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Ausflug in die Welt der Musik

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Was ich hier erzähle, soll keine Biographie sein. Meine Erinnerungen sind aber doch vielleicht ein bescheidener Beitrag zur Kulturgeschichte in den Jahren meiner Jugend. Nur so möchte ich meine Ausführungen aufgefaßt wissen. Dieser Beitrag soll auch eine Ergänzung zu dem Aufsatz sein, den ich in der „Furche“ (Nr. 1/1955) unter dem Titel: ..Ausflug in die Vergangenheit, Erinnerungen eines Arztes“, veröffentlicht hbe.

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Was ich hier erzähle, soll keine Biographie sein. Meine Erinnerungen sind aber doch vielleicht ein bescheidener Beitrag zur Kulturgeschichte in den Jahren meiner Jugend. Nur so möchte ich meine Ausführungen aufgefaßt wissen. Dieser Beitrag soll auch eine Ergänzung zu dem Aufsatz sein, den ich in der „Furche“ (Nr. 1/1955) unter dem Titel: ..Ausflug in die Vergangenheit, Erinnerungen eines Arztes“, veröffentlicht hbe.

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Meine Mutter war ausgebildete Pianistin, eine Schülerin des berühmten Epstein. Mein Vater war nicht unmusikalisch, hat aber Musik nicht ausgeübt. Wenn ich mit meiner Mutter spielte, kam er öfters aus seinem Zimmer in den Musiksalon, um einige Minuten zuzuhören, besonders dann, wenn wir Beethoven spielten. Ein Beweis, seiner „versteckten“ Musikalität.

Ich wurde schon in meinem fünften Lebensjahr von meiner Mutter ans Klavier gesetzt. Aber schon vorher in meiner Geburtsstadt Berlin hockte ich neben dem Piariino, wenn meine Mutter spielte. Ich erinnere mich nicht mehr genau an die Melodien, aber irgend etwas-davon hat sich mir eingeprägt. Ich habe jedenfalls geduldig zugehört.

Ich war fünf Jahre alt, als wir nach Petersburg übersiedelten. In dieser Zeit begann mein Klavierunterricht. Meine Mutter erklärte mir die Klaviatur. Ich erlernte die Intervalle und das Notenlesen. Das war für mich sehr wichtig, da ich für die späteren Violinstunden die nötigen Vorkenntnisse der allgemeinen Musiklehre mitbrachte.

Aber das Klavier interessierte mich nicht. Irgendwie zog es mich zur Geige. Mein Vater, der alle meine Nefgungen rasch erfaßte, kaufte mir in Petersburg eine kleine Geige. Ueber-glücklich habe ich die ersten Spielversuche gemacht. Ich habe zugesehen, wie Geiger spielten. Besonders interessierte mich ein Geiger, der im Zoologischen Garten von Petersburg in einer Husarenuniform als Stehgeiger dirigierte. Ich erinnere mich auch noch an ein Konzert eines Geigers — ich glaube, es war der berühmte Virtuose Thomson —, in das mich meine Eltern führten. Meine Eltern erkannten bald meine Begabung, und schon im siebenten Lebensjahr kauften sie mir auf der Durchreise in Wien eine Dreiviertelgeige und einen guten Bogen. Ich erhielt dann noch in Petersburg durch volle drei Jahre Geigenunterricht. Mein Lehrer war B u d i C, Konzertmeister in der Petersburger Großen Oper. Die Violinstunden mit diesem Lehrer sind mir unvergeßlich. Ich machte gute Fortschritte und spielte Skalen, leichte Etüden und auch Vortragsstücke, meist Melodien aus Opern. Mein Lehrer hatte mich lieb gewonnen. Beim Abschied von Petersburg sagte er mir noch, solche Schüler seien selten. Meine Wiener Dreiviertelgeige hatte einen guten Ton. Ich spielte auf dieser Geige bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr, dann erhielt ich von meinem Vater eine italienische Geige, auf der ich heute noch spiele. Sie hat im Laufe der Jahrzehnte an Ton immer mehr gewonnen und ist heute ein sehr wertvolles Instrument. Ich pflege meine Geige sorgfältig. Mein Freund, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker M e i r-ecker, sagte einmal: „So eine gepflegte Geige sieht man selten.“

Und nun zurück zur Jugendzeit. Für meine musikalische Entwicklung in Petersburg war es wichtig, daß meine um acht Jahre ältere Schwester Gesangunterricht bekam. In den Gesangstunden meiner Schwester hörte ich andächtig zu und taktierte mit. Schon in Berlin hatte ich gesehen, wie eine Militärmusik spielte. Ich habe schon in meinem vierten _Lebensjahr mit einem Pracker einen Waschkorb bearbeitet und mir dabei eingebildet, ein Orchester zu dirigieren. Rhythmusgefühl hatte ich schon damals.

In meinem zehnten Lebensjahr übersiedelten wir nach Wien, wo mein Vater an der Universität lehrte. Hier blieben wir nun endgültig. Hier in Wien habe ich auch das Gymnasium besucht, dann' Medizin studiert. Nach meiner Promotion im Jahre 1900 habe ich mich als Assistent, Dozent, Primarius und schließlich als ordentlicher Professor die ganze Stufenleiter hinaufgearbeitet. Daneben kam die Musik auch nicht zu kurz. Während der Uebersiedlung von Petersburg nach Wien bekam ich begreiflicherweise keinen Violinunterricht. Aber ich spielte allein, was mir gefiel. Natürlich verschlampte ich mich dabei, und mein Wiener Lehrer, Primgeiger der Wiener Hofoper und Philharmoniker, der uns als tüchtiger Pädagoge empfohlen wurde, hatte viel Mühe, meine Geigenhaltung und Bogenführung wieder in Ordnung zu bringen. Mein Lehrer unterrichtete mich bis zum Jahre 1900, also bis zu meinem Doktorat. Aber auch später noch hatte ich gelegentlich Stunden zur Kontrolle und Auffrischung. Ich hing mit ganzem Herzen an meinem Lehrer, dem ich soviel in der Musik verdanke. In seinen letzten Lebenstagen betreute ich ihn auch als Arzt. Er starb hochbetagt an einem sehr schweren Herzleiden.

In den Jahren des Gymnasiums war ich so versessen auf die Geige, daß mein Studium im Gymnasium leiden mußte. Ich absolvierte das Untergymnasium bei den Piaristen, dann kam der große Durchfall und ich kam in das leichtere Döblinger Gymnasium, wo ich mit Erfolg maturierte, um dann Medizin zu studieren. Mein Violinlehrer führte mich ganz systematisch durch die Etüden und Sonaten von Haydn, Mozart und Beethoven und schließlich auch zu den klassischen Violinkonzerten. Für meine Entwicklung als Geiger waren die Duette von Spohr für zwei Violinen von besonderer Wichtigkeit. Ich spielte sie immer wieder mit meinem Lehrer. Diese Duette sind sehr wichtig für die'Technik, sie sind aber auch musikalisch schön, in Sonatenform komponiert. Schon als Knabe habe ich mit meiner Mutter Sonaten der klassischen Meister gespielt, fast jeden Abend. In meinem fünfzehnten Lebensjahr habe ich mit der Kammermusik begonnen.

Eine kleine Episode aus meiner Kinderzeit: In den ersten Jahren unserer Wiener Zeit wohnten _wir im 8. Bezirk (Lange Gasse) im Mezzanin. Im ersten Stock dieses Hauses wohnte die Professorenfamilie D e m e I i u s. Hier wurde jeden Sonntagnachmittag eifrig und gut musiziert, es wurde besonders Kammermusik gespielt. Als elfjähriger Knabe durfte ich zuhören. Ich saß still in einem Winkel des Salons, rührte mich nicht und lauschte gespannt auf die Kammermusik. Wirklich verstanden habe ich die Kammermusik damals noch nicht. Viele Melodien aber blieben haften, und ich erkannte sie später, wenn ich selbst Kammermusik spielte. Alle diese Erinnerungen sind für meine musikalische Entwicklung von Bedeutung. Sie zeugen aber auch für das hohe kulturelle Niveau der damaligen Zeit in Wien. Ich stehe auch heute noch auf dem Standpunkt, daß man den Kindern jede Gelegenheit bieten soll, Kammermusik zu hören- Es ist ganz falsch, wenn man sagt: „Die Kinder verstehen das nicht.“ Es bleibt immer etwas haften für das spätere Leben.

Im Obergymnasium fand ich Schulkollegen, die auch ein Instrument spielten, und so kam die Zeit, wo wir Trios und Quartette mit und ohne Klavierpart spielten. So musizierten wir jeden Samstag von J bis Vi% Uhr. Wir spielten einen großen Teil der Kammermusik von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, später auch von Dvorak und Smetana. An Brahms wagte ich mich erst viel später — seine Kammermusik war damals modern. An Brahms soll man sich erst heranwagen, wenn man die älteren klassischen Quartette gut studiert hat. Mein Lehrer kam innerlich zu Brahms nicht mehr heran. Er sagte: „Das geht alles so hin und her, man muß nicht alles spielen.' Das waren seine Worte. Mein Gymnasialquartett war voll Begeisterung, doch eigentlich mehr Begeisterung als Technik. Aber das machte nichts. Ich habe die Literatur gründlich kennengelernt.

Nach meiner Promotion verbrachte ich zwei Jahre zu Studienzwecken in Frankfurt am Main, wo die berühmten Forscher Weigert und Ehrlich arbeiteten und lehrten. Bis 5 Uhr arbeitete ich in diesen Instituten. Doch sehr bald kam in dieser Musikstadt auch meine Musik zu Wort. Ich fand da mehrere Kollegen, Klavierspieler und Geiger, mit denen ich gemeinsam musizierte. Ich war als Geiger aus Wien bald bekannt und spielte in verschiedenen Besetzungen in vornehmen Privathäusern mehrmals in der Woche.

Nach Wien zurückgekehrt, musizierte ich fleißig weiter. Der berühmte Nobelpreisträger Karl Landsteiner, der unter anderem die Uebertragung der Poliomyelitis, dieser schweren Erkrankung des Rückenmarks, auf Affen im Jahre 1909 in Wien erstmalig durchgeführt hat, spielte vortrefflich Klavier, und wir musizierten oft zusammen. Er liebte besonders Beethoven.

Auch während meiner Stellung als klinischer Assistent (1904 bis 1912) pflegte ich die Kammermusik. Das Jahr 1912 war ein Wendepunkt in meinem Leben; ich verließ die Klinik, um ein Primariat in Wien zu übernehmen. Und noch etwas: ich heiratete. Meine Frau hat meine künstlerischen Bestrebungen in jeder Form gefördert. Es ist ihr Verdienst, daß ich heute von der Geige nicht losgekommen bin. Bald hatte ich wieder ein Quartett beisammen, war aber schon anspruchsvoller, und so konnte ich dank meiner Verbindung mit den Philharmonikern eine gute Besetzung in meiner Kammermusik erreichen.

Als Geiger hatte ich in Wien natürlich Gelegenheit, mit namhaften Pianistinnen und Pianisten zu musizieren. Eine meiner ältesten Partnerinnen ist die Klavierlehrerin Urban-Eder aus der Musikerfamilie Eder. Mit dieser habe ich durch viele Jahre regelmäßig musiziert und so ziemlich die ganze Sonatenliteratur studiert. Als meine Partnerin nenne ich noch Frau Madda-lena, die Tochter des berühmten Internisten Professor Bamberger, Frau Dr. Stroß und die bekannte Konzertpianistin Olga Mansch-Hueber, die heute noch in ihrem 86. Lebensjahr gerne mit mir musiziert; ferner die Klavierlehrerin Poldi Demmer und schließlich auch Frau Klein, die Gattin eines Kollegen, eine Grünfeld-Schii-lerin. Ich nenne auch noch Frau B a u m e i e r, die mit Brahms befreundet war. Mit ihr habe ich seinerzeit die drei Sonaten von Brahms für Klavier und Violine gespielt und so direkt die Tradition von Brahms erhalten. Ich musiziere ferner schon seit vielen Jahren mit den Professoren an der Akademie für Musik, Ernst Moravec, Rudolf Mayr (Cello) u. a.

Sehr schön und interessant war für mich das Sonatenspiel mit den in der Musikwelt rühmlichst bekannten Klaviervirtuosen, den Professoren Panhofer und W ü h r e r. Die vollendete Technik und Musikalität dieser Künstler gestattete auch, den schwersten Klavierpart mühelos zu bewältigen. Ich nenne auch Professor D i t e, der sehr schön zu phrasieren versteht. Dieser Künstler hat ein feines Empfinden für stilgerechte Wiedergabe des Klavierpartes.

Ich habe auch wiederholt an meiner Klinik an Nachmittagen für die Patienten und geladene Gäste Kammermusik zu Gehör gebracht. Als Geiger bin ich mehrere Male vor die Oeffentlichkeit getreten. Im Jahre 1912 spielte ich im, Großen Musikvereinssaal die Sologeige in einer Komposition von Händel unter Leitung des Hofkapellmeisters L u z e.

Ueber meine Betätigung als Dirigent habe ich schon wiederholt an dieser Stelle berichtet. Ich dirigierte durch fünfzehn Jahre das Wiener Aerzteorchester. Die Streicher waren Aerzte, die Bläser engagierte Philharmoniker. Jeden Montag hatten wir Probe, und in der Saison gaben wir mehrere Wohltätigkeitskonzerte im Musikvereinssaal. Unsere Solisten waren bekannte Künstler — Frau Selma Kurz-Halban, der Cellist Pablo Casals, Alfred Grünfeld, Gertrude Förstl, Lotte Lehmann, Arnold Rose' u. a.

Nicht uninteressant ist die Gründung des Wiener Aerzteorchesters. Im Jahre 1906 arrangierte ich bei einem Abschiedsabend für zwei Assistenten der Klinik, die Primariate erhielten, ein Orchester. Ich stellte für dieses Abschiedsfest ein sogenanntes Salonorchester zusammen. Unsere Darbietungen fanden Beifall, und so entschlossen wir uns, ein Aerzteorchester zu gründen.

Das Wiener Aerzteorchester machte Schule; in München und Berlin wurden solche Vereinigungen gegründet. Zwei Jahre vor dem zweiten Weltkrieg wurde ich nach Berlin eingeladen, um das dortige Aerzteorchester zu dirigieren. Unter anderem spielten wir unseren schönen Donauwalzer und hatten damit besonderen Erfolg. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Meine Frau, die mitgekommen war, erhielt einen herrlichen Rosenstrauß. Der Walzer wurde auch im Rundfunk übertragen.

In Konzerten hörte ich noch berühmte Geiger wie Sarasate, Joachim, Ondricek, Hubrman u. a. In diesen Konzerten habe ich für mein eigenes Geigenspiel viel gelernt. Ich hörte auch durch viele Jahre das berühmte Rose-Quartett im schönen alten Bösendorfer-Saal, der leider in der Folgezeit verschwand.

Das sind alles schöne Erlebnisse und Erinnerungen an meine Jugendzeit. Vieles hätte ich noch zu erzählen, hoffentlich wird sich in nicht allzu ferner Zeit Gelegenheit finden, noch einiges Interessante mitzuteilen. Die Musik war in meinem Leben stets eine treue Begleiterin ohne Fermate.

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