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Digital In Arbeit

Nicht nur Strauß, Freud, Grinzing

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Als das Kulturinstitut London Anfang März 1978 in Cambridge zusammen mit der dortigen Phüosophischen Fakultät das erste Wittgenstein-Symposium auf britischem Boden veranstaltete, war der Anknüpfungspunkt einfach durch die Tatsache gegeben, daß Wittgenstein so viele Jahre hindurch bis zu seinem Tod in Cambridge gelehrt und geschrieben hatte. Trotzdem war der Einfall, seine facettenreichen Denkspiele zum Gegenstand eines Symposiums zu machen, selbst seinen dort sehr aktiven Schülern und Freunden ein wenig unheimlich, weil sich der Individualismus der Philosophen in dieser individualistischen Welt der Colleges in Extreme steigert, die sie nicht eben von vornherein zu Gastgebern eines Symposiums disponieren.

Auch wäre, wenn es nicht das Kulturinstitut London gäbe, niemand dagewesen, der die knechtischeren Arbeiten, welche die Organisation eines Symposiums erfordert, auf sich genommen hätte. Vom Geld ganz zu schweigen: Ohne einen entsprechenden Sonderkredit hätte sich auch das Kulturinstitut auf ein Unternehmen solchen Umfangs nicht einlassen können.

Das war ein Beispiel, aus dessen Aspekten sich aber auch noch andere Grundsätze ableiten lassen, nach denen wir unsere Arbeit am Kulturinstitut London ausrichten: Das Bestreben, räumlich über die Beschränkungen, die durch unser schönes, aber nicht sehr großes Haus am Rutland Gate gegeben sind, und auch über die Grenzen des freilich gewaltigen London bis hinauf nach Schottland hinauszugreifen, und das Bestreben, mit geeigneten britischen Partnern zusammenzuarbeiten.

Dieses Stammpublikum verlangt und verdient freilich auch seine Pflege - schon deshalb, weil zu ihm viele von den Kontaktpersonen gehören, über die dann die Umwege zu jenen Partnern führen -, aber aus nicht zuletzt ökonomischen Erwägungen halten wir es so, daß wir alle Veranstaltungen, bei

denen Flug- oder Transportkosten anfallen, zunächst an möglichst vielen anderen Plätzen unterbringen und danach erst, wenn es die Sache erlaubt, einen Abend auch im Institut einfü-. gen.

Alle Veranstaltungen: Das sind Vorträge, Konzerte, Ausstellungen, rund siebzig im Jahr. Auch auf diese recht stolze Zahl können wir nur kommen, weil wir alles, was wir aus Österreich herüberholen, möglichst oft einsetzen. Die Arbeit, die mit den eigentlichen Veranstaltungen zusammenhängt, gibt am meisten von dem, was ernste Leute, die sich Spaß oder Freude verkneifen, als „Job satisfaction“ bezeichnen. Ganz einfach wegen des physischen Naheverhältnisses zu den Ergebnissen.

Freilich heißt das nicht, daß sich unsere Arbeit darin erschöpft Wenn man von dem absieht, was in der kleinen Filiale einer großen Firma an interner Administration anfällt und in der Regel ebenso langweilig wie notwendig ist, bleibt noch das weite Feld des akademischen Austauschs mit den rund 60 britischen und irischen Universitäten. Hierher gehört etwa die Betreuung österreichischer Wissenschaftler, die Vermittlung von österreichischen Lektoren, die Mitwirkung am Austausch von Mittelschullehrern und Sprachassistenten, die Bearbeitung von Ansuchen um österreichische Stipendien und die Beschaffung von Büchern oder anderem Unterrichtsmaterial aus Österreich: alles zusammen bestimmt genau so wichtig wie die Veranstaltungen und für die Beteiligten auch interessant, wenngleich nicht so spektakulär.

Auch die Aufgaben, die unsere Institutsbibliothek erfüllt, ergeben sich im Wesentlichen aus unseren Kontakten zu den germanistischen und historischen Abteilungen der Universitäten: Auf anderen Gebieten sind wir schlecht bestückt und könnten uns etwas wie Ehrgeiz auch nicht leisten. Nebenher und dazwischen läuft schließlich noch die Beantwortung all der Fragen, welche die wißbegierigen Briten an ein österreichisches Kulturinstitut haben: Und das betrifft keineswegs nur das Programm der nächsten Salzburger Festspiele.

Die Österreicher haben ein Image, heißt es in Österreich, und sie sind dessen leid. Wein, Weib, Gesang - sprich: Strauß, Freud und Grinzing... Eine der ausdrücklichen Aufgaben eines österreichischen Kulturbeamten im Ausland ist es, dieses Image zu einem Bild der Wirklichkeit zu ergänzen und - wo es weh tut - zu korrigieren.

Soweit die Türken eine Vorstellung von den Österreichern hatten, war sie durch konkrete Erfahrungen geprägt, und da bestanden selbstverständlich himmelweite Unterschiede zwischen etwa einem kaiserlich-königlichen Bosniaken a. D. und einem heimgekehrten Gastarbeiter. Der Durchschnittstürke wußte nichts von Grinzing, wenig von Freud und nicht viel mehr von Strauß. Immerhin ist die Türkei ein Land, das bis in die zwanziger Jahre entschieden einem anderen Kulturkreis angehört hat.

Sogar hier im äußersten Westen Europas ist dieses Image nicht zu finden, es sei denn bei nostalgischen Emigranten. Gewiß: Österreich und die Musik, Viennese Nights von Mozart bis Robert Stolz, und Salzburg liegt zweifelsohne in Österreich. Auch bestreitet niemand, daß Freud ein Wiener war, obwohl dem Briten zur Psychoanalyse eigentlich seine amerikanischen Verwandten einfallen. Den Wein allerdings bezieht er vorzugsweise aus Frankreich. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist Österreich vor allem gleich Winterurlaub. Waldheim ist ein Österreicher, und das Gastspiel der Lipizzaner war ein Bombenerfolg. Außerdem, hört man, soll es den Österreichern in wirtschaftlicher Hinsicht so beneidenswert gut gehen? Clever people...

Es dauerte eine Weile, bis ich erfaßte, daß es durchaus kein Kompliment ist, wenn man von einem Briten als „clever“ bezeichnet wird. Bezieht es sich aber auf Österreich und die Österreicher, dann schwingt doch wohl auch etwas Verwunderung darüber mit, daß es manche Probleme bei uns anscheinend nicht gibt, und es ist angebracht zu versichern, daß wir dafür andere haben.

Es kommt vor, daß ein Brite in Wien und auch in Grinzing war. Aber die Leute, denen er dort begegnet ist, waren vermutlich zu einem guten Teil keine Österreicher. Wenn überhaupt irgendetwas Imageartiges am Österreicher hier herumspukt, dann ist es der bläßliche Schatten eines imperialen Bürokraten, Beschließer des Völkerkerkers, ein Nachhall von Propaganda aus dem Ersten Weltkrieg und längst ausgestorben. Und erst vor den „riesenhaften Palästen“ in Wien hat der staunende Tourist geahnt, daß an diesem Fabeltier etwas wahres gewesen sein könnte.

Hat man sich erst einmal von dem Image befreit, das wahrscheinlich nichts anderes ist als das eigene schlechte Gewissen angesichts der österreichischen Fremdenverkehrswerbung, so begreift man auch, daß der Boden, den wir hier vom Kulturinstitut London aus bestellen, sehr viel jungfräulicher ist, als man zu Hause vermutet hat. Österreich ist hier noch lange nicht so bekannt, wie man vielleicht in Osterreich glaubt. Erst vor ganz kurzem hat die National Gallery ihren ersten Klimt gekauft, das National Theatre seinen ersten Horvath gespielt

Nicht, daß wir vom Kulturinstitut London aus einen umfassenden Nachhilfeunterricht im österreichischen erteilen könnten: Aber einige Farbe tragen wir doch bei, um die weißen Flek-ken auf der Österreichkarte auszufüllen. R

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