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Und als der Krieg zu Ende war...

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Dann, als der Krieg zu Ende war, zog eine junge Frau mit ihrem kleinen Kind an der Hand über die Landstraßen Deutschlands, ihren Mann, ihren Liebsten, zu suchen, der in den Krieg gezogen und nicht mehr zurückgekommen ist. Sie begegnet drei Soldaten, armen zerlumpten Heimkehrern, wie sie Wolfgang Borchert geschildert hat, gerät in eine Schaubude, wo, von einer müden Drehorgel begleitet, eine Schlangentänzerin ihre Künste zeigt, wird in einer Schenke von drei Matrosen angepöbelt und wieder auf die Straße hinausgetrieben. Dort weisen ihr fromme Bauern den Weg zu einem Gnadenbild, wo sie Trost findet. Das arme, kleine, verschneite Grab ihres Liebsten aber findet sie auf dem „Weg nach Freudenstadt“. Dies ist der Titel der „Ballade der Landstraße in fünf Bildern“, wie sie Hermann Reutter nach einem selbstverfaßten Text komponiert hat. Außer den bereits genannten Personen treten noch zwei Rückwanderer auf, die die Funktion des kommentierenden Chores haben. Die für den angesehenen schwäbischen Komponisten so charakteristische Synthese von Volkstümlichem und Moritatenhaft-Modernem ist in dem etwa 40 Minuten dauernden Einakter besonders glücklich realisiert. Strawinsky (besonders die „Geschichte vom Soldaten“) und Kurt Weills Songstil sind die großen Vorbilder. Fast wünscht man sich einiges, besonders am Anfang, harmonisch einfacher, plastischer. Aber dann gibt es Nummern, wo der Komponist zu einer vollkommenen Harmonie zwischen dem Stoff und seinen kompositorischen Mitteln gelangt, etwa im Soldatenmarsch, in einem Zwischenspiel im Ländlerrhythmus usw. Der fromme, gutgemeinte Schluß ist leider wesentlich schwächer geraten. Erstaunlich, was Reutter mit dem kleinen Instrumentarium an Wirkungen erzielt: ein paar Holzbläser, ein stark -besetztes Schlagwerk, Streicher und ein Klavier — das ist alles. Josef Witt führte Regie, Elisabeth Geißer hat die Bühne und die zahlreichen Personen ausgestattet, Alfred Spannagel leitete das durch die Wiener Solisten verstärkte Akademieorchester, Karla Denk-Kuna hat die Choreographie geschaffen und Studierende der Akademie aus der Klasse von Professor Witt waren die Ausführenden (an beiden Abenden sangen alternierend Astrid Hellesnes und Margot

Schifter die Hauptrolle der jungen Frau, ferner Ley Alport, Ann Powers, Manfred Dorner, Franz Wimmer, Gerhard Kurz, Svein Erik Opsahl und Laszlo Szell bei der zweiten Aufführung, Riki Singer war an beiden Abenden die Tänzerin).

„Der Ausflug aufs Land“ von Mario Peragallo, nach einer Erzählung von Alberto Moravia, spielt zur gleichen Zeit (1945), wurde aber zehn Jahre darnach komponiert — und stellt die Menschen und die makabren Zeitläufe mit der distanzierenden Ironie des Romanen dar. Die Handlung: Ein junges mondänes Paar aus Rom macht mit dem Auto einen Ausflug aufs Land. Auf der Straße, die durch die überschwemmte römische Campagna führt, geht das Kühlwasser aus, die jungen Leute müssen aussteigen und werden von ihren Landsleuten, „hilfsbereiten“ Bauern, bis aufs Hemd ausgeplündert. Dann dürfen sie. von den Rufen der armen Bauern begleitet („Mitleid mit uns! Dieser Krieg hat uns alles genommen!“), die Rückreise nach Rom antreten. — Das Ganze ist witzig erdacht und von Meisterhand, unter freier Verwendung der Zwölftontechnik, in Musik gesetzt. Die Partitur des Italieners ist wesentlich komplizierter als die des Deutschen, sein Orchester größer, die Anforderungen an die Sänger bedeutender. Aber bei aller Kompliziertheit bleiben der Witz und die Textverständlichkeit stets gewahrt (der Übersetzer wird auf dem Programmzettel verschwiegen; das Textbuch der Universal Edition nennt Guntheim und Schlee als Translatoren). — Bei diesem heiter-grotesken Spiel führte Christian M o e 11 e r geschickt und mit guten Einfällen Regie, Wolfgang Gabriel leitete das Orchester, Barbara Stelzel hatte die Bühne ausgestattet und Günther T h e u r i n g die Chöre einstudiert Wir sahen die talentierte und temperamentvolle Traute Wild als junge römische Dame, der es vor der Berührung mit dem Volk so sehr graust, Dimitri Angelidis als den jungen Mario, Freund des Volkes, in dem sich der Komponist wohl ein wenig selbst persifliert haben mag, ferner Hedy Drechsler als Bäuerin Leonia und Vassilius Assa-riadis als deren Mann.

Im ganzen: ein anregender und unterhaltender Abend, mit dem — beispielsweise — die letzte Premiere der Wiener Staatsoper in keiner Weise konkurrieren kann. Die beiden Einakter eignen sich ganz besonders für Studioaufführungen und überschreiten in ihren szenischen und darstellerischen Anforderungen an keiner Stelle die Fähigkeiten fortgeschrittener Studierender. Diese kamen aus aller Herren Ländern: aus Norwegen und Südafrika, Polen und den USA, Ungarn und Rhodesien, aus Griechenland und, natürlich, auch aus Österreich. Dem anwesenden Komponisten hat die Aufführung im Akademietheater offensichtlich Spaß gemacht. Vielleicht hat sie Peragallo besser gefallen als die Uraufführung an der „Scala“, wo es, wens wir uns recht erinnern, nicht ohne patriotische Proteste abgegangen ist.

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