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WARTEN WIR AUF DIE FARBE?

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Nur selten macht sich der Fernsehzuschauer darüber Gedanken, welch riesiger technischer Aufwand heute bereits in den europäischen Fernsehländern getrieben wird, angefangen von den Fernsehstudios mit ihrer kaum übersehbaren Fülle elektronischer Geräte, über die Richtfunkstrecken mit ihren zahllosen Relaisstationen bis zu den riesigen, Fernsehempfänger am laufenden Band produzierenden Fabriken. Welches Maß an wissenschaftlicher Forschungsarbeit war nötig, wieviel technische Schwierigkeiten waren zu überwinden, um dem Menschen von heute aktuelles Zeitgeschehen, Information und Bildung, Unterhaltung und künstlerisches Erlebnis in sein Heim liefern zu können!

Von dieser Warte aus gesehen, überrascht es ein wenig, daß von Zeit zu Zeit — schon seit der Einführung des Fernsehens in den einzelnen Ländern — der Gedanke verbreitet wird, daß das Fernsehen in der bestehenden Form unzureichend oder bereits überholt sei, daß die Einführung des Farbfernsehens unmittelbar bevorstünde und daß seine Einführung eine unabdingbare Notwendigkeit darstelle. Schon vor Jahren war die Überzeugung weit verbreitet, daß es in wenigen Jahren, also etwa heute, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in den USA, überhaupt nur noch Farbfernsehen geben würde.

Die Entwicklung hat jedoch einen ganz anderen Verlauf genommen. Die NBC, jene amerikanische Fernsehgesellschaft, deren Farbprogrammdienst am besten ausgebaut ist, hat im vergangenen Jahr etwa die Hälfte ihrer Programme in Farbe gesendet, die ABC, eine weitere der drei großen Gesellschaften, hat eich überhaupt erst in diesem Jahr entschlossen, Farbfernsehsendungen in ihr Programm aufzunehmen. Der schon so lange vorhergesagte überwältigende Siegeszug des Farbfernsehens wird von amerikanischen Experten auch in den USA in absehbarer Zeit nicht erwartet.

Daß die Ausbreitung des Farbfernsehens allen Prognosen zum Trotz nur so langsam erfolgt, hat zwei im Sachlichen begründete Hauptursachen, nämlich technisch-patentrechtliche und finanzielle. Es stand nämlich bisher nur eine einzige Farbbildröhrentype zur Verfügung, die in großem Umfang hergestellt wurde und die dem in Amerika eingeführten Farbverfahren (dem sogenannten NTSC-Verfahren) entsprach. Anderseits sind die Kosten für die Farbfernsehprogramme etwa dreimal so hoch wie für Schwarzweißsendungen; die Werbung treibenden Firmen, die den größten Teil des Fernsehens in den USA finanzieren, sind aber nur dann gewillt, diese hohen Programmkosten zu bezahlen, wenn genügend Farbfernsehgeräte in Betrieb sind. Die Kosten für die Farbfernsehempfänger aber sind wieder noch nicht so niedrig, wie man sich das ursprünglich erhofft hatte.

In Großbritannien, wo man damit rechner, im Laufe des nächsten Jahres die ersten Farbfernsehprogramme in London ausstrahlen zu können, wird ein Farbfernsehempfänger etwa 50.000 Schilling kosten, und erst bei anhaltender Nachfrage wird es möglich sein, den Preis für einen Empfänger auf etwa 15.000 Schilling zu senken.

Auch auf dem europäischen Kontinent wird auf dem Gebiet des Farbfernsehens in den Laboratorien intensiv gearbeitet. Die Versuche bezwecken vor allem die Erprobung verschiedener Verfahren und die Aufstellung einer europäischen Norm. Die Aufnahme eines regulären Farbfernsehprogramms ist heute noch eicht abzusehen.

Neben all diesen technischen und finanziellen Problemen soll jedoch ein weiterer Aspekt nicht übersehen werden: Es erhebt sich nämlich die Frage, welchen Gewinn die Farbe dem Zuschauer nun tatsächlich zu bringen vermag. Natürlich ist das Farbbild — wenn es einigermaßen gut ist — im allgemeinen an-sprechender und reizvoller als das Schwarzweißbild, und die sllmähliche Ausbreitung des Farbfernsehens wird auf lange Sicht durch nichts zu verhindern sein. Aber wird die Mehrzahl der

Grazieila Sciutti und Waller Berry In „Der Musikmeister“

Sendungen durch die Farbe einen Zuwachs am inneren Wert erfahren?

Greifen wir einen Bereich heraus, für den man sich gemeinhin einen besonderen Gewinn erhofft, nämlich die künstlerischen Möglichkeiten des Fernsehens. Hier sei ein Vergleich mit dem Film erlaubt. Hat die Einführung des Farbfilms für den Film in künstlerischer Hinsicht einen Gewinn gebracht? Anfänglich sicher nicht. Ein sehr wesentliches Element künstlerischer Gestaltung liegt doch in der Abstraktion, in der Stilisierung, in der .Vereinfachung, in der Zurückf ührHng.,. auf einfachere, ele-irere lärmen. Gerade hier stellt sBeschränkung auf die iskala des Schwarzweißbildes ein künstlerisches Ausdrucksmittel erster Ordnung dar. Es erübrigt sich, dafür Beweise anzuführen.

Es ist kaum übertrieben, zu behaupten, daß die stärksten künstlerischen Wirkungen auch heute noch von einzelnen Filmen ausgehen, die sich des Schwarzweißverfahrens und des Normalformates bedienen. Für den Farbfilm wird der künstlerische Stil, die Kunstform, noch gefunden werden müssen. Aber auch diese wird kaum imstande sein, die Kunstform des Schwarzweißfilms völlig zu verdrängen.

Ubertragen wir diese Gedankengänge auf das Fernsehen, so kommt noch ein weiteres Moment hinzu: Es wird sowieso beträchtlicher Anstrengungen bedürfen, um ein Absinken des Niveaus der Fernsehsendungen auf die Dauer zu verhindern. Die hohen Kosten für das Farbfernsehen aber könnten leicht dazu verleiten, zugunsten der Farbe und im Vertrauen auf ihre — angebliche — Wirkung Qualität und Niveau der Sendungen zu vernachlässigen. Zweifellos aber werden gute Schwarzweißsendungen einem auch nur mittelmäßigen Farbfernsehprogramm vorzuziehen sein.

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