6777849-1969_29_07.jpg
Digital In Arbeit

Einsames Medium

Werbung
Werbung
Werbung

Eine Andeutung, wie sich die Kleinkunst (und so ganz nebenbei auch das Volkslied) durch das Fernsehen erneuern könnte, erhielt man vorige Woche durch das Auftreten des Pianisten-Komponisten Gulda und des Liedersängers Golowin in Bronners „Großer Glocke“. Hier wurden Ansätze zu moderner Volkstümlichkeit und Volkskunst spürbar. Wieder einmal wurde man gewahr, daß es dabei im Grunde „ganz einfach“ nur um genügend Fleiß, Willen und Können geht, die Menschen der eigenen Zeit nachzuschaffen und sich nicht faul auf soziologische Beschreibungen von Verhältnissen zu beschränken. Freilich gehört dazu auch — man entschuldige das altmodische Wort — Liebe zu den Menschen, die den meisten Autoren heute zu fehlen scheint. Es könnte auch sein, daß sie sich ihrer schämen oder dsaß es ihnen 'zu anstrengend ist, sie aufzubringen. So soll die Soziologie alles ersetzen: der teuerste Irrtum unserer Zeit. Wir bezahlen ihn mit Entmenschlichung und Verfunktionalisierung. Durch's Fernsehen erweist sich dies alles besonders kraß: im noch nie dagewesenen Ausmaß von Vergesellschaftung der geistigen Güter bei einer unerhörten physischen Vereinsamung des Menschen. Das Fernsehen bringt uns, jedem für sich, a&les ins Haus: laufende Information über alle gesellschaftlichen Vorgänge, die Künste, Meinungen, ja selbst noch Meditation — der anderen. Denn wir erhalten alles ja nur als einsamer Konsument und „Empfänger“ und nicht als mitwirkender Produzent und Geber. Für uns wird von dafür honorierten Leuten gedacht, gefühlt, kreiert, ja sogar noch gestritten. Müßten wir nicht hinausgehen ebenfalls Geld zu verdienen, etwa für das Füllen von Leberwürsten und den Verkauf von Textilien, dann könnten wir, ohne dien Fuß vor die Tür zu setzen, durch Hör- und Sehfunk in das gesamte geistige Geschehen einbezogen sein — freilich ohne das Geringste dazu tun zu können.

Noch nie zuvor konnte einer so großen Zahl von Menschen etwas mitgeteilt werden. Und noch nie war das Mitzuteilende so arm an menschlichem Wert. Ich bin kein Kulturpessimist. Ich stelle nur die Gefahr der völligen Entmenschlichung fest, in der wir uns infolge der Vermassung der Kommunikationsmittel befinden. Diese könnten ebenso dazu befähigt werden, uns wirklich inhaltlich unendlich zu bereichern. Es muß

mit der — anscheinend besonders schwierigen — Bemühung beginnen, den Ansprüchen verschiedener Publikumsgruppen zu entsprechen. Solange das Fernsehen diesen Ansprüchen nicht Rechnung trägt oder sie weckt, so lange wird es ein Instrument der Nivellierung und damit der Unkultur und außerstande sein, originale Impulse zur Neuschaffung des Menschengesichts unserer Zeit zu

ermutigen und ihnen Auswirkung und einen Rahmen zu bieten. Wie wenig oder wenig bewußt das geschieht, kann man bei der Durchsicht des jüngst veröffentlichten Jahrbuchs des ORF feststellen. Hier ist alles in Reinkultur da: die mechanische Einstufung der „Höchsterfolge“ durch rein quantitative Bewertungsmethoden auf der Grundlage, des komformisti-schen breitesten und somit undif-ferenziertesten Nenners. Die Rundfunkleute wenden ein, daß derzeit keine Möglichkeit zu starker Differenzierung besteht, weil es nicht genug Kanäle für viele verschiedene Programmsysteme gibt. Dem ist jedoch nicht so — zumindest was die technischen Möglichkeiten betrifft. In der deutschen Bundesrepublik beschäftigt man sich schon seit längerer Zeit mit der technologischen Erschließung des Zentimeterwellenbandes, das ähnliche, ja sogar weitere Perspektiven für das Fernsehen eröffnet, als seinerzeit die Vitrakurzwellen für den Hörfunk. Wenn auch nur unter räumlich beschränkten Bedingungen anwendbar (regional und lokal und insbesondere in städtischen Gebieten) so wird die Auswertung des Zentimeterwellenbereiches nach Aussagen der Techniker den Betrieb dutzender Programme nebeneinander und domit deren inhaltliche Differenzierung für verschiedene Zwecke und Pubti-kumsgruppierungen ermöglichen. Was dies zum Beispiel allein für das um eigene Kanäle ringende Büdungsfernsehen bedeuten

könnte, kann man sich leicht vorstellen. Im großen und ganzen jedoch geht es um die Vermenschlichung unserer Gesamtkultur, deren Träger das Fersehen und der Hörfunk nun einmal sind, ob wir es wollen oder nicht wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung