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Das Burgtheater beim Holland-Festival

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Alljährlich im Frühsommer wird in der Regierungsstadt Den Haag mit seinem mondänen See- badevorort Scheveningen, in der Hauptstadt Amsterdam und in einigen bedeutenden Provinzstädten das 30 Tage dauernde Holland-Festival, das unter dem Ehrenschutz der Königin Juliane und des Prinzgemahls Bernhard steht, organisiert. Präsident dieses Festivals ist Dr. H. J. Re i- n i n k, Generalsekretär des niederländischen Unterrichtsministeriums. Zu dem Festival kamen heuer mehr als 200 ausländische Journalisten und zahlreiche Besucher aus den westlichen Ländern.

Neben der Mailänder Scala, dem Sadler-Wells- Ballet, dem Théâtre National Populaire aus Paris und verschiedenen ausländischen Orchestern sowie Dirigenten und Solisten hat auch das Wiener

Burgtheater an diesen Festspielen teilgenommen, an denen Oesterreich nur noch durch Prof. Krips als Dirigent und Prof. Anton Heiller vertreten war. Leider mußte das Burgtheater unmittelbar nach den einen überwältigenden Eindruck hinter- lassenden Vorstellungen des Théâtre National unter Führung von Jean Vilar, das mit außerordentlichen Inszenierungen von Corneilles „Le Cid" und Molières „Don Juan" das Publikum und die Presse faszinierte, mit einer etwas abgespielten alten Inszenierung von Lessings „Nathan, der Weise" seine erste Visitenkarte in Den Haag abgeben. Es war trotz der großen Kunst eines Aslan in der Titelrolle eine matte Vorstellung, die in keiner Weise überzeugen konnte. Der Beifall des ausverkauften Hauses war höflich, die Kritiken sprachen im allgemeinen von einer Enttäuschung. Einige Tage später geschah bei der Aufführung des gleichen Stückes in Amsterdam ein kleines Theaterwunder. Die Aufführung war nicht wiederzuerkennen, es gab einen ehrlichen großen Erfolg; da aber die meisten holländischen Kritiker bei der ersten Vorstellung in Den Haag waren, kam dieser Erfolg leider für die Presse zu spät.

Viel einheitlicher und größer war der Eindruck des zweiten Tourneestückes, der Schnitzler-Insze-

nierung der Wiener Festwochen. Je nach persönlicher Einstellung der Kritik wurde die „Liebelei" oder „Komtesse Mitzi" mehr gelobt, einstimmig aber die große Ensemblekunst aller Mitwirkenden und das elementare Erlebnis der Gestaltung der Christine durch Inge Konradi hervorgehoben. Einer der maßgeblichsten Kritiker, selber ein bekannter holländischer Schauspieler, schrieb hiezu: „Die Wiener haben in diesem mir sosehr bekannten Theaterstück mich so sehr gerührt, wie ich es bei einer Theatervorstellung nicht mehr für möglich hielt. Es war eine unvergeßliche Vorstellung. Das war am Ende kein wohlwollender Höflichkeitsbeifall (wie beim „Nathan" in Den Haag), das war ein geräuschvoller Gefühlsausbruch der Bewunderung, Dankbarkeit und Vertrauen auf ein baldiges Wiedersehen." Bemerkenswert war auch, wie sehr die Zuhörer von der ihnen immerhin nicht geläufigen wienerischen Bühnensprache sichtlich genossen haben.

Zur Auswahl der mitgebrachten Stücke wurde vor allem von der katholischen Presse bedauert, daß man mit Lessing und Schnitzler in ein Land kam, wo ungefähr 40 Prozent Katholiken leben, die es zum größten Teil mit ihrem Glauben sehr ernst nehmen. Man hätte auch lieber einen modernen österreichischen Autor kennengelernt, der sich mit den Problemen der heutigen Zeit auseinandersetzt.

Besonderen Dank verdienen jedoch alle Mitglieder dieser sehr anstrengenden Tournee. Da nämlich zum Unterschied von den anderen ausländischen Gesellschaften das Burgtheater vom eigenen Lande keine Subvention empfing, konnten die trotz geringer Gagen sehr hohen Kosten des Gastspiels nur durch zusätzliche Vorstellungen in verschiedenen Provinzstädten gedeckt werden. Dies bedeutete sehr strapaziöse Reisen durch das ganze Land. Das Holland-Festival-Komitee weist, wie alle Festspielorganisationen, ein beträchtliches Defizit auf und ist nur im geringsten Maße in der Lage, ausländischen Gastspielen Subventionen zu widmen, da vor allem die heimischen Gesellschaften, die am Festival teilnehmen, finanziell gefördert werden müssen. Diesem Umstand und der großen internationalen Bedeutung des Holland- Festivals trugen, wie schon erwähnt, die englischen, französischen und italienischen Kulturinstitutionen bzw. Regierungen Rechnung.

Das Burgtheater wurde überall mit großen Ehren aufgenommen. Festliche Empfänge seitens des Holland-Festivals, der verschiedenen städtischen Autoritäten, der österreichischen Vertretungsbehörden sowie Führungen und viele private Aufmerksamkeiten zeigten den Wiener Gästen, wie willkommen ihr Besuch hier war. Wenn es auch verfehlt wäre, wie dies so gerne bei Auslandsgastspielen getan wird, Triumphmeldungen in der heimischen Presse hierüber zu lancieren, so darf abschließend doch gesagt werden, daß das Burgtheater in einem seit vielen Jahren nicht dagewesenen Gastspiel in einem fremdsprachigen Land in elf Tagen mehr als 20.000 Niederländer von der hohen Schauspielkunst in Wien überzeugen konnte. Ausführliche Pressevorberichte informierten Millionen von Lesern über die Bedeutung des Wiener Burgtheaters für die deutsche Theatergeschichte. Rund 6000 Mittelschülern wurde gegen geringes Entgelt die Möglichkeit geboten, eine Lessing-Aufführung in deutscher Sprache zu erleben. Der Boden für ein neuerliches Gastspiel des Burgtheaters ist also in den Niederlanden gut vorbereitet. Möge dieses zweite Gastspiel, das kommen wird und kommen muß, durch eine sorgfältige Auswahl der Stücke und der Bedeutung des Anlasses entsprechende künstlerische Vorbereitung auch jene Kreise in Holland restlos von der Größe des Wiener Burgtheaters überzeugen, die diesmal noch aus dem einen oder anderen Grunde etwas enttäuscht wurden. Die Tränen, von vielen Zuschauern am Ende der „Liebelei" geweint, das befreiende Lachen bei der „Komtesse Mitzi" und die einmalige Leistung Aslans als Nathan werden noch lange vielen hier in Erinnerung bleiben.

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