7135106-1997_43_18.jpg
Digital In Arbeit

Singen für die Seele

Werbung
Werbung
Werbung

Chorgesang hat in Österreich Tradition. Passend um den Nationalfeiertagtreten beim „Fest der Chöre” 41 Chöre im neuen Festspielhaus St. Pölten auf. Alte Volkskultur in modernem Ambiente. Ein Lokalaugenschein bei einer Probe des dortigen Musikvereins geht dem Zauber des Chorgesangs nach.

Eisiger Oktoberwind weht über das menschenleere St. Pölten. Trotzdem bildet sich vor dem alten Barockhaus am Bathausplatz Nummer sechs ein Menschengrüpplein. Neuigkeiten werden ausgetauscht, dann geht es in den zweiten Stock. 57 Leute haben sich gegen 19 Uhr an diesem Montag eingefunden. Ein Drittel Männer, zwei Drittel Frauen. „Horts Ihr eh bald Tratschen auP” Der pensionierte Volksschuldirektor und Chorleiter Franz Wajwoda weiß, wie er sich durchsetzt. Nachdem er 35 Jahre Tenorsolist im Domchor gewesen war, führt er seit 1990 temperamentvoll den Bleistift als Taktstock im St. Pölt-ner Musikverein - und einen lockeren Spruch: „Die Herren begeben sich hinüber zur Fuge und die Dämlichkeiten bleiben da!”

160 Jahre Tradition ist nur noch an den alten Aufnahmen an der Wand und den Gipsbüsten von Mozart, Beethoven, Schubert und Bruckner spürbar. Die ruhmvollen Zeiten der Monarchie, zu denen man dem Kaiser Ständchen singen durfte, sind lange her. Dafür ist die Stimmung im Zweitältesten Musikverein Österreichs alles andere als altbacken oder staubtrocken. Elitär geht es hier nicht zu. Aufnahmeprüfungen gibt es keine. Wer gerne singt und regelmäßig kommt, wird mit offenen Armen aufgenommen. Erhalten wird der Verein von unterstützenden Mitgliedern. „Die zahlen hundert Schilling im Jahr. Wir haben lauter freiwillige Sänger, also Amateure. Für die aktiven gibt es keinen Beitrag.” Margareta Palla (60) erklärt kurz, wie man sich finanziert: „Die Konzerte kosten meistens mehr als sie bringen. Wir können nämlich nicht immer alle Instrumente besetzen und müssen dann Profis dazunehmen, die kosten Geld”.

Trotzdem hat der Verein ein Orchester. Zu den Proben werden die Sänger aber nur am Klavier begleitet. Harald Lenk (39), im Zivilberuf Beamter im Gemeindedienst, fühlt sich auf seinem Probenflügel absolut nicht im Schatten, auch wenn er bei Konzerten dem Orchester weichen muß. „Dann wäre ich verkehrt am Platz. Es war ein Wunsch des Chores, begleitet zu werden, und für mich ist das eine Facette der Musik, die mich interes* siert.”

Mühsames Einstudieren

Seit 30 Jahren Klavierspieler, leistet Ink wesentliche Dienste zur Taktfe-stigkeit und Notensicherheit. Vor allem bei den Damen, die in der ersten Stunde separat vom Chorleiter mit Klavierbegleitung hergenommen werden. „Wir haben bei den Frauen ein paar Analphabeten, die nicht nach Noten singen können. Darum ist das Einstudieren ein wenig mühsam”, übt Chorleiter Wajwoda an seinen Amateurinnen Kritik. „Ihr machts ein Gsicht wie die Zwiderwurzen!” rügt er die Optik. „Wenn wir's können, strahlen wir auch!” Die Damen sind nicht auf den Mund gefallen.

In der Pause gibt es Most und Weckerin. Bäckermeister Helmut Denk (52) singt seit acht Jahren Baß, seine Frau Edeltraud (48) eilt rasch, um stärkendes Gebäck zu verkaufen. Auch die beiden Töchter Bosemarie (24) und Jutta (27) singen mit. Rosemarie kommt eigens aus Wien her. Wie der Sohn von Frau Palla, Armin (27), der allwöchentlich aus der Bundeshauptstadt anreist. „Eigentlich hat er mich zwangsverpflichtet!” sagt Sigrid Bannert (27), gleichfalls ein junges Gesicht in den Chorreihen, über ihn. „Ich bin musikalisch und der Chor macht mir großen Spaß!” Neben ihr sitzt Marianne Brunnbauer (54), eine ehemalige Tagesmutter der Fa-milienhilfe der Caritas, die seit elf Jahren im Chor singt. Die beiden tuscheln ab und zu miteinander. Das älteste Mitglied ist 88 Jahre alt, die Kassierin Hilde Palmanshofer (52) gehört schon 36 Jahre zum Verein. Seit zwei Jahren hat sie Probleme mit den Stimmbändern, „aber ich kann zumindest mithorchen. Allein der Kontakt zu den anderen ist mir wichtig.” „Ich hab meine beste Freundin mitgeschleppt.Wenn ich traurig bin, und hierherkomme, sind meine Sorgen gleich weg!”Ordinationsgehilfin Maria Schlatzer (43) singt für die Seele, im Auto, zu Hause und überall. „Die Sommerpause im Chor ist für mich furchtbar;” gibt sie freimütig zu.

„Gott sei Dank gibt es auch unter der Jugend noch Interesse”, freut sich Kommerzialrat KurtStepan, der Bundesobmann des Sängerbundes für Wien und Niederösterreich. „In den Schulen vernachlässigt man den Musikunterricht, außerdem ist das ja eine sehr sinnvolle Freizeitgestaltung.” In gemischten Chören bilden sich sogar

Ehepaare. Etwa 380 Chöre sammeln sich mit 12.000 Mitgliedern im Sängerbund, der Stimmbildung und Chorleiterschulung anbietet. Heuer feiert man das stolze 130-Jahr-Jubiläum. Über das „Fest der Chöre” im Festspielhaus St. Pölten ist man besonders glücklich. Das Image wird modern. So eröffnen die Jugendchöre am Samstag, 25. Oktober, um 14 Uhr mit einem Clubbing. „Das hat mit Nationalismus nichts zu tun. Wir wollen eine breite Vielfalt bringen. Von Flamenco. Hip Hop. Jazz und Break Dance bis eben hin zu den Chören. Es sollen eben qualitativ hochstehende Ereignisse sein.” Christian Vranek, Pressesprecher des Festspielhauses, bemüht sich um ein breit gefächertes Programm.

„Jetzt reißts die Augen auf und reißts Euch zsamm!” Chorleiter Wajwoda kommt gegen 21 Uhr beim letzten Durchlauf ins Schwitzen. „AVir haben nur noch zwei Wochen, und im Notfall legen wir einen Samstag nachmittag ein, ich sag's euch gleich!” „Ein kleines Lob, bitte!” tönt es verzweifelt aus der Beihe der erschöpften Sopranistinnen. Ein letztes Mal erklingt der „Herbsttag”von Albert Beiter für diesen Montag. Und er klingt gut aus. „Danke!” Für diesmal haben sich 57 Kehlen wieder ihren Most verdient, und beim „Fest der Chöre” am Nationalfeiertag wird der „Herbsttag” endgültig perfekt sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung