KONZIL wurde der Fernsehzuschauer immer wieder, besonders in letzter Zeit, durch Berichte und Interviews informiert. Damit wird zugleich jene Bedeutung des Fernsehens sichtbar, die durch das in dieser Konzilssession verabschiedete Schema über die Massenmedien mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommt.

EIN GEFÄHRLICHES EXPERIMENT war das Fernsehspiel „Einer unter Ihnen“ von Diego Fabbri, inszeniert vom Hessischen Rundfunk. Durch jahrelang Erfahrung hat der Fernsehzuschauer gelernt, zu unterscheiden zwischen dem, was ihm das Fernsehen als echte Aktualität präsentiert, und dem, was es ihm an Illusion bietet, als künstlerisch gestaltetes Spiel, als Unterhaltung, als „gut verpackte“ Belehrung. Das Fernsehen selbst hat diese Entwicklung richtigerweise unterstützt, indem es den Zuschauer nie, oder wenigstens fast nie im Zweifel darüber ließ, um welche Art von Sendung es sich jeweils handelte, ob es ihm eine aktuelle Livesendung bot oder ein gestaltetes Spiel. Der Zuschauer, a priori geneigt, dem Massenkommunikationsmittel ein beträchtliches Maß an Vertrauen entgegenzubringen, konnte sich auf die Echtheit der ihm als Aktualität angebotenen Sendung verlassen. Nun wird plötzlich — mit diesem Fernsehspiel — Aktualität gespielt. Der Zuschauer wird glauben gemacht, einer erregenden Livereportage gegenüberzusitzen, aber spätestens bei den Einblendungen, mit denen die erzählten Szenen im Bild dargestellt werden, muß er erkennen, daß er betrogen, daß hier nur gespielt wird. Sein Vertrauen ist damit von Grund auf erschüttert. Man denke nur, diese Sendung wäre vor der tragischen Ermordung des amerikanischen Präsidenten über die Bildschirme gegangen. Wie viele Zuschauer hätten dann noch den Sprecher ernst genommen, der, mitten in einer Spielszene, über das Attentat berichtete! An diesen Sachverhalten ändert sich auch nichts, wenn der Zuschauer schon zu einem früheren Zeipunkt erkannte, worum es sich bei dieser scheinbar aktuellen Sendung handelte. Und das war für den erfahrenen Betrachter nicht schwer, denn die hier vorgespiegelte Aktualität war vom ersten Augenblick an in einem Maß unecht, wie es noch selten auf dem Fernsehschirm zu sehen war. Das lag kaum an den Darstellern, und wohl nur zum geringsten Teil an der Regie. Es lag an dem Stück selbst, an der gekünstelten Handlung, an den vielfach unechten Texten. Vielleicht lag es zum Teil auch daran, daß man die echte Aktualität nicht spielen kann. Sie wirkt nur durch ihre ursächlich bedingte Lebendigkeit; das Fernsehspiel muß, wie jede Kunstform, überhöhen, verdichten und straffen. Trotz allem war es nicht vergeblich, daß dieses Stück geschrieben wurde, daß es inszeniert wurde, und daß es auch auf unseren Bildschirmen zu sehen war. Jetzt wissen wir wenigstens: S o geht es nicht!

EINE GEWISSE MASSLOSIGKEIT scheint ein spezifisches Merkmal der Sendungen „Auf den Spuren von...“ zu sein. Auch die Sendung „Auf den Spuren von H eimito vonDoderer“ war wieder viel zu lang, was noch dadurch besonders ins Gewicht fiel, daß diese unausgesetzte Folge von in sich statischen Bildern, die kaum je einen bildlichen Zusammenhang hatten, und die vielen Fahrten und Schwenks außerordentlich ermüdend wirkten. An sich ist der Gedanke nicht schlecht, Worte des Dichters mit Bildern zu unterlegen, die zu diesen Worten in einer wechselseitigen Beziehung stehen, und diese Bilder gelegentlich mit einer entsprechenden Tonkulisse zu begleiten. Die Realisierung dieser Idee ist auch über weite Strecken recht gut gelungen; manche arge Diskrepanzen wären leicht zu vermeiden gewesen. Im ganzen gesehen aber erscheint ein solches Gestaltungsprinzip eher der Illusionskraft des Films angemessen als dem Realitätscharakter des Fernsehens. Aber abgesehen von diesen Formfragen, weist diese Sendung auch ein inhaltliches Problem auf: Man hätte doch gerne etwas über den Dichter selbst erfahren. Sogar bei den Porträts des Dichters, die manchmal zwischendurch zu sehen waren, konnte der unbefangene Zuschauer nur ahnen, wen er hier vor sich hatte.

ALS FERNSEHSPIEL deklarierte das Österreichische Fernsehen die Eigeninszenierung der Komödie „Hotel du Commerce“ von Fritz Hochwälder. Wenn hier auch eine gute Fernsehbearbeitung von Theodor Gradier — der auch Regie führte — vorlag, so sollte man doch die Bezeichnung „Fernsehspiel“ nicht so bedenkenlos auf jedes für das Fernsehen adaptierte Theaterstück anwenden, wie es immer wieder geschieht. Das erweckt dann im Zuschauer falsche Vorstellungen; dabei würde es sicherlich niemanden stören, zu wissen, daß er hier ein Theaterstück sieht, zumal, wenn so vorzüglich gespielt wird wie von diesem sorgfältig ausgewählten Ensemble, aus dem nur Martha Wallner und Kurt Sowinetz als die „besten unter gleichen“ genannt seien.

OHNE VORSCHUSSLORBEEREN und ganz bescheiden erschien auf dem Bildschirm ein ganz hervorragend gestaltetes Ballett. „30 Minuten Pause“ war der ebenfalls bescheidene Titel, hinter dem sich eine künstlerische Intensität von faszinierender Wirkung verbarg. Wie hier eine heterogene Sammlung von Themen in choreographischer Ausdeutung zu einer Einheit verschmolzen wurde, wie hier alte und neue Musik, Parodie, Chanson, moderner Ausdruckstanz und Pantomime sich scheinbar in Improvisation ineinanderfügten, war schlechthin großartig. Vielleicht könnte man dem Choreographen Tommy Linden und dem Regisseur Karl Stanzl wieder einmal Gelegenheit zu einer solchen gekonnten Arbeit geben.

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