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VERGESSEN UND VERSÄUMT

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Schon einmal wurde an dieser Stelle über einige Möglichkeiten der Programmgestaltung des Fernsehens berichtet, die nicht oder ungenügend ausgeschöpft werden, über Aufgaben, die dem Fernsehen auf Grund seiner Stellung in der modernen Gesellschaft zugeschrieben werden müssen, die es aber nicht in hinreichender Weise erfüllt.

Dar Beginn eines neuen Jahres mag Anlaß genug sein, sich diese Überlegungen wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen, sich an inzwischen Erreichtem zu freuen, Versäumtes und Vergessenes aufzuzeigen.

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A n erster Stelle wurde damals von jenen Hoffnungen gespro-che.n, die in das Fernsehen seit eh und je gesetzt wurden; Hoffnungen, die aus den ganz besonderen Möglichkeiten erwachsen, die das Fernsehen bietet, und durch die ihm gerade in der heutigen Zeit eine grundlegende Aufgabe zugewiesen wird: ein Mittel zur Verständigung der Menschen untereinander zu sein. Diese Aufgabe ist so bedeutungsvoll und umfassend, daß sie gar nicht unter dem Blickwinkel der einzelnen Sendung gesehen werden kann, daß ihre Erfüllung nur dann zu erwarten ist, wenn sie zu einem prinzipiellen Anliegen des Fernsehens gemacht wird. Jede Sendung, die nur halbwegs dieser Aufgabenstellung entspricht, wird da zu einem nicht zu übersehenden Beitrag zur Verständigung der Völker. So erscheint auch die erste Direktübertragung zwischen Europa und Amerika als ein Schritt auf diesem Wege, und was sie an Tiefe — durch das Bemühen um möglichste Breite notwendigerweise bedingt — entbehren mußte, wurde durch das Gewicht der Sensation wieder wettgemacht.

Eine Anzahl anderer Sendungen, weniger aufwendig, aber mindestens ebenso bemüht, sind weitere erfreuliche Ansätze. Auffallend ist nur, daß man sich dabei vorwiegend des Films bedient, wo doch gerade hier, wo es um den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch geht, das Spezificum der Life-Sendung eine sehr wesentliche Rolle spielen dürfte; die erste transozeanische Fernsehübertragung hat jedenfalls daraus einen Gutteil ihrer Wirkung bezogen. Daß der Anwendung der Life-Sendung gerade auf diesem Gebiete Grenzen gesetzt sind, soll nicht übersehen werden; hier alle ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, wäre aber eine lohnende Aufgabe.

Von den Kontakten zwischen den Menschen und der bildenden und darstellenden Kunst war dann die Rede, die zu vertiefen das Fernsehen geradezu prädestiniert erscheint. Aber informierende — und einladende — Berichte über Kunstausstellungen gibt es, gemessen an der Fülle des Gebotenen, praktisch keine. Immerhin konnte in den oben erwähnten Überlegungen noch auf eine Sendung Bezug genommen werden, die am Jahresende einen Rückblick auf einige Ausstellungen des abgelaufenen Jahres gab; in dem eben vergangenen Jahr ist auch sie unterblieben.

Auf dem Gebiete des Theaters könnte das Fernsehen — über die Übertragung ganzer Aufführungen hinaus — wertvolle Kulturarbeit leisten: Auch da wird die ihm schon aus seinem Wesen heraus zufallende Aufgabe der Information nur in bescheidenem Maße erfüllt. Was wird hier geboten? Nur die Sendereihe „Ihr Auftritt, bitte!“ bringt nach wie vor stets einige Filmaufnahmen von Probenausschnitten; was außerordentlich begrüßenswert, aber auch nicht annähernd erschöpfend ist. Das vor Jahren einmal geübte Verfahren, Probenausschnitte direkt aus dem Fernsehstudio zu übertragen, ist leider inzwischen gänzlich in Vergessenheit geraten. An Berichte über bedeutsame Premieren im Ausland zu denken, wagt der keineswegs verwöhnte Zuschauer gar nicht erst. ^

Nicht gerade überwältigend sind die Konsequenzen, die man aus der seinerzeit — zum wievielten Male wohl? — erwähnten Tatsache gezogen hat, daß das Fernsehen ein primär optisches Medium ist, daß es einen Weg bietet, dem Zuschauer Dinge mit einem Bild klar zu machen, die ihm durch viele Worte nur unvollständig vermittelt werden können: die graphische Darstellung ün weitesten Sinne des Wortes hat noch immer nur in bescheidenem Maße in das Fernsehen Eingang gefunden. Am meisten finden wir sie noch beim Wetterbericht, der täglich von einer nicht allzu gewichtigen „Verbildlichung

begleitet wird, der sich aber bei den zweimal wöchentlich gegebenen Berichten über die Großwetterlage sogar in der Meteorologie üblichen Wetterkarten bedient.

Recht spärlich wird auch von dar Möglichkeit Gebrauch gemacht, bei Berichten über Ereignisse, die sich an Orten abspielen, von deren geographischer Lage der Zuschauer oft nur eine ungenaue Vorstellung hat, diese Lage an Hand einer Karte aufzuzeigen. Daß man sich oft nicht einmal dort um das Hilfsmittel der graphischen Darstellung bemüht, wo es um den Vergleich großer Zahlenwerte geht, hat die letzte „Direktübertragung aus der Hauptwahlbehörde“ nur allzu deutlich bewiesen.

Lediglich auf dem Gebiet, das seinerzeit wohl deutlich genug mit „Lebenshilfe“ bezeichnet wurde, ist eine stärkere Aktivität zu bemerken. Daß hier immer unzählige Wünsche offen sein werden, liegt in der Natur der Sache. Um so größer ist die Verantwortung der Programmgestalter, die sich sehr wohl überlegen müssen, auf welchen Gebieten und in welcher Form der Mensch einer besonderen Hilfe bedarf, damit er die Aufgaben einigermaßen erfüllen kann, die das Leben in der modernen Gesellschaft und die heutige Zeit im allgemeinen an ihn stellen.

Bei der Betrachtung all dieser Probleme, wie des Fernsehprogramm überhaupt, stößt man auf eine nicht zu übersehende Erscheinung: das ist der offensichtliche Mangel an Mut — oder an Einfällen — zum Experiment; wobei gar nicht so sehr an das große, an das umwälzende Experiment gedacht sei, sondern vielmehr an die kleinen Versuche, neue Wege zu finden, neue Möglichkeiten zu eröffnen oder vorhandene auszuweiten.

Hat man sich endlich einmal entschlossen, einen neuen Weg zu beschreiten, dann wird er unbekümmert immer wieder begangen, wird zum ausgetretenen Pfad, und niemand weiß, ob es auch andere, mindestens ebenso gute Wege gibt, die zu dem gleichen Ziel führen. Selbst wenn der beschrittene Weg gut erscheint, so kann nur der Versuch zeigen, ob es nicht noch einen besseren gibt. Erst das Streben nach dem Besseren kann uns das wirklich Gute bringen.

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