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NOCH IST ES ZEIT

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Wenn man die Sache so recht betrachtet, kommt man gelegentlich zu der Ansicht, daß das Fernsehprogramm letztlich für die Zuschauer gemacht wird; oder doch gemacht werden sollte. Auch bei Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte, die sich durch die große Zahl derer ergeben, die durch das Fernsehen ihr Brot verdienen, muß man von der Seite der Produktion her die Tatsache im Auge behalten, daß fast jeder, der künstlerisch oder publizistisch (beides im weitesten Sinn des Wortes) tätig ist, von der Voraussetzung ausgeht, daß seine Leistungen auf irgendeine Weise ihr Publikum finden. Der Zuschauer ist so ein Wesensbestandteil des Fernsehens und verlangt als solcher eine entsprechende Berücksichtigung.

Das heißt nun nicht, daß man nur und unbedingt das bringen muß, was „die Zuschauer” haben wollen; das wäre auch technisch gar nicht möglich, da es in dieser Hinsicht kaum einen Wunsch gibt, der allen Zuschauern gemeinsam ist. Umso wichtiger erscheint es, daß sich die Programmgestalter des Fernsehens über die Reaktion der Zuschauer auf das gebotene Programm informieren. Und das nicht nur auf Grund zufälliger, an das Fernsehen herangetragener Äußerungen und Stellungnahmen, sondern gründlich und systematisch.

Seit langem schon bedient man sich in anderen Ländern zu diesem Zweck umfassender Zuschauerbefragungen, und es verdient besonders vermerkt zu werden, daß endlich auch das Österreichische Fernsehen mit solchen systematischen Untersuchungen begonnen hat.

Es ist nachgerade schon ein Gemeinplatz, wenn man heute davon spricht, daß wir in einem Zeitalter der Vermassung leben. Millionen fahren auf denselben Wegen in dieselben Urlaubsorte, werden von denselben Sehenswürdigkeiten auf die gleichen Standpunkte gestellt, hören die gleichen Erläuterungen und knipsen die gleichen Photos.

Was hier mit diesem Beispiel angedeutet wurde, findet sich auf sehr vielen Gebieten des Lebens, und den Vorteilen, die diese Erscheinung in manchen Fällen mit sich bringt, steht die innere Verarmung und Vereinsamung des einzelnen gegenüber. Darüber hinaus führt diese Form der Vermassung letztlich zu einer Angleichung der Interessen, der Wünsche und des Geschmacks. Und alle Einebnung — durch dieses Wort selbst schon treffend gekennzeichnet — geht immer in Richtung zum niedrigeren Niveau vor sich. Jedenfalls solange man sich selbst überläßt.

Unter dem Gesichtswinkel der Wirkung auf den Zuschauer betrachtet, weist das Fernsehen zwei besonders deutlich ausgeprägte Merkmale auf: die Breitenwirkung und die Tiefenwirkung.

Dfe Bi-filteffwirkung ergibt’ sich aus der großen Zahl der .Zu-, schaueti die durch das Fernsehen erfaßt werden, und durch die Faszinationskraft, mit der es die Menschen über ihr primäres Interesse hinaus zur Teilnahme zwingt. Die Tiefenwirkung des Fernseherlebens ist eine in ihren Zusammenhängen höchst komplizierte Erscheinung, mit deren genauer Untersuchung die Wissenschaft noch lange beschäftigt sein wird. Es ist die gewaltige prägende Kraft, die von dem kleinen bewegten Bild ausgeht, die in dem Menschen intensivere und nachhaltigere Wirkung auslöst, als er es selbst wahrnimmt oder gar wahrhaben will.

Mit dieser Zusammenschau von drei Tatbeständen, die bei oberflächlichem Hinsehen nur wenig Bezug zueinander haben, sollen die Gefahren aufgezeigt werden, denen man sich gegenübersieht, wenn man die eingangs erwähnten Zuschauerbefragungen auszuwerten und für die Praxis nutzbar zu machen sucht. Gerade das Fernsehen ist durch seine Breiten- und Tiefenwirkung dazu prädestiniert, die Vermassung des Geschmacks und die damit verbundene Erniedrigung des Geschmacksniveaus in einer Weise voranzutreiben, von der man sich wohl kaum die richtige Vorstellung machen kann.

Darum wäre es m hr als bedenklich, wollte man kritiklos, einfach nach statistischen Gesichtspunkten, das Programm den Mehrheitswünschen der Zuschauer anpassen. Das könnte in einen Kreislauf führen, der genau das zur Folge hat, was es zu vermeiden gilt. Es wäre auch völlig verfehlt, nur die positiven Stimmen der Pluspunkte zu verbuchen und die negativen als unmaßgeblich abzutun. Deswegen werden Zuschauerbefragungen nicht überflüssig, denn erst die Kenntnis der Reaktion der Zuschauer macht es möglich, die Ziele, die dem Fernsehen gesetzt sind, zu verfolgen. Sicher sind solche Überlegungen mit ein Grund dafür, daß man in vielen europäischen Fernsehländern bemüht ist, das Fernsehen aus dem Teufelskreis kommerzieller Notwendigkeiten herauszuhalten.

Wenn die Kritik an untermittelmäßigen Sendungen, an untragbaren alten Filmen vom Fernsehen mit der Begründung abgetan wird, daß man aus finanziellen Gründen auch zu billigeren Programmen greifen müsse, um die Sendezeit zu füllen, so muß dazu gesagt werden, daß die Aufgabe des Fernsehens nicht in einer Programmberieselung des Zuschauers liegen kann. Wenn die Geldmittel beschränkt sind, dann muß eben die Sendezeit diesen Mitteln angepaßt werden, und nicht die Qualität der Programme. Sollte das Fernsehen schließlich zu einem weiteren Träger seichter Unterhaltung werden, dann wäre es in der Tat zu bedauern, daß es erfunden wurde. Für diese Sparte ist schon in anderen Bereichen hinreichend gesorgt.

Aber das Fernsehen steht, als Massenmedium gesehen, noch am Beginn seiner Entwicklung. Noch haben wir es in der Hand, daraus ein Instrument zu machen, das den schädlichen Entwicklungstendenzen unserer Zeit, das der Vermassung und Nivellierung entgegenwirkt, das ohne Zwang, aus seinen Wirkungsmöglichkeiten heraus, jene Bildung zu verbreiten vermag, die uns verloren zu gehen droht, und das zu einer Hebung des Geschmacksniveaus führt — wenn auch vielleicht im Sinne einer Vermassung —, ein Medium, das eine kulturelle Mission — im besten Sinne des Wortes — erfüllt.

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