6624950-1956_02_10.jpg
Digital In Arbeit

Berlin

Werbung
Werbung
Werbung

Wer aus Wien nach Berlin kommt, findet im Theaterleben zwei interessante Erscheinungen vor: das Nebeneinander von acht Theatern in den Westsektoren und neun Theatern in den Ostsektoren, und dann die auf den ersten Blick vielleicht überraschende Tatsache, daß in beiden Welten Oesterreicher, Prominente und weniger bekannte, als Leiter, Schauspieler, Regisseure eine bedeutende Rolle spielen. — Das Berlin der 1930er Jahre war, nicht zuletzt mit seinen vierzig Theatern, die bewegteste, turbulenteste, experimentierfreudigste Stadt des kulturellen Lebens in jener Zeit kurz vor Hitler, die so reich war an Versuchen, die dann abgewürgt wurden. Berlin heute hat es schwer genug: die 'Gefahr politischer und wirtschaftlicher Abschnürung ist immer und wieder groß, die Arbeitslosen in West-Berlin, der politische Zwang in Ost-Berlin schaffen eine beengende Atmosphäre. Berlins Theater leiden zudem unter einem zweifachen Sog: trotz aller Zuschüsse sind die West-Berliner Bühnen finanziell den Bühnen der Bundesrepublik nicht ge-■ wachsen, die Berlins Schauspieler und Theaterleute aufkaufen; dazu treten finanziell verlockende Angebote aus der DDR, die zu einer Abwanderung begabter jüngerer Kräfte geführt haben. — Der kalte Krieg, in der Insel Berlin, intensiv von den Massen miterlebt, hat aber nun gerade im Theaterleben auch zu manchen Erscheinungen geführt, die als gesunder Wettstreit gewertet werden Wussen. Nicht selten stehen ja in Ost- und West-Berlin dieselben Stücke auf dem Spielplan. Das gilt für Lessings „Nathan der Weise“ im Deutschen Theater an der Schumannstraße (Ost-Berlin) und im Schiller-Theater (West-Berlin), gilt für die „Zauberflöte“ und manche andere Oper Mozarts, die von dem Oesterreicher Walter Felsenstein als dem Leiter der Komischen Oper im früheren Metropolthcater in Ost-Berlin ebenso innig wie die West-Berliner Städtische Oper unter der Leitung Carl Eberts betreut wird.

West-Berlins führende Sprechbühne, das Schiller-Theater in Charlottenburg, unter der Führung des alten Berliner Theatermannes Boleslaw Barlog, hat in den letzten Monaten große Erfolge mit Lessings „Nathan“ (mit Ernst Deutsch), mit einer „Don-Carlos“-Auffiihrung und einer -vieldiskutierten Bearbeitung und Dramatisierung von Tolstojs „Krieg und Frieden“ durch Erwin Piscator, den bekannten Avantgardisten des Berliner Theaters aus der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, erzielt. Barlog betreut als Intendant auch das Schloßtheater in Steglitz, das es gewagt hat, wieder in einer Inszenierung Pisca-tors, Faulkners „Requiem für eine Nonne“, eines der gewagtesten Stücke unserer Zeit, mit der auch in

Wien bekannten Joana Maria Gorvin, auf die Bretter zu bringen. Hier ist nun auch Georg Kaisers Wintermärchen „Silbersee“, mit der Musik von Kurt Weill, neu herausgekommen: dieser Schwanengesang des freien Berliner Theaters aus dem Februar 1933. West-Berlins Theater bezieht seine Impulse aus eben diesen beiden Kraftquellen: von einigen großen Alten aus der Zeit von 1933, und von einigen meist aus Oesterreich stammenden Theaterleuten. Das bezeugt vielleicht am nachdrücklichsten das „Theater am Kurfürstendamm“ unter der Leitung von Oscar Fritz Schuh und Siegfried Nestriepke. Dieses Haus der „Freien Volksbühne“, einer Besucherorganisation, der auch 23.000 Ost-Berliner angehören (was ihre kulturpolitische Bedeutung als Tor in die östliche Welt unterstreicht), hat soeben O'Neills „Trauer muß Elektra tragen“, mit Maria Wimmer und Annemarie Düringer, zwei vom Wiener Burgtheater her wohlbekannten Erscheinungen, herausgebracht. Oscar Fritz Schuh bringt zudem immer wieder Oesterreicher auch als Autoren auf die Bühne. Weit bekannt wurde sein Berliner Erfolg mit Raimunds „Gefesselter Phantasie“. Das echt Poetische, das wahrhaft „Rührende“, das eigentümlich Menschliche des Wiener Volksdichters hat die Berliner ergriffen und mitgerisssen — kontrastiert es doch färbig und leuchtend mit ihrem harten, grauen und oft beengten Alltag.

In Ost-Berlin hat der Oesterreicher Walter Felsenstein die Komische Oper zu einer Bühne aufgebaut, die durch ihre stark persönlichen, akzentuierten Aufführungen (zuletzt die „Schweigsame Frau“ von Richard Strauß) und durch das Temperament ihres Leiters sich vorteilhaft von den offiziellen Bühnen des ostdeutschen Regimes abhebt, die einem verstaubten Klassizismus, einer pompösen Rhetorik und einer Imitation des sowjetischen „sozialistischen Realismus“ huldigen. Die „Deutsche Demokratische Republik“ hat keine finanziellen Mittel gescheut, um die Deutsche Staatsoper Unter den Linden mit all der alten verblichenen Rokokoselickeit wiederaufzubauen und zu einem schwerfälligen konser-vativistischen Sänsvrinstitut einzurichten. Dem entspricht, auf der Sprechbühne, das „Deutsche dämm. Die Welt des Theaters! Vielleicht dokumentiert sie ihren Glanz, ihre Größe und ihren Schein nirgends so deutlich wie in diesem aufgerissenen Herzen und Hirn Deutschlands, in der Theaterstadt Berlin..

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung