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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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NUN ROLLT DIE ZWEITE WELLE des Wahlkampfes über Plakatwände und Anschlagsäulen. Der objektive Beobachter wird feststellen können, daß in dieser Etappe des politischen Hürdenlaufes die Propagandisten der ersten Regierungspartei führen. Und dies nicht nur, was die Quantität der Plakate betrifft. Die Serie „Sag es mit Humor” wurde von ihnen durch zwei weitere Anschläge fortgeführt; „Lügen haben kurze Beine” und — bisher am heitersten — der biedere Zeitgenosse, der im Begriffe ist, sich auf einen Dreipfeile-Reifjnagel zu setzen. Das erstemal haben hier in Oesterreich politische Propagandisten sich ein Herz genommen, die üblichen Klischees der Auseinandersetzung auf der Plakafwand zu sprengen. Konventionell dagegen ist ohne Zweifel das Raab-Kamitz-Doppelporträt. Es wird aber auf breite Schichten seinen Eindruck nicht verfehlen. An einfache Gemüter wendet sich das Schreckgespenst des „Roten Mannes”, das da und dort von den Anschlagsäulen herunterdroht. Der Sozialistischen Partei sind nach einem Auftakt, der einiges erwarten lief}, anscheinend die Ideen ausgegangen. Sie klebte deshalb in dieser Phase des Plakatkriegse nur Schriftplakate und — dazu ziemlich schlechte. Graphisch danebengeraten ist auf jeden Fall das 1.- und 10,-Mai-Plakat, kaum viel wirkungsvoller (graphisch und gedanklich) jener Anschlag, der das politische kleine 1X1 der SPOe wiederholt. „Raab = wie Seipel und Dollfuf}, Piftermann = wie Renner und Körner.” Wirklich sehr billig (im doppelten Sinn) gibt es diesmal die KPOe; mit der Neuauflage ihrer schon 1956 angeschlagenen Rentnerplakates. Einen Protest der Kafzengewerkschaft beziehungsweise aller Katzenfreunde riskiert die FPOe. Die einmal sich balgenden, dann verliebt miteinander wandelnden schwarzen und roten Untiere haben mit unserer felis domestica wenig Aehnlichkeif. Noch ein Plakat erregt unsere Aufmerksamkeit: blutrot, ein Mann wird von seinem Partner auf die Matte gelegt. OeVP? SPOe? FPOe? KPOe? Weder noch. Es ist, genauer hingesehen, überhaupt kein Wahlplakaf, sondern die Ankündigung der Judoweltmeisterschaften in der Stadthalle …Dort geht es wenigstens nach festen Spielregeln zu.

NIX KULTURA! In einem schroffen Rundschreiben empfiehlt das sozialistisch gesteuerte Sekretariat des „Oesterreichischen Städtebundes” den Mitgliedsgemeinden bzw. Bürgermeistern unseres Landes, „aus grundsätzlichen Erwägungen auch für noch so wertvolle Filme keine Steuerbegünstigungen zu gewähren”. Mit Recht empfinden die weitgespannte überparteiliche junge Aktion „Der gute Film” und die schon älteren gleichgerichteten Bestrebungen der Katholischen Filmkommission für Oesterreich diese robuste kulturfeindliche Kundgebung als Dolchstof] und als Rückfall in Zeiten völlig falsch gesteuerter Steuerpolitik. Handelt es sich doch bei den Filmen, die der Sonderbegünstigung teilhaftig werden sollen, um eine strenge kulturelle Auslese, deren segensreiche Auswirkungen für Staat und Gesellschaft handgreiflich sind. In Fachkreisen vermutet man in dem unverständlichen Vorgehen des Städtebundes eine parteisolidarische Kundgebung für die Steuerpolitik der Bundeshauptstadt, deren zugeknöpfte Haltung in Fragen der kulturellen Steuerbegünstigungen wachsender Isolierung aus- gesetzt ist. Die guten Beispiele Salzburgs und Oberösterreichs haben Wien immer mehr „Sorgen” bereitet. Darum also diese Entlastungsoffensive. Sie stellt nicht nur einen höchst unglücklichen Anachronismus in Wahlzeiten dar, sondern befindet sich auch im schärfsten Gegensatz zu dem wortreichen Kulfurbekennfnis des Sozialistischen Parteiprogramms.

DIE ENGLISCH-DEUTSCHE VERSTIMMUNG. „Englisch-deutsche Beziehungen auf dem tiefsten Punkt”, das war der Titel eines Aufsatzes in den Londoner „Times”. Er führte, vielbeachtet, unter anderem aus: „Die Beziehungen haben sich seit dem Macmillan-Besuch in Moskau in einem Ausmaß verschlechtert, das den alten Streit über die Stafionierungskosfen nachträglich als eine idyllische Zeit der Liebe und des Vertrauens erscheinen läfjt. Es gibt keinen Zweifel, daf} Doktor Adenauer die Initiative des britischen Premierministers übelnimmt und seine Haltung gegenüber deutschen und europäischen Plänen mit ebenso großer Befürchtung h-trachtet wie die Vorschläge des Premiers für ein Einfrieren der Truppen und Waffen in einem Teil Mitteleuropas. Wenn es auch seltsam klingen mag: Die Geduld des Kanzlers mit seinem .schwächsten Alliierten’ scheint erschöpft zu sein.” — Der Bonner Kanzler seinerseits beanstandete in einem Brief an Macmillan offen die Tendenz der britischen Politik, das kommunistische Regime in Ostdeutschland als politische Realität anzuerkennen, und gab dem englischen Premier zu verstehen, daf} er eine politische Kaltstellung der Bundesrepublik innerhalb des westlichen Bündnissystems fürchtet, wenn Großbritannien fortfahre, eine in Nuancen eigene Ost-West-Polifik zu betreiben. Die Auseinandersetzungen zwischen England und der Bundesrepublik fanden ihre Fortsetzung bei der Ministerratssitzung der NATO-Staaten in New York und in der Polemik der englischen Presse gegen Bonn, dem der Vorwurf gemacht wurde, an der Uneinigkeit der NATO schuld zu sein. Eine grundlegende Bereinigung ist gegenwärtig nicht abzusehen. Der britisch-westdeutsche Gegensatz bildet eine bedeutsame Spannung in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft. Das offensichtliche Aneinanderrücken von Italien, Deutschland und Frankreich unterstreicht sie mehr, als es sie zu überbrücken vermöchte.

ZEHN JAHRE STRASSBURGER EUROPARAT. Am 5. Mai sind es zehn Jahre, daß die Statuten des Europarates in London unterzeichnet wurden. Heute gehören 15 Mitglieder dem Europarat an. Das jüngste ist Oesterreich, das naturgemäß durch die Besatzungszeit zunächst verhindert war, offiziell beizufreten. Ueber dem Beginn der Tagungen des Straßburger Europarates liegt der Glanz des Auftretens Churchills und Macmillans als der Kronanwälte für die Zulassung Deutschlands zum Europarat. Am 17. August 1949 sagte Churchill in Straßburg: „Ein vereinigtes Europa ist ohne den Beitrag Deutschlands nicht lebensfähig. Einer der wichtigsten Gründe, die uns bewogen haben, diese europäische Versammlung zu schaffen, liegt in der Tatsache, daß sie ein wirksames Mittel und vielleicht das einzige Mittel mit sofortiger Wirkung ist, um den Demokratien des Westens ein freies und demokratisches Deutschland zuzugesellen.’ Dieses frühe Straßburg war die Wiege der Ideen einer europäischen wirtschaftlichen Gemeinschaft, einer europäischen Verfeidigungsgemeinschaff, einer europäischen politischen Gemeinschaft. Nun, Europa und alle Welt wissen, was aus diesen Ideen geworden ist. Der Aufruf Leon Blums zur Eröffnungssitzung hat sich nicht durchgesetzt: „Ich wünsche den Straßburger Delegierten keinesfalls Vorsicht, Weisheit und Geschicklichkeit. Ich rate Ihnen zur Kühnheit.” Gesiegt haben Vorsicht, Weisheit und Geschicklichkeit von Beamten, Interessenvertretern, Fachleuten. Gerade diese langwierige Kleinarbeit hat aber, off unbemerkt, nicht nur eine europäische Bürokratie, „Berufseuropäer”, sondern sehr solide Fundamente geschaffen. Man schuf Abkommen über eine Niederlassungsordnung, über Sozialbetreuung, über das europäische Abitur, über die Anerkennung von Auslandssemestern; es kam zu den Konventionen über die Menschenrechte, zur Abschaffung des Visumzwanges. In hundert und tausend „Kleinigkeiten” wächst seither, von unten und von oben, Europa zusammen: in Straßburg, durch Straßburg, mit Straßburg. Um so bedauerlicher ist, daß die Festsitzung durch einen argen Mißton getrübt wurde: dem österreichischen Außenminister wurde das Wort entzogen, als er auf Südtirol zu sprechen kam.

FÖDERATION AM PERSISCHEN GOLF. Von den neunzehn Sfammesfürsfentümern, über die sich das westliche Protektorat der Kronkolonie Aden erstreckt, haben die sechs wichtigsten ihren föderativen Zusammenschluß vereinbart. Diese Nachricht hat in der Weltöffentlichkeit wenig Beachtung gefunden, aber doch handelt es sich da um einen Akt von potentiell erheblicher Tragweite. Einzeln können die sechsundzwanzig kleinen Staaten, die zusammen das westliche und östliche Protektoratsgebiet von Aden bilden, sehr wenig für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ihrer Bevölkerung tun, selbst wenn ihre zum Teil hartnäckig reaktionären Herrscher es wollten, und ebensowenig können sie dem Sog des panarabischen Nationalismus, der dort namentlich vom Jemen aus und von Saudiarabien eifrig geschürt wird, auf die Dauer Widerstand leisten. Nur durch die Vereinigung ihrer Kräfte läßt sich die Lebensfähigkeit dieses Gebietes und seine, das britische Schutzbündnis überdauernde Unabhängigkeit — künftig vielleicht im Rahmen des britischen Commonwealth — erhoffen. Die nun begründete Föderation ist somit ein erster Schritt nach dem Ziel hin, welches nicht nur für die im Protektorat lebenden arabischen Stämme große Bedeutung hat. Auch für Großbritannien, dessen Wirtschaft in hohem Maße von den Oelquellen am Persischen Golf abhängig ist, würde die Konsolidierung des Hinterlandes seines militärischen Stützpunktes Aden eine große Erleichterung bedeuten: um so mehr, als es durch die Ereignisse im Irak eine ungemein wichtige Machtposition am Golf verloren hat.

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