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ES WAR GERADE NOCH ausgegangen: die Sänger nahmen noch dankbar den Applaus des begeisterten Publikums entgegen, als die holländische Delegation schon zu den Autobussen eilte, um den Zug, der In wenigen Minuten abgehen sollte, im letzten Moment zu erreichen. Das Wissen um die Abfahrtszeit des Zuges, der stetig vorrückende Uhrzeiger, der verzögerte Beginn, dies alles verlieh der festlichen „Don-Giovanni “-Aufführung der Wiener Staatsoper einen Hauch unmusikalischer Spannung...

Echte Spannung allerdings beherrschte den XIX. Weltkongreß der „Musikalischen Jugend“ oft genug:

dann etwa, wenn es um die Verteilung noch gar nicht vorhandener Hotelbetten ging, oder hinter den Polstertüren des Kammersaales, wo über die Aufnahme neuer Mitgliedsländer und gewisse Statutenänderungen mit einem Eifer verhandelt wurde, wie er nicht einmal bei der Vollversammlung der UN in New York anzutreffen ist.

IM SPÄTHERBST 1948 HATTE ES IN Österreich begonnen: damals machte man sich in Wien Gedanken über eine Gründung einer österreichischen Sektion der „Jeunesses Musicales“; im Frühjahr 1949 fanden dann die ersten Konzerte statt. Neben der „Neunten“ von Beethoven spielte man Strawinskys „Sacre du printemps“, Franz Schmidts „Buch mit den sieben Siegeln“ und Werke von Bartok. Eine Fragebogenaktion unter diesen ersten Mitgliedern zeigte damals kuriose Ergebnisse: die überwältigende Mehrheit war für Beethoven, Mozart, Schubert, auch für alle von der Schule her bekannten Komponisten; es bestand aber kaum Nachfrage nach Werken unseres Jahrhunderts. Diese Fragebogenaktion war entscheidend für das Konzept, das sich die österreichischen „Jeunesses Musicales“ dann schließlich setzten, ein Konzept, das gerade die österreichische Sektion zu ihrer führenden Position innerhalb der Weltorganisation führen sollte: Es galt, sich zu entscheiden, welcher

der beiden Richtungen, die von den Statuten der internationalen „Jeunesses Musicales“ empfohlen worden waren, das Schwergewicht gegeben werden sollte. Nach den Jahren des Krieges, einer erzwungenen Pause, war das „Musikhören“ — der Mentalität der Wiener Jugend entsprechend — zunächst wichtiger, denn bei der Auswertung der Fragebogen stellte sich heraus, daß damals immerhin 77 Prozent der Mitglieder ein oder mehrere Instrumente beherrschten und mehr als 15 Prozent in irgendeiner Form Kammermusik betrieben. Außerdem sollten vor allem die Werke unseres Jahrhunderts den Mitgliedern zugänglich

gemacht werden: Das Ergebnis der Fragebogen war doch etwas blamabel. ★

SCHON IN DER NÄCHSTEN Saison besuchten 1800 Mitglieder die für sie veranstalteten 15 Konzerte. Und das war der erste Schritt zur heutigen Bedeutung. Denn, beeindruckt von diesem Erfolg, beauftragte die FIJM die österreichische Organisation, den V. Weltkongreß in Wien durchzuführen, zu einer Zeit, als Eisenbahn und Postverkehr von den Besatzungstruppen kontrolliert wurden! Die Anmeldeformulare der Ausländer trugen den Stempel der Zensurbehörde; der französische Hochkommissar spendete das Benzin für den Ausflug in die Wachau.

Bald darauf — 1951 — kam es

zum Kontakt mit der „Gesellschaft der Musikfreunde“, ein Kontakt, den Spötter immer wieder mit einer Ehe verglichen wissen wollen, wo kleine häusliche Auseinandersetzungen, Schetidungsdrohungen und glückliches Zusammenleben den ehelichen Alltag bestimmen. Die Voraufführungen der großen Abonnementkonzerte der „Gesellschaft“ brachten einen großen Zuwachs an Mitgliedern mit sich; auch in Linz wurde 1951 eine Sektion gegründet. Der Gründung eigener Ensembles zweiter Punkt des Konzepts — war die Arbeit gewidmet, die im Laufe der folgenden Jahre einsetzte. Und da konnten mit einem minimalen Aufwand an Zeit und Personal großartige Projekte realisiert werden. Es ist heute oft unvorstellbar, mit welch bescheidenen Mitteln damals Konzerte organisiert wurden, Sektionen entstanden, Abonnenten und Musiker geworben werden konnten! Der Einsatz an Idealismus, Arbeitszeit und oft an eigenem Taschengeld war einzigartig. Die Wiener „Jeunesses“ besaß zu dieser Zeit nichts außer einer kleinen Handkassa und einem Telephon. Alles übrige — vom Bleistift über den Kontrabaß bis zu einem Büroraum — mußte in langwierigen Verhandlungen von Gönnern, die zum Glück allerdings immer vorhanden waren, erbeten werden: vor allem die Gesellschaft der Musikfreunde, die Wiener Konzerthausgesellschaft, das Tonkünstlerorchester müssen hier genannt werden, ebenso aber die Hausverwaltungen von Musikverein und Konzerthaus, die immer wieder beide Augen zudrückten, wenn irgendwo Musiker oder Ensembles der „Jeunesses“ ihre Partien übten oder Proben abhielten. Zu den Gönnern sind nicht zuletzt die Wiener Philharmoniker zu zählen, die immer wieder duldeten, daß sich die Kontrabassisten und Schlagzeuger der „Jeunesses“, meist ohne zu fragen, ihre Instrumente „ausliehen“ ...

*

1957 GAB ES IN WIEN BEREITS 9000 Mitglieder, für die rund 60 Konzerte veranstaltet wurden. Es gab ein „Jeunesse-Orchester“, das Konzerttourneen nach Belgien und Frankreich unternahm; es gab eine Reihe von Ensembles (das convivium musicum vindobonense, das Wiener Barockensemble, später die „Wiener Solisten“, die „Musica antiqua“, das Ensemble „die reihe“, das „Eichendorff-Quintett“, schließlich den „Wiener Jeunesse-Chor“).

Im Frühjahr 1957 fand in Wien wieder ein Jeunesses-Weltkongreß statt, auf dem die Stellung der Jeunesses Musicales auf nationalem und internationalem Gebiet durch zahlreiche Resolutionen verstärkt wurde.

Der Aufbau ging weiter. In den Städten der Bundesländer wurden Sektionen gegründet; 1964 schließ-

lieh war das selbstgesteckte Ziel im wesentlichen erreicht: Sektionen in alles Bundesländern, 240 Konzerte mit Programmen aller musikalischen Richtungen, Spezialensembles zur Aufführung jedes Programms, Austauschreisen der besten Ensembles der „Jeunesses“, fruchtbare Zusammenarbeit mit den großen Konzertgesellschaften, gemeinsame Veranstaltungen mit Rundfunk und Fernsehen. Es gab Anerkennung und Erfolg, Spenden und Subventionen. Es gab auch den ehrenvollen Auftrag, zum drittenmal einen Jeunesses-Kongreß in Wien durchzuführen.

NATÜRLICH GAB ES EINIGE Aufregung, als die Kongreßteilnehmer aus den 23 Teilnehmerstaaten und 25 Beobachterländern in den Vormittagstunden des 4. Juni in Wien eintrafen, in einer Stadt, in der Hotelbetten nicht leicht zu bekommen sind, in einer Stadt, die sich anschickte, in glanzvollen Festwochen eine verlängerte Saison zu begehen. Der Wirbel des Ankunftstages bereitete den Kongreßstrategen einiges Kopfzerbrechen: Wohl war seit Monaten alles bestellt, gesichert, geregelt, doch war — vor allem bei der Ankunft der temperamentvollen Südländer — die Planung vollkommen umgestoßen ...

Abends dann war es geschafft. Jeder „Kongressist“ hatte sein Dach

über dem Kopf, sei es wienerischluxuriös im Hotel Sacher, militärisch-spartanisch in der Marokkanerkaserne oder aber kleinstädtisch-beschaulich im nahen Korneuburg.

FANFAREN, FESTREDEN, EIN glanzvoller Empfang im Brahmssaal: das war der Auftakt. Regen, intensive Probentätigkeit, Sitzungen der Generalversammlung und der Unterkommissionen: das war der Alltag. Randvoll mit Arbeit, mit technischen Problemen, mit Fragen der Organisation.

Hatte die Generalversammlung ein umfangreiches Programm zu bewältigen — zahlreiche Aufnahmeansuchen standen beispielsweise auf der Tagesordnung —, so hatten die Unterkommissionen vor allem Einzelheiten zu beraten, die für die Arbeit der Organisation von Bedeutung sind. „Furche“-Redaktionsmitglied Dr. Horst F. Mayer wurde zum Präsidenten der Pressekommission gewählt, in der man um eine Koordination der JM-Presse der ganzen Welt bemüht war.

Zum Symbol der Idee der „Jeunesses Musicales“ wurde auch heuer das Kongreßorchester, in dem sich Musiker aus vielen Ländern zusammenfanden, um unter der Leitung des indischen Dirigenten Zubin Mehta, der einst selbst im Wiener Jeunesse-Orchester Kontrabaß gespielt hatte, zu proben und schließlich — am 8. Juni — das Galakonzert zu bestreiten, das zu einem ungeheuren Erfolg für Orchester und Dirigenten wurde.

Das musikalische Programm war ungewöhnlich reichhaltig: Kammermusikensembles, Ballettvorführungen, Solistenkonzerte — dies alles bot ein Mosaik bunter Tupfen auf dem sonst eher regengrauen Hintergrund des Kongresses ...

HINTER DEN POLSTERTÜREN DES Kammersaales ging es unterdessen weniger heiter zu: die Ansuchen zahlreicher Länder um Aufnahme wurden recht heftig diskutiert, endlich vorläufig abgelehnt. Nur Ungarn — dessen Rechtsberater übrigens der Obmann der österreichischen JM, Dr. Franz Eckert, war — wurde aufgenommen. Zoltän Kodäly, Ehrenpräsident der ungarischen Organisation, wurde von seinen glücklichen Landsleuten sofort-telegraphisch davon unterrichtet.

„Der Kongreß musiziert“ hatte ein Wiener Journalist über den JM-Kongreß geschrieben, das Wort des Fürsten de Ligne abwandelnd. Die ungeheure Arbeit, die hinter allem steckte, war — glücklicherweise — nicht wahrzunehmen...

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