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Ihre Zeitung - das unbekannte Wesen

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Sie kennen doch den alten Kalauer des Grafen Bobby, der sich bei der Lektüre seiner Morgenzeitung - es war das damals wohl die „Neue Freie Presse“ - wundert, daß jeden Tag genau so viel passiert, wie in die Zeitung hineinpaßt. Auch wenn Sie jetzt mit einer gelangweilten Gebärde in Nabelhöhe die Länge des Bartes und damit das Alter dieses Witzes markieren, so werden Sie sich vielleicht doch einmal Gedanken darüber gemacht haben, woher all das kommt, was Sie Tag für Tag oder - bei uns - Woche für Woche zu lesen bekommen. Wer sind die Leute, die - nach der Meinung der Inseratenchefs - „zwischen die Inserate hinein“ zu schreiben haben und die sich gleichzeitig herausnehmen, Ihnen die Hintergründe der Weltpolitik zu durchleuchten, den Politikern zu sagen, was sie schlechtmachen (kaum, wie sie es besser machen könnten) und den Künstlern Zensuren erteilen? Wie kommen sie zu ihrem Material? Wie wählen sie es aus, wie verläuft ihr Tagewerk, wie entsteht ihre Zeitung?

Zwischen Journalisten einerseits, Politikern oder Künstlern anderseits herrscht mitunter ein Verhältnis wie zwischen alten Eheleuten, die genau wissen, daß sie einander brauchen, daß sie aufeinander angewiesen sind und gar nicht daran denken, sich scheiden zu lassen - die aber trotzdem öfter aufeinander herumhacken, gegeneinander sticheln oder miteinander zanken, als sich die untrennbare Partnerschaft einzugestehen.

Zwischen Journalisten und ihren Lesern ist dieses Verhältnis viel weniger greifbar. Zu lange verlief der Kommunikationsprozeß in Einbahnrichtung. Zu lange dekretierte der jeweilige Kommentator, was „sein“ Le- , ser in „seiner“ Zeitung lesen und für richtig halten sollte. Das hat sich längst geändert; trotzdem sind die Versuche, ein besseres, fast möchte ich sagen, intimeres Verhältnis zum Leser herzustellen, noch sehr zaghaft. Wir wollen uns bessern - das sei, heute am Tag vor Silvester geschrieben, unser guter Vorsatz für 1977.

Sie haben gesehen, daß die FURCHE mit Anfang November ihr Äußeres verändert hat - damals haben sich Ihnen auch die drei Herausgeber vorgestellt In der Nummer darauf zeigten wir Ihnen im Bild, wie sich diese Präsentation in einer Pressekonferenz, bei der Einweihung unserer neuen Redaktionsräume und auf einem Empfang unserer engsten Freunde abgespielt hat. Wir gaben Ihnen dann wenige Wochen später auch einen kleinen Blick auf den technischen Ablauf in der Setzerei - als erste Zeitung in Wien, die vom Blei weg - und auf Photosatz überging. Nun will sich - in der ersten Nummer des neuen Jahres, das wir zum „Jahr der FURCHE-Le- ser“ proklamieren wollen - auch die Redaktion vorstellen.

Als ich mich vor mehr als einem Vierteljahrhundert als Anfänger in der Redaktion der „Presse“ vorstellte, da meinte der damalige Chefredakteur- Stellvertreter Dr. Oskar Stanglauer - auch er weilt schon lange nicht mehr unter uns „Sie wollen Journalist werden? Ich mache Sie darauf auf merksam: Journalismus ist kein Beruf, sondern ein Laster! Wen er einmal gepackt hat, den läßt er nicht mehr los!“

Ein kleines Häuflein solcher „Lasterhaften“ ist nun wieder bemüht, Woche für Woche ein Blatt zu gestalten, für das unter normalen Verhältnissen - aber was ist schon normal? - ein doppelt so großer Stab gebraucht würde. Nur dank dieser Leidenschaft, in Hintergründen herumzustochem, schleierhafte Zusammenhänge aufzudek- ken, dem Leser die Ergebnisse dieser Untersuchungen mitzuteilen und damit selbst bei der Gestaltung des öffentlichen Lebens mitzumischen, gelingt es doch immer wieder, ein lesbares Blatt mit interessanten Neuigkeiten oder neuen Aspekten oder noch ungewohnten Überlegungen anzubieten.

Das beginnt schon unmittelbar nach dem Moment, da in der Druckerei in der Strozzigasse die Rotationsmaschinen zu laufen beginnen und die ersten, noch feuchten Andruckexemplare herauskommen. Vom letzten Kon- trollblick, der - mit der Möglichkeit, etwas auszukratzen - die letzten Bosheiten des Druckfehlerteufels abfan- gen soll, von der Manöverkritik am eben ausgedruckten Exemplar geht die Planung bereits über auf die kommende Nummer.

Die Krise der hinter uns liegenden Monate zwang dazu, den Neubeginn mit einem Minimum an Personal zu wagen (was natürlich ein Maximum an persönlichem Einsatz jedes einzelnen verlangt). So besteht der Redaktionsstab zur Zeit aus nur sechs Personen: Senior Erich Thanner ist für die Gestaltung der Außenpolitik und die Auswahl der Leserbriefe zuständig; Helmut Butterweck, seit Jahren festes Mitglied des FURCHE-Stabes, hat die Organisation der Kultur übernommen, einschließlich der Buchseite. Junior Alfred Grinschgl kommt von der „Südost-Tagespost“ in Graz und sorgt für die Innenpolitik. Dora Appelt illustriert die Texte durch einen Griff in ihr erst seit Jahren aufgebautes Bildarchiv und sorgt als ruhender Pol für den reibungslosen Ablauf des Geschehens (Daß sie daneben als „Verantwortliche“ vor dem Kadi erscheinen muß, wenn sich jemand ungerecht behandelt fühlt, war bisher nur einmal der Fall). Helga Holcik schließlich „übersetzt“ die durch handschriftliche Korrekturen unleserlich gewordenen Manuskripte in eine druckreife Form. Ja, und ich bin auch noch da, als Boß, nicht nur „über den Wassern“ oder „zum Anschaffen“. Kirche, Wissenschaft, Kulturpolitik fallen mir zu. Leitartikel, Kommentare, Glossen, Management, Kontakte - aber all das ist nicht auf mich allein beschränkt. Daran sind alle mitbeteiligt.

Natürlich können wir paar wenige unser Blatt nicht allein „machen“. Um uns als Kern gruppieren sich in mehreren Kreisen unsere Mitarbeiter, ständige und fallweise, vom Nestor der FURCHE-Redaktion, unserm mit Jahresbeginn in den Ruhestand tretenden, aber hoffentlich noch lange für uns aktiven Professor Fiechtner und unserm Literatur- und Ost-Kultur- Fachmann György Sebestyėn über die ständigen Kunstkritiker für Film, Theater, Musik, Bildende Kunst, Hörfunk und Fernsehen, bis zu den Berichterstattern in den Bundesländern; von den speziell für uns (wenn auch nicht nur für uns) schreibenden Korrespondenten in Bonn, Berlin, Paris, New York, Rom, Kairo, Tel Aviv, Kopenhagen, Stockholm und Athen, von den Spezialisten für Themen der Innenpolitik oder der Wirtschaft bis zu jenen vielen, die gelegentlich etwas anzubieten haben und in der Schar unserer Mitarbeiter nicht fehlen dürfen. Und bis zu den Jungen, die bei uns etwas lernen wollen. Und nicht zu vergessen: die Prominenten, die Fachleute, die Politiker, die nur in Ausnahmefallen nein sagen, wenn wir sie bitten, aus ihrer Sicht zu einem drängenden Problem Stellung zu nehmen.

Wieviel passiert im Lauf einer Woche? Wieviel hat davon Platz in der Zeitung? Wieviel kann und muß ausgewählt werden, um „dem“ Leser gerade jenes Angebot bieten zu können, das er von uns erwartet? Die Antwort darauf finden Sie jeden Donnerstag in der FURCHE. Diese Antwort muß jede Woche neu gegeben werden. Sie kann nie voll befriedigen, weil nicht nur die Erwartungen der Leser auseinandergehen, sondern auch die Ent-

scheidungskriterien immer wieder von neuem überprüft werden müssen. Die Entscheidung kann nie in einsamer Meditation fallen. Sie ist immer, das Ergebnis ständiger Diskussion in der Redaktion, mit unsern Freunden, mit Herausgebern, mit Kontaktleuten, nicht zuletzt mit dem Leser selbst.

Das beginnt mit der Redaktionskonferenz am Mittwoch nachmittag, kaum daß die letzte Nummer angedruckt wurde. Hier werden die Schwerpunktthemen für die kommende bestimmt, abgeklärt, was in Innen- und Außenpolitik zu behandeln ist, von welchen Mitarbeitern Beiträge eingeholt werden müssen, wer worüber Leitartikel, Glossen, Kommentare schreiben soll. Das zieht sich dann mit Recherchieren und Schreiben, mit Beschaffung und Bearbeitung der Beiträge, ihrer Illustrierung, ihrem Einfügen in die Gesamtheit der künftigen Seite - die ja schon auf dem Schreibtisch des Redakteurs skizzenhaft die Form erhält, wie sie später der Metteur mit dem Photosatz gestalten soll - über Donnerstag und Freitag, oft genug auch zum Samstag. Unterbrochen durch Gespräche mit Mitarbeitern, Kontaktleuten, Informanten, Politikern, Künstlern, in denen sich schon wesentliche Elemente späterer Nummern zusammenbrauen.

Mittags holt der Bote die fertigen Manuskripte, dann schon die ganzen Seitenspiegel mit Umbruchskizzen, Titel und Bildunterschriften, Photos und Karikaturen in die Strozzigasse, wo bereits die Setzer auf Material warten. Abends bringt der letzte, der die Redaktion verläßt - das ist mitunter nicht viel von Mitternacht entfernt die nächste Fuhr zum Nachtportier des Herold-Verlages. Nicht selten muß der Sonntag die nötige Ruhe geben, um den Leitartikel entstehen zu lassen. Montags, während die ersten Seiten schon „umbrochen“, auf einer Leuchtplatte in ihren Elementen zusammengestellt werden, erhalten die letzten, aktualitätsgebundenen Texte - Kritiken über Premieren des Wochenendes, politische Streiflichter, TV- Glossen - erst ihre Form. Der Dienstag ist fast vollständig dem Umbruch reserviert; wenn es klappt, braucht am Mittwoch früh nur mehr die letzte Kontrolle eingesetzt zu werden.

„Eine Zeitung für den Leser“ - das ist das Thema des elften Weltkongresses der katholischen Presse, der im Oktober in Wien stattfinden wird. Eine Zeitung für den Leser - das muß auch unser Ziel sein - Meditationen zu einer Gewissenserforschung bietet hierzu Franz Wülinger in dieser Nummer auf Seite 11. Eine Zeitung, die in engem Kontakt mit dem Leser entsteht, um ihm auf die Fragen, die ihn wirklich bewegen (soweit sie in unseren Machtbereich fallen), eine Antwort zu geben versucht. Eine Zeitung, die ihm Orientierung bietet auf seinem Weg durch unsere Zeit. Eine Zeitung, mit der auch er sich identifizieren und solidarisieren kann. Auch wenn sie nicht immer nur das bestätigen kann, Was er sich selbst denkt, ja selbst dann, wenn sie mitunter seiner Meinung widerspricht.

Auch wir haben noch nicht das Patentrezept erfunden, wie wir dieses hohe Ziel erreichen können - wir brauchen Ihre Mithilfe. Wir haben uns eine Menge Gedanken gemacht, wie wir den Kontakt mit Ihnen aufnehmen und pflegen können. Sobald diese Ideen mit Verlag und Werbung durchgesprochen und in konkrete Pläne (und Zahlen) gefaßt sind, werden wir Ihnen, mehr davon berichten. Heute können wir Ihnen aber schon verraten, daß wir auch für weitere Anregungen aus Ihrem Kreis dankbar sind.

Nicht zuletzt aber haben wir auch eine Bitte an Sie: Sind Sie mit uns unzufrieden, sagen Sie es uns. Sind Sie mit Uns zufrieden, sagen Sie es Ihren Freunden, die unser Blatt noch nicht lesen. Wir sind uns bewußt, daß uns so mancher Schnitzer unterläuft, und sind nicht beleidigt, wenn Sie uns darauf aufmerksam machen. Auch wenn wir so manche Begründung und Entschuldigung bei der Hand haben, so steigert doch der Rotstift des Lesers die Selbstkritik. Mitunter aber liegt es nicht an uns, wenn Sie meinen, Anstoß nehmen zu müssen, und ein klärendes Wort kann Mißverständnisse ausräumen.

Vor allem aber: Bitte, werben Sie für uns! Wenn jeder unserer (zufriedenen) Leser im Lauf dieses „‘Jahres des FURCHE-Lesers“ einen Freund für uns als Abonnenten wirbt, brächte uns dies schon sehr wesentlich weiter. Wir wollen doch erreichen, daß wir nicht mehr ständig von Zuschüssen abhängig sind, sondern allein existieren. Das müßte doch drin sein? Oder nicht?

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