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FuR DIE FARBE BEREIT

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Tatsachen und Gedanken zur CCIR-Tagung in Wien

Zwei Wochen lang haben mehr als 230 Delegierte aus 35 Ländern der Welt in den historischen Kongreßräumen der Wiener Hofburg alle technischen und organisatorischen Für und Wider diskutiert und abgewogen, die sich um das Problem der Normierung bei der Einführung des zukünftigen Farbfernsehens ranken. Es sind drei Systeme, die um die Gunst der Nationen werben, und wir hatten jetzt in Wien die einmalige Gelegenheit, sie in ihren mehr oder minder deutlichen Varianten auf uns wirken zu lassen.

Die Basis aller Entwicklungen auf dem Gebiet des Farbfernsehens schufen unzweifelhaft die Amerikaner, die schon 1940 mit den ersten Versuchen begannen und sie sofort nach Beendigung des Krieges mit gesteigerter Energie fortsetzten. Wobei sie alle Firmenrivalität überbrückten und sich im National Television System Comittee, kurz NTSC genannt, zu gemeinsamen Bemühungen zusammenschlössen. Mit dem Erfolg, daß dieses System seit 1953 in den Vereinigten Staaten und seit 1960 in Japan offiziell eingeführt ist. Von Seiten der amerikanischen Repräsentanten wurde behauptet, daß derzeit in den USA schon rund sechs Millionen Farbfernsehempfänger in Gebrauch seien. 1964 wurden in den USA 2300 Sendestunden an Farbprogrammen und in Japan 1600 Sendestunden nach diesem NTSC-System ausgestrahlt. Sicher besitzen sie damit die bedeutendste praktische Erfahrung in diesem zukunftsträchtigen Fernsehzweig. Einer direkten Übernahme der von ihnen konstruierten Apparate nach Europa aber steht nun der schon aus dem vorigen Jahrhundert stammende grundsätzliche Unterschied in der Netzfrequenz entgegen, die in den Staaten 50 und in Europa 60 Hertz beträgt.

Franzosen und Deutsche gingen infolge dessen daran, auf der Grundlage des NTSC-Systems für ihren Bereich modifizierte Anlagen zu entwickeln, die vor allem auf praktische Verbesserungen an den Empfangsgeräten abzielten. So entstanden das französische SECAM-Verfahren (Sequentiel ä Memoire) und das deutsche PAL-Verfahren (Phase Alternate Line), denen es entscheidend darauf ankommt, durch automatische Regelung die Farbwiedergabe der ausgestrahlten Bilder konstant und naturgetreu zu halten. Das heißt, Störungen und Modulationen der Grundfarben Rot, Blau und Grün, die zwischen Sender und Empfänger in Kabeln, durch atmosphärische Einflüsse oder sonstige ungünstige Empfangsverhältnisse — Reflektionen in gebirgigen Gegenden — entstehen können, ohne menschliches Eingreifen durch entsprechende elektronische Zusatzgeräte auszuschalten. Auf weitere technische Details und Unterschiede zwischen den einzelnen Systemen einzugehen, würde im Rahmen dieses Artikels zu weit führen.

Die praktischen Vorführungen und Demonstrationen der verschiedenen Verfahren brachten jedenfalls den Beweis, daß hinsichtlich der Güte der Farbbilder nur geringe prozentuale Unterschiede bestehen. Vielleicht waren für des einen Geschmack die amerikanischen Farbbilder von um eine Nuance zu kräftiger, plakatartiger Lumineszenz, während dem anderen die französischen Farben um einen Bruchteil zu stumpf erschienen. Aber alle Darbietungen, bei denen die Franzosen besonders durch ihre Live-Übertragungen bestachen, während sich die beiden anderen Bewerber überwiegend auf Wiedergaben von farbigen Dias, Filmen oder Bandaufzeichnungen stützten, hinterließen in dem Betrachter den überzeugenden Eindruck, daß die farbliche Echtheit der Bilder schon einen erstaunlich hohen Grad erreicht hat und ihnen sicher die Zukunft auf unseren Fernsehschirmen gehören wird. Natürlich wird es noch auf Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte hinaus neben den Farbsendungen auch Schwarzweißprogramme geben, und die Besitzer von Schwarz-weißempfängern werden auch an den farblichen Darbietungen teilhaben können, worauf alle drei Farbsysteme bei der Einrichtung ihrer Sendeanlagen nachdrücklich Wert gelegt haben. Aber die Konferenz von Wien dokumentierte deutlich, daß das Farbfernsehen auch in europäischen Breitengraden dem Stadium des Experiments und der utopischen Exklusivität zu entwachsen beginnt und zu einer für jedermann greifbaren Realität wird.

Die Intensivierung dieser Wirklichkeitsnähe hängt selbstverständlich eng mit der serienmäßig-industriellen Fertigung von Empfangsgeräten zusammen. Und hier liegt ja entscheidend das wirtschaftspolitische Interesse der einzelnen Systemgruppen, deren Ringen dem Wiener Farb-TV-Kongreß seinen Stempel aufdrückte. Geht es doch hier um Milliardenbeträge in harten Währungen, die in Form von Lizenzgebühren je nach dem Ergebnis der Empfehlungen der einen oder anderen Gruppe zufallen können. Jedenfalls wird der Preis für die ersten Farbfernsehempfänger in Europa etwa 12.000 Schilling betragen. Wobei vielleicht SECAM um 0,35 Prozent billiger und PAL um vier Prozent teurer gegenüber der von NTSC gehaltenen Basis sein wird. All dies sind jedoch äußerst variable Größen, die weitgehend von den möglichen Auflagehöhen beeinflußt werden.

Die deutschen Experten zum Beispiel rechnen damit, daß das Farbfernsehen in der Bundesrepublik im Sommer 1967 zunächst mit einem wöchentlichen Programm von acht Stunden Wirklichkeit wird. Neben die Schaffung der notwendigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen, die bei der Fertigung der komplizierten elektronischen Einrichtungen beginnen und beim postalischen Bau entsprechender Leitungswege noch längst nicht aufhören, tritt die Ausbildung und Umschulung des Bedienungspersonals sowie die Neuorientierung auch der künstlerischen Gestalter. Das gilt insbesondere für die Regisseure, deren Inszenierungen stärker als bisher an die Mitwirkung der Bühnenbildner, Maler und Kostümentwerfer gekoppelt werden. Sie müssen lernen, die Farbe als kompositorisches Element zu verwenden, was manchen Filmregisseuren bis heute noch nicht recht gelungen ist.

Wie schon der Name sagt, kann die CCIR — Comite Consultatif International des Radiocommunications — lediglich einen Rat, eine Empfehlung erteilen, welchem System unter Beachtung aller technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Erwägungen und Kriterien — sie wurden in einem Arbeitsprogramm von 25 Punkten mühsam herauskristallisiert — der Vorzug zu geben wäre. Die endgültige Entscheidung darüber, welches System schließlich in den einzelnen Ländern Eingang finden soll, bleibt den nationalen Regierungen und ihren dafür zuständigen Instanzen überlassen. Daß dabei auch politische Gesichtspunkte eine nicht unerhebliche Rolle spielen werden, zeichnete sich ebenfalls schon auf dem jetzigen Wiener Kongreß ab. Vor allem die Franzosen hatten in dieser Richtung eine recht rege Aktivität an den Tag gelegt, indem sie eigentlich die Konferenz, die doch „sine ira et studio“ nach rein sachlichen und fachlichen Maßstäben eine einheitliche Lösung und Normierung vorbereiten sollte, durch ihren vorher mit den Sowjets geschlossenen Vertrag vor ein gewisses „Fait accompli“ stellten und so von vornherein die möglichen Entschließungen majorisierten. Denn die im Gefolge Rußlands stehenden Ostblockstaaten, die fast vollzählig in Wien vertreten waren, entschieden sich gleichfalls für SECAM, während Großbritannien nebst Holland fest zu den USA stehen und Deutschland, die Schweiz, Österreich, Neuseeland und Südafrika dem PAL-System zuneigen. Wobei nicht verhehlt werden soll, daß auch die Amerikaner schon vor der Konferenz mit ihrem NTSC-Verfahren die Russen heftig umworben haben. Aber sie „haben eben leider den Zug versäumt“, wie einer der führenden amerikanischen Fachleute unumwunden eingestand. Der erhoffte Erfolg eines einheitlichen Farbfernsehsystems in Europa und damit ein technisch unbeschränkter Programmaustausch ist zwrr in weitere Ferne gerückt, wird aber die Realisierung des Farbfernsehens in Europa nicht aufhalten.

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