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Schwieriger Anfang

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Der Stamm meiner Väter ist bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zu verfolgen. Es sind Tiroler aus dem Stubaital und seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts sind sie als Hammerschmiede von Fulpmes in ununterbrochener Reihe feststellbar. Mein Großvater erlebte mit seinen Landsleuten den. Niedergang dieses ehrsamen Handwerks, verursacht durch den Aufschwung der Eisenindustrie zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Und aus diesem Grunde wanderten ein paar hundert Stubaier mit ihren Familien nach Brasilien aus. Mein Großvater starb auf der Ueberfahrt auf einem Auswandererschiff an Cholera und liegt im Atlantischen Ozean begraben. Seine Frau, meine Großmutter, eine überaus tapfere Tirolerin, landete mit sieben Kindern in Brasilien, mein Vater als der Aelteste, geboren 1836, war damals etwa zwölf Jahre alt. In den ersten Jahren war das Leben und das Fortkommen unsagbar schwer. Durch Arbeit und Zusammenhalten vermochte sich diese Tiroler Kolonie in der Provinz Santa Leopoldina zu festigen und allmählich, hauptsächlich durch Kaffeeanbau, zu Wohlstand zu kommen. Mein Vater vermählte sich 1860 mit einer mitausgewanderten Stubaierin, der Ehe entsprossen zunächst sieben Kinder, die aber alle an Malaria dahinstarben. Dies veranlaßte meinen Vater zur Rückkehr in seine Heimatgemeinde, etwa 1876. Als angesehener „Brasilianer“ gründete er einen schönen Hausstand in Fulpmes. Aus der Ehe entsprossen weiterhin vier Kinder, die gesund und kräftig blieben. Der Aelteste, Urban, wurde Jesuit und hat einen bedeutenden Namen als Bibelforscher. Nach dem Tode seiner ersten Frau vermählte sich mein Vater 1884 mit Maria Kirchstätter aus ArzI bei Innsbruck. Dieser überaus glücklichen Ehe entsprossen neuerdings vier Kinder, wovon ich das zweite gewesen bin. In einem sehr schönen Bürgerhause mit großem Garten und Springbrunnen und mit dem Ausblick auf . die Stubaier Gletscher verbrachten wir glückliche Jugendjahre. Mein Vater war vielseitig begabt. Er blies wundervoll das Waldhorn, er gründete Musikkapelle und Kirchenchor und konnte als wohlhabender Privatmann sich ganz und gar der Sorge um die Armen und um das Aufblühen seines geliebten Heimattales kümmern. Unvergeßlich sind uns Kindern die Zeiten um Weihnachten und Ostern. Mein Vater baute da jedes Jahr wundervolle Weihnachtskrippen im Hause und in der Kirche und betreute mit besonderer Liebe die Aufstellung des Heiligen Grabes. Bei allen Festen des Tales war er der künstlerische Veranstalter und Anreger.

Im Alter von fünf Jahren, ich wurde am 27. März 1886 geboren, übersiedelten wir nach Mühlau bei Innsbruck. Der Grund des Abschiedes lag in dem Umstand, daß wir aus dem einsamen Tal den Bildungsstätten für unsere Erziehung näherrücken mußten. Aber auch diese Jahre, die wir glücklich in einem schönen Landhaus mit Garten verbrachten, waren von ungetrübter Freude, bis 1899 mein seliger Vater verschied. Meine Mutter übernahm das schwierige Erbe mit den acht unversorgten Kindern und war tapfer und gütig, wie nur eine Tiroler Mutter sein kann. Mein Vater hatte mich für die Erlernung eines Handwerks vorgesehen, da ich hierfür von klein auf besondere Eignung zeigte. Aber dann konnte sich meine Mutter angesichts meiner „studierten“ älteren Brüder doch nicht dazu entschließen, und ich bezog die Realschule in Innsbruck, die ich mit mäßigem Erfolg 1906 absolvierte.

Nun stand ich vor der Berufswahl. Ich hatte mich in diesen Jahren zwar wohl vielfach schon baulich oder gar künstlerisch betätigt. Ich setzte unter anderem die Pflege des von meinem Vater gegründeten Ziergartens mit kunstvollen Teppichpflanzereien fort, baute Heiliges Grab und Krippe und illustrierte ein trinkfreudiges ßudenbuch unserer verbotenen Mittelschulver-bindüng. Aber die Brücke zum Beruf des Architekten fehlte, und die schlug ein Zufall. Trink-und sangesfreudig wie ich war, und der Pflege edler Kameradschaft hingegeben, begegnete mir im Kreise froher Kommilitonen ein Mann aus München namens Mfchel, im Singen und Trinken ein Mordskerl, voller Humor und Lebensfreude, und auf meine Frage, was er denn studiere, war meine Berufswahl getroffen. Michel war Architekturstudent und das mußte ich nun auch werden. Ich zog bangen Herzens und mit schwachem Beutel in die Wienerstadt und inskribierte mich an der Technischen Hochschule.

Die strengkatholische Erziehung im Elternhause brachte mich geradewegs in jene Kreise akademischen Studententums, die damals einem Karl Lueger. einem Prinz Liechtenstein oder dem großen Meteorologen Perntner, großen Persönlichkeiten von hervorragender Rednergabe, huldigten, sich an ihren Gedankengängen entzündeten und für ihr ganzes Leben, gebunden durch edelste Studentenkameradschaft, treu geblieben sind. Unter den Lehrern an der Technischen Hochschule war aber keinen der das jugendliche Herz entflammen konnte, und deshalb waren besonders die ersten Jahre meines Studiums überaus mühselig und von schwachem Erfolg begleitet. „Du hast deinen Beruf verfehlt“, so klagte Ich Jedesmal, wenn es bei einer der vielen theoretischen Prüfungen wieder einmal schiefgegangen war. Aus der Ferne nur bewunderte ich das Werk Otto Wagners, den Aufstieg Josef Hoffmanns und stand staunend vor dem Zacherlhaus, dem Werk des Wagner-Schülers Plecnik, vor Olbrichs Secessions-gebäude und den Ausstellungen dort von Klimt und Mestrovic erfaßte mich heiliger Schauer. Eine wirkliche Beziehung zu diesen Bannerträgern moderner Kunst der damaligen Zeit konnte ich aus Schüchternheit, die mich hinderte, mich diesen Kreisen zu nähern, nicht finden. Dies gelang bei dem Tiroler erst nach einem langen Umweg, der viele Jahre dauerte. Bei der zweiten Staatsprüfung, der Abschlußprüfung an der Technischen Hochschule, ging es mir zunächst gar nicht gut. In der Prüfung für Hochbau hatte ich die Ziffer für das spezifische Gewicht des Sandes nicht gewußt, und ich weiß, daß mich vor dem endgültigen Durchfall nur mein verehrter Lehrer Max von Ferstel gerettet hat, der angesichts meiner graphischen Leistung, es war die Aufgabe eines Alpenhotels für Tirol, mir die Stange gehalten hat. Dieser wirkliche Edelmann berief mich im darauffolgenden Herbst des Jahres 1913 als Assistent an seine Lehrkanzel. Durch ihn und seinen Kreis ward ich mehr oder weniger in den Bann „bodenständigen Bauens im Dienste des Heimatschutzes“ gezogen, während zum Beispiel Max Feilerer, den ich erst bei der Klausurarbeit für die 2. Staatsprüfung kennen- und schätzen gelernt hatte und mit dem mich in späteren Jahren bis zum heutigen Tag eine herzliche Freundschaft verbindet, frank und frei in die Otto-Wagner-Schule eintrat und dann zu Josef Hoffmann ging, dem er viele Jahre gedient hat. . ,...

Aus Herkunft und Gesinnung bin ich immer Romantiker gewesen und geblieben. Das hatte schon Karl König, einer meiner verehrtesten Lehrer an der Technischen Hochschule, erkannt, als ich ihm eines Tages voller Bangen meinen Entwurf für einen Brückenkopf vorlegte. Er war zwar nach strenger Vorschrift in Frührenaissance gehalten, aber perspektivisch und mit gelbem Himmel ins Romantische gebracht, da meinte er: „Das mag zwar eine ganz hübsche Illustration zu einem Märchenbuche sein, aber eine Architektur ist das nicht.“ Bei kurzen Studienreisen nach Florenz und Rom, noch während meiner Studienzeit, ging es mir ähnlich wie vor der Secession: ich fand den Mittler nicht, der dem schüchternen Architekturstudenten etwa den Mut gegeben hätte, vor den Monumentalwerken der großen Gestalter von Florenz und Rom den Stift zu ziehen und zu zeichnen. Ein mitgenommenes Skizzenbuch brachte ich blank wieder zurück. Erst als mich eines Tages ein väterlicher Freund und besonderer Kenner der Wachau dorthin mitführte, konnte ich auf einmal zeichnen, das Ei war gebrochen, ich zeichnete in der Folge, wo ich nur konnte, besonders auch in Tirol, und die Ergebnisse fanden bei der „Bauhütte“ solchen Anklang, daß vieles von diesen Skizzen reproduziert wurde. Der väterliche Freund, Oberbaurat Pichler, empfahl mich bald an eine neugegründete Bauberatungsstelle eines Vereines „Deutsche Heimat“. So gering das monatliche Gehalt auch war, so brachte mich dieses Amt mit einemmal in alle österreichischen Länder, die damals noch bis Eger und bis in die Bukowina reichten, mit von mir verfaßten Projekten aller Art. Einiges aus dieser Zeit ist gebaut worden, als Beispiel führe ich die Volksschule für Marbach an der Donau und ein Kinderheim ebendort an. Meine Pläne fanden das besondere Interesse und die Förderung seitens des Erz-herzogthronfolgers Franz Ferdinand, der, im nahen Artstetten residierend, sich um die Pflege des Dorfbildes von Marbach sehr gekümmert hat.

Mit meiner Praxis etwa in Architektenateliers hatte ich wenig Erfolg. Sowohl bei Hoffmann und Tranquillini, die 1913 den Auftrag für den Bau des Museums der Stadt Wien erhalten hatten und mich mit vielen meiner Kollegen in ihr Atelier beriefen, als auch bei Professor Dr. Holey. der damals für ein großes Kirchenprojekt in der Brigittenau und für die Wiederherstellung der Basilika von Aquileia arbeitete, mußte ich nac'- kurzer Zeit aus eigener Erkenntnis meiner Unbrauchbarkeit meinen Dienst kündigen. Meine Hauptbeschäftigung während der folgenden Kriegsjahre war die meiner Tätigkeit als dreifacher Assistent an der Technischen Hochschule. Ich war von meinem Vater her brasilianischer Staatsbürger und deshalb vom Militärdienst frei. In diesen Jahren habe ich als Assistent bei Ferstel, Simony (Utilitätsbau) und Artmann (Hochbau) sehr viel dazugelernt, was ich während meiner Hochschulzeit versäumt hatte.

1919 wurde ich als Lehrer an die Staatsgewerbeschule in Innsbruck berufen. Vor und während dieser Zeit unternahm ich eingehende Studien über das Zisterzienserstift Stams in Tirol, um daraus eine Doktorarbeit zu basteln. In langen Wochen klösterlicher Einsamkeit habe ich diesen sehr merkwürdigen Bau fortwährender Umbildungen durch sechs lahrhunderte seit seiner Gründung im Jahre 1273 kreuz und quer aitsgemessen und mit Hilfe des Abtes Mariacher eine Rekonstruktion auf den ursprünglichen romanischen Zustand versucht, gestützt auf .vorhandene Reste und auf Dokumente in der Stiftsbibliothek. Die strenge Prüfung bei Hofrat Neuwirth über die einschlägigen Fachgebiete habe ich mit einiger. Mühe überstanden und wurde, wie ich glaube, im Jahre 1920 in feierlicher Promotion zum Doktor der Technischen Wissenschaften ernannt. Das graphische Werk habe ich dem Stift Stams vermacht, ich erinnere mich dabei meiner intensiven Bemühungen um die Darstellung des reichen Figuren- und Ornamentenschmucks an Altären, Gittern und Chorgestühl, und mein Lehrmeister war hierin fraglos Friedrich Ohmann, dessen graphisches Werk ich auch heute noch als kostbaren Schatz bei mir bewahre. Mein Lehramt an der Staatsgewerbeschule unter ihrem strengen, aber sehr gerechten Direktor Rudolf Schober, einem Studienfreund von der Technischen Hochschule her, brachte mich wieder mit der Jugend in Verbindung, der ich von jeher meine ganze Liebe bis zum heutigen Tage gewidmet habe. Die strenge Einhaltung der Vorlesungsstunden war freilich nicht meine Stärke, denn schon zog es mich in die verschiedensten Täler Tirols zu baulicher Betätigung. Ich führte damals noch kein Atelier, alles mußte von mir selber erzeichnet und errechnet und kontrolliert werden. Im Zillertal, im Wipptal, im Stubaital, im Ober- und Unterinntal und in Vorarlberg erstanden meine bescheidenen Bauten aller Art. Und dann kam durch die Jugendfreundschaft mit Luis Trenker Südtirol als neues und Intensives Feld für.größere Aufgaben. Luis Trenker, von Beruf Architekt, war damals als Filmmann schon allseits bekannt, seine rasante Persönlichkeit, besonders als wundervoller Erzähler, eroberte die Herzen im Sturm, auch die der Bauherren für unsere Baupläne. Dies und dann die Beaufsichtigung der Bauten in den verschiedensten Gegenden Südtirols brachte mich in köstlichen und unvergeßlichen Fahrten genieinsam mit dem Luis in die Lage, Land und Menschen, denen ich heute noch vor allem anderen Menschenschlag den Vorrang gebe, kennenzulernen.

In Innsbruck selber baute ich nur ein großes Variete für einen Kriegsgewinnler, das inzwischen gottlob abgebrochen ist. Dann noch ein kleines Kaffeehaus im Hofgarten, das, stark verunstaltet, noch heute besteht, und sonst und alles andere war nur Papier. Weder ein Projekt für den Ausbau der Dogana für eine Festhalle noch ein kühner Entwurf für ein Hochhaus bei der Triumphpforte, den Gedanken hat ein anderer aufgefaßt und ausgeführt, weder ein Kirchenprojekt für Wilten noch ein Brückenprojekt über den Inn, weder ein 1. Preis für ein Bahnhofsprojekt für Innsbruck noch ein Schützenhaus auf dem Berg Isel und vieles andere, zum Teil mit ersten Preisen Ausgezeichnete, fand Gnade bei den damaligen Verwaltern von Stadt und Land. Die Beteiligung an Wettbewerben aller Art brachte zu jener Zeit viele Erfolge, aber keine Ausführung.

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