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IM STREIFLICHT

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JOHANN Nestroy6 hundertfünfzigeter Geburtstag hätte zugleich als der Tag gefeiert werden müssen, an dem dieser große Wiener Spötter endlich tu d hoffentlich für immer in den olympischen Hofstaat der Klassiker deutscher Zunge aufgenommen wurde. Nicht nur Wien ehrt diesmal seinen Sohn mit zahlreichen Aufführungen seiner Stücke, mit Gedenkreden und -Vorträgen: die Bundesländer tun desgleichen, und vor allem /nimmt man sich in Deutschland Nestroys mit einer Begeisterung an, die wieder einmal beweist, daß dieser Dichter nicht nur und ausschließlich den Wienern etwas zu sagen hat. Die deutschen Theater spielen ihn und verzeichnen Sensationserfolge, die deutschen Rundfunkgesellschaften schicken seine Stücke durch den Äther und die deutschen Zeitungen und Zeitschriften sparen wahrhaftig nicht an Platz für Nestroy-Essays. Und schließlich — das ist ein liebenswürdiges Paradoxon — ein deutscher Schauspieler-Regisseur inszeniert am Wiener Burgtheater das Jubiläums-Nestroy-Stück. Was will man mehr? Vor hundert Jahren i6t Ne6troy in Wien als Volksstück- und Possenschreiber r-estorben. Heuer ist er als Klassiker wieder aus dem Grabe gestiegen ...

DER Sonntag ist einer jener wenigen Tage der Woche, da der vielbeschäftigte Wiener sich dem Genuß der Kultur hingeben und am Vormittag dieses Tages eine der vielen Ausstellungen in der Inneren Stadt besuchen kann. Unter den Museen, Bibliotheken und Ausstellung, in die es ihn lockt, nimmt die „Albertina“ sicherlich eine Vorzugsstellung ein. Leider wird aber dem Wiener, der nur am Sonntag etwas Zeit für solche Gänge hat, gerade der Besuch der „Albertina“ erschwert. Denn während andere Museen oder Ausstellungen fast immer von zehn bis ein Uhr, manchmal bis zwei, das Belvedere sogar bis vier Uhr geöffnet haben, schließt die „Albertina“ pünktlich um zwölf Uhr ihre Pforten. Wohlgemerkt, nur am Sonntag. Wochentags hat sie bis 14 Uhr, ja 17 Uhr offen. Wäre es denn nicht möglich, daß dieses hervorragende Kunstinstitut, ähnlich wie andere, sonntags wenigstens bis 13 Uhr geöffnet haben könnte? Der Dank vieler Besucher wäre ihm gewiß.

YJ/7IEN ist noch immer die Weltmetropole der Mu6ik. Das bemerkt man nicht nur am Niveau der einzelnen Veranstaltungen, sondern auch an ihrer Zahl. An einem einzigen Abend der vergangenen Woche fanden folgende Konzerte und musikalische Aufführungen statt: im Großen Musikverein dirigierte Paul Klecki das 3. Konzert des Zyklus „Die große Symphonie“, im Mozart-Saal des Konzerthauses spielte das Trio di Trieste, im Großen Konzerthaussaal gaben Alexander von Swaine und Lisa Czobel ihr Tanzgastspiel, und in der Gumpendorfer Kirche wurde durch die Staatsakademie und die Mozart-Gemeinde das „Requiem“ von Mozart aufgeführt. Natürlich feierten auch die beiden Opernhäuser nicht. Und das alles sollte der Musikreferent besuchen — der ja schließlich kein Vogel ist (der bekanntlich an mehreren Orten gleichzeitig sein kann!). Nun rufen wir nicht nach der Schere, sondern wir freuen uns der Fülle, auch wenn sie uns manchmal fa6t zu erdrücken droht. Nur meinen wir, daß eine sorgfältigere Planung die ärgsten Überschneidungen vermeiden könnte — unter denen ja schließlich auch infolge geringeren Besuches die Veranstaltungen zu leiden haben ..,

DER „Verband deutscher Bühnenschriftsteller“ hat sich unlängst heftigst beklagt, daß auf den deutschen Bühnen zu wenig deutsche Autoren gespielt würden, aber die Statistik zeigte, daß von den 500 Schauspielen der letzten Spielzeit gleich 219 (!) von deutschen Autoren stammten — allerdings auch von den Klassikern; gerade die neuesten Werke aber erwiesen sich fast ausnahmlos als Eintagsfliegen. Nicht wesentlich anders ist es in Österreich, wo man immer wieder ähnliche Klagen hört — von den in der letzten Saison in Wien gezeigten 79 Werken waren allein 23 österreichischen Ursprungs! Dennoch, es iet auch damit noch nicht genug. Wir brauchen nicht nur österreichische, wir brauchen vor allem gute österreichische Stücke und Autoren. Und es gibt sicherlich immer noch fähige Dramen6chreiber, die ihre Opera in den Laden verschließen oder verbittert über eine erste kurze Ablehnung die Sache aufgeben. Ihnen allen müßte man die Möglichkeit geben, den Theaterbetrieb kennenzulernen; nicht nur einige Protektoren und Schauspieler — die Direktoren und Dramaturgen selbst müßten sich dieser Leute annehmen und ihnen beratend zur Seite stehen, sie ermuntern und experimentieren lassen. Es würde dies ein wenig mehr Mühe kosten, wohl auch etwas Geld — vor allem aber guten Willen bei den Theatergewaltigen. Und der kostet sicher nichts.

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