Ein Musikland hat viele Facetten

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Die Frage stellt sich mit schöner Regelmäßigkeit: Ist Österreich ein Musikland? Musikvereins-Intendant Thomas Angyan antwortet aus eigener Erfahrung und europäischer Perspektive, die Wiener Festwochen wollen es mit einem groß angelegten Wettbewerb für Chöre beweisen: "Österreich singt.“

Mit den ganzen Restriktionen im letzten Jahr bin ich der Überzeugung, dass man die Frage Musikland Österreich eindeutig mit Ja beantworten kann. Die Kürzungen in unseren Nachbarländern, aber auch in anderen Ländern der EU, wo wir unsere europäische Konzertveranstaltertagung haben, sind zum Teil wirklich erschütternd. So sollen in Großbritannien in den nächsten vier Jahren insgesamt 40 bis 45 Prozent gekürzt werden. In den Niederlanden wurde mit Jahresbeginn die Mehrwertsteuer für Konzertkarten von sechs auf 19 Prozent erhöht, also der reduzierte Mehrwertsteuersatz weggenommen. Oder Griechenland, wo unser Mitglied auf Grund der dortigen Situation nicht weiß, wie es Konzerte veranstalten soll und nur mehr vier ausländische Gastorchester in der Saison anbieten kann. Diesbezüglich müssen wir glücklich sein mit dem wenigen, was wir in der Kultur bekommen.“ So fasst Thomas Angyan die Situation in der gegenwärtigen Musiklandschaft zusammen.

Allegretto für die Jüngsten …

Seit über zwei Jahrzehnten ist er Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde. Damals hat er auch mit seinem "education program“, Konzerte für Kinder und Jugendliche, begonnen. Mittlerweile wird dieses Angebot - Allegretto für die Jüngsten, Capriccio für die Älteren - von jährlich 40.000 angenommen. Erst kürzlich sind ihm zwei junge Leute über den Weg gelaufen und haben ihm erzählt, gerade zwei Musikvereinsabonnements erworben zu haben. Sie waren unter den ersten, die damals dieses neue Angebot genutzt haben.

Gestartet hat Angyan dieses Jugendprogramm, um dem schon damals skurrilen Faktum entgegenzusteuern, dass es hierzulande notwendig ist, sich zu entscheiden, ob man in der 7. und 8. Klasse AHS Bildnerische Erziehung oder Musik besucht. Angyan: "Das ist absurd, denn die drei Säulen abendländischer Kultur sind nicht Mathematik, Physik, Chemie, sondern Bildende Kunst, Literatur und Musik. Warum muss man sich gerade in der Kunst entscheiden? Ein Land wie Österreich, das nur in der Kultur - und da wiederum im Besonderen in der Musik - internationale Reputation genießt, sollte nicht auch noch diesen Bereich kürzen oder einschränken“, stellt er nicht zuletzt im Hinblick auf die gerade laufende Bildungsdebatte unmissverständlich klar. Denn dass sich diese Investitionen langfristig rechnen, weiß er aus eigener langjähriger Erfahrung. Als er den Musikverein übernahm, wurden in der Saison zwischen 260 und 280 Konzerte veranstaltet - jetzt liegt er bei jährlich über 800. "Wir würden nicht so viele Konzerte produzieren, wenn es dafür keine Nachfrage gäbe. Das Publikum ist da, es muss sich vermehrt haben, von selbst geht nichts.“

Natürlich weiß er, dass es alles andere als einfach ist, dass diese Entwicklung auch anhält. Denn wer Kinder- und Jugendzyklen konsumiert hat, wechselt später nicht automatisch in den Abonnentenkreis des Musikvereins. Was nicht nur daran liegt, dass die Karten teuer und bei der Musikalischen Jugend günstiger zu erwerben sind. Die jungen Menschen studieren in der Regel, bauen sich ihre berufliche und familiäre Zukunft auf, versuchen ihre Karrieren in sichere Bahnen zu lenken.

"Aber mit 45 kommen sie und lösen jenes Publikum ab, das aus Alters- oder physischen Gründen die Konzerte nicht mehr besuchen kann“, argumentiert Angyan gegen das Vorurteil, die Konzertbesucher seien überaltert und neues Publikum komme nicht nach. Ein Thema, mit dem man ihn übrigens schon zu Beginn seiner Tätigkeit im Musikverein konfrontiert hat.

Schon damals war die Attraktivität Österreichs als Musikland im Ausland enorm. In den letzten Jahren, so seine Beobachtung, hat sie sich noch verstärkt. Waren es früher vor allem die Japaner, die wegen der Musik nach Österreich kamen, sind es jetzt "unendlich viele Chinesen, die das Musikland Österreich entdecken, und zwar nicht nur als aktiv ausübende Musiker, die rund um das chinesische Neujahr hier Konzerte geben, sondern auch als Besucher. Die Besucher aus anderen Ländern sind stabil bis leicht steigend, weil es nicht nur leichter, sondern auch billiger geworden ist, nach Österreich zu kommen.“

Angyan weiß, dass in naher Zukunft von der öffentlichen Hand nicht mehr Mittel zu erwarten sind. Dafür würde er sich wünschen, dass bei der Absetzbarkeit der Spenden die Kultur miteinbezogen wird. Schließlich hat man erst kürzlich festgestellt, dass in einem solchen Fall nicht wie erwartet 140 Millionen, sondern nur 23 Millionen dem Staat an Einnahmen entgehen würden. Noch mehr Geld stünde für Kultur wahrscheinlich zur Verfügung, wenn, wie in den Vereinigten Staaten, jeder einzelne Steuerzahler zehn Prozent seines zu versteuernden Vermögens dem geben dürfte, den er unterstützen möchte. So hat die Carnegie Hall, Amerikas berühmtestes Konzertinstitut und damit eines der prominentesten Pendants des Wiener Musikvereins, in zwei Jahren 987 Millionen Dollar für eine Stiftung zusammengebracht. Man muss es nicht weiter kommentieren.

"Freude schöner Götterfunken“

Ist Österreich tatsächlich jenes Land der Geiger und Sänger, wie immer wieder behauptet wird? Offensichtlich wollen dies auch andere genau wissen. Etwa die heuer ihr 60-Jahr-Jubiläum feiernden Wiener Festwochen. Zusammen mit dem ORF haben sie den Wettbewerb "Österreich singt“ ins Leben gerufen. Chöre aus ganz Österreich sind eingeladen, zusammen mit dem Arnold Schoenberg Chor den Schlusssatz aus Beethovens neunter Symphonie bei der Festwocheneröffnung am 13. Mai auf dem Wiener Rathausplatz mit dem ORF-Symphonieorchester unter Cornelius Meister und dem namhaften Solistenquartett Iris Vermillion, Genia Kühmeier, Michael Schade und Robert Holl aufzuführen. Vom Fernsehen begleitet, versteht sich.

An drei Orten, in Graz, Salzburg und Eisenstadt, haben gemischte und gleichstimmige Ensembles im März und Anfang April Gelegenheit, sich einer prominenten Jury - darunter Sänger, Theaterdirektoren und der international hoch geschätzte Leiter der Chordirigentenausbildung an der Wiener Musikuniversität und Gründer des Arnold Schoenberg Chors, Erwin Ortner - zu stellen. Diese wird daraus die drei besten für den Auftritt auf dem Rathausplatz auswählen. Zudem werden zahlreiche Chöre aus den Bundesländern über Außenstellen live zugeschaltet und tragen damit unmittelbar zu diesem großen Chorfest bei.

Mitorganisator ist der Chorverband Österreich, mit mehr als 3000 Chören mit über 80.000 Sängerinnen und Sängern Österreichs größter chorischer Dachverband, der mit seinen Veranstaltungen jährlich drei Millionen Menschen erreicht, eine Million mehr als der heimischen Fußballszene zusehen. Wenn das kein weiteres Argument für das Musikland Österreich ist …

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