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Durch die Hintertür

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Mit breitmäuligem Gequake und hektischem Gefuchtel versucht Baron Habe-schon-Alles die störrische Prinzessin herumzukriegen. „Nein”, kreischt die Umworbene im Bühnenstück vom König Drosselbart, „nein und nochmals nein.” Und Friedrich Karl Waechter, 53, Zeichner satirischer Cartoons und Dichter von Theaterstücken für Kinder und Jugendliche, sinkt stöhnend tiefer in den Zuschauersessel: „Da müssen wir nun durch.”

Während die Kinder aus Marzahn und Berlin-Mitte selbst in der Pause noch ergriffen flüstern, kommentiert Regine, 9, aus Kreuzberg keß: „Die sind ja viel älter als ich, aber sie benehmen sich genauso wie Kinder - ich denke, die spinnen.”

Den Dresdner Theatermacher Manuel Schöbel, 30, der jüngst zum neuen Intendaten des größten Kinder- und Jugendtheaters der ehemaligen DDR, „Theater der Freundschaft” in Ost-Berlin, berufen wurde, ficht derlei Kritik nicht an. Er wünscht sich „Zuschauerspieler”, die differenziert reagieren und unterschiedliche Meinungen haben dürfen. „Früher war das doch hier nicht möglich”, sinniert er, „da wurde kollektiv ,ah' und öhgerufen, wenn der Theatervorhang aufging. „Ein Ort für alle Generationen, die sich zu „vergnüglichen Experimenten” treffen, soll von nun an sein Theater sein.

Die ehemalige DDR gilt selbst heute noch als Wunderland des Kinder- und Jugendtheaters.

Es gab viele „Ans” und „Ohs” zu hören, es gab auch Experimente zu sehen auf dem ersten gesamtdeutschen Kinder- und Jugendtheater-Treffen in' Ost-Berlins „Theater der Freundschaft” - vor allem aber wurde dort eine Bestandsaufnahme gemacht. Wie stehen die Gruppen und Ensembles aus dem Westen da? Was bleibt von den einst hoch subventionierten Bühnen aus dem Osten? Und was haben beide einander mitzuteilen? Die Ost-Theatermacher fürchten Fragen wie „Hat die SED euch denn nicht ständig reingeredet?” - und Westler Waechter wiegte klagend das ergraute Struwwelpeter-Haupt: „Wir behandeln einander wie rohe Eier, aus Angst, uns gegenseitig zu verletzen.”

Dabei braucht sich keiner vor dem andern zu verstecken. Die ehemalige DDR gilt selbst heute noch als Wunderland des Kinder- und Jugendtheaters. Während sich allenfalls am West-Berliner „Grips-Theater” eine professionelle Jugendtheater-Szene etablierte, wurden im Osten Stückeschreiber,

Schauspieler und Regisseure für das Kindertheater zumeist nach einem Hochschulabschluß auf die Kinder losgelassen. In der Praxis allerdings schlugen sie sich dann häufig mit ideologischen Problemen herum, denn Linientreue war Pflicht.

Durch die Hintertür aber gelang es doch, Kindertheater auch kritisch in Szene zu setzen. So wurde zum Beispiel das kleine „Theater ohne Namen” am Kollwitz Platz im Prenzlauer Berg Ende der achtziger Jahre zum Geheimtip. Als eine Art Laienspielschar von den Kultur-Kontrolleuren mißachtet, entstand in den ehemaligen Proberäumen des „Theaters Zinnober” ein freischaffender Kindertheater-Untergrund.

Die von Kennern hoch gelobten, mit hintergründigem Sprachwitz agierenden Puppen-, Marionetten- und Schattenspieler der namenlosen Bühne schreiben ihre Texte zumeist selbst oder spielen für Erwachsene auch schon mal „Das Totenbett mit Happy-End”, ein in den zwanziger Jahren entstandenes Lustspiel des Dadaisten Kurt Schwitters. Die „Freien Kammerspiele Magdeburg” erhitzen inzwischen mit dem choreographischen Experiment „Medea-Momente” die Gemüter, und das Ost-Berliner Theater der Freundschaft” holt mit „Erpressung”, einem „Zeitstück” der sowjetischen Dramatikerin Ljudmila Rasu-mowskaja, nach, was früher verboten war: das Protestieren. „Furchtbar anstrengend” sei das allerdings, erklärt der Dresdner Schöbel, „denn wenn ein ganzes Land umschaltet von ,Du mußt!' auf ,Du kannst machen, was du willst', dann kommen auf jeden Fall die Schwächsten zu kurz - die Kinder”.

Kinder werden Theater womöglich mehr brauchen als Erwachsene.

Auch Altvater Ivan Nagel, einst Intendant in Hamburg und Stuttgart, zur Zeit als Hochschullehrer in der Hauptstadt tätig, ist tief besorgt. In seinem Gutachten zur Lage der Berliner Theater resümiert er, unterstützt von drei Kollegen: „Das Aufwachsen in Berlin wird keine einfache Sache sein in den nächsten Jahren. Kinder werden Theater womöglich mehr brauchen als Erwachsene.” Allerdings hat auch Nagel kein Rezept dafür, wie man „mit Resten von Finanzmitteln Reste von Berlins Theaterleben retten kann”.

Eine halbe Million Mark, schätzt Schöbel, wird er mit seinem 520 Plätze umfassenden Theater einspielen, mit Schulklassen-Abonnements und über den freien Verkauf. Die restlichen zehn bis zwölf Millionen, die er für die Gehälter seiner derzeit 150 Mitarbeiter, für die Bühnenausstattung und den baulichen Unterhalt seines renovierungsbedürftigen Hauses braucht, müßten aus Subventionen zufließen.

Beim Gerangel um Geld von den Kulturbehörden wird der selbstbewußte Jung-Inten-dant kaufmännischen Spürsinn entwickeln müssen. Denn während die ehemalige DDR ihre Kinder- und Jugendbühnen finanziell so üppig ausstattete, daß westliche Kollegen nur neidisch nach drüben blicken konnten, litten und leiden die zumeist privaten westdeutschen Jugendbühnen unter chronischem Mangel an Barem. Das Hamburger „Klexs-Theater”, zu anti-autoritären Kinderladen-Zeiten gegründet, mußte

1990 sogar dichtmachen - ein Schicksal, das womöglich auch mancher Ost-Bühne droht.

Unsere Utopien waren ja nicht alle schlecht. m

Spendabel sind nur die Stadtväter aus Frankfurt und München. Dort werden die Jugendbühnen mit fünf und vier Millionen Mark unterstützt. In Berlin beschränkt sich die Unterstützung einstweilen auf Versprechungen: „Kindertheater sind die kulturelle Einstiegsdroge”, meint der Pressesprecher des Kultursenators, Rainer Klemke, „da müssen wir schon einiges lockermachen.”

In einer Sache allerdings bleiben die Berliner Behörden stur. Der „stalinistisch-verbla-sene Name” des Ost-Berliner „Theaters der Freundschaft” soll so bald wie möglich verschwinden. Er könne ja in Klammern weitergeistern, bis ein neuer Name gefunden ist. Nostalgisch gibt der neue Hausherr Schöbel zu bedenken: „Unsere Utopien waren ja nicht alle schlecht.” aus: Spiegel 13. 5. 91

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