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Brücke im Krieg

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Von den Künstlern der „Brücke“ war der Architekturstudent und Autodidakt Karl Schmidt-Rottluff, der dieser 1905 sich bildenden Gruppe von Künstlern den Namen gab, selber der Stillste. Er ist es geblieben, nachdem er als allgemein anerkannter deutscher Meister den ihm innerlich vorgezeichneten Weg bis zur Vollendung gegangen ist und heute in der Berliner Hochschule für bildende Künste wirkt.

Es ist eine einmalige Erscheinung in der Geschichte der deutschen Malerei, daß junge Studenten eine Gemeinschaft bildeten mit dem besessenen Ziel, dieser Kunst völlig neue Bahnen zu erschließen. Ihr aufzuweisendes Gepäck ist kein einziges irgendwie anerkanntes Werk; sie verlassen sich nur auf ihr brennendes Freiheitsgefühl, auf ihre Hand und den unerschütterlichen Glauben an ihre Eingebungen, an ihre Zukunft. Diese allerdings war dunkel verhangen und das Tor dicht verschlossen.

Es sind Jünglinge von 21 bis 24 Jahren, die mit ihrer unbelasteten, aber elementar von innen wirkenden Kraft an dieses Tor pochen. Schmidt-Rottluff ist der Jüngste von ihnen. Und das Seltsame wird für immer bleiben, daß er und die übrigen. „Brücke“-Gründer, Kirchner, H e c k e 1 und Pechstein, der ein Jahr später zu der Gemeinschaft stieß, sich sämtlich einen Namen von Weltruf erworben und den wesentlichen Umschwung in der Malerei des 20. Jahrhunderts, den Expressionismus, heraufgeführt haben.

Die Entrüstung, die sie entfachten, ist ebenso begreiflich wie die Gegenwehr, die sie wachriefen. Ihre Kunstsprache war zunächst nicht allgemein verständlich, und es ist viel darüber diskutiert und geschrieben worden, daß ausgerechnet in einer Zeit der größten deutschen Ordnung, wo jedem Begabten der Weg über die Akademie offenstand, diese umstürzlerisch gesonnene Gruppe auf den Plan trat. Aber die „Brücke“ war antiakademisch. Ihr erschien das Malen von Aktbildern im Atelier nach bezahlten Modellen steril, die eingeborene intuitive Freiheit abgedrosselt, der Eros in der Sendung der Kunst vergewaltigt. „Bessere Boten haben Götter nicht“, sagte Gerhart Hauptmann.

Schmidt-Rottluffs Holzschneidekunst war schon in der ersten ,.Brücke“-Zeit zu früher Entwicklung gekommen. Wie ungeahnt neu und überraschend sie war, erfährt man von dem Eindruck, den seine Blätter 1909 auf den Norweger Edvard Münch machten. Buchheim berichtet, daß dieser entsetzt ausrief: „Gott mag uns bewahren, wir gehen schweren Zeiten entgegen.“ Dann blieb er den Abend über schweigsam und konnte in der Nacht keinen Schlaf finden. Am nächsten Morgen erklärte er, daß er sein Urteil korrigieren müsse, es sei doch etwas an den Blättern dran, sie seien ihm die ganze Nacht durch den Kopf gegangen. Ein deutlicher Beweis übrigens, daß Schmidt-Rottluffs künstlerische Aussage von Münch nicht beeinflußt worden war. Er konnte vielmehr bei der allgemeinen Bewegung seinen Sonderfall als Gewicht in die Waage der Erneuerung werfen und hat über Nacht den großen Norweger von sich und seiner Eigenständigkeit überzeugt.

Von dieser traumwandlerischen Sicherheit blieb er bis heute getragen; sie ist zu keiner Konzession bereit und führt mit seherischer Schwere die Hand bei der Arbeit. „Von mir weiß ich, daß ich kein Programm habe, nur die innerliche Sehnsucht, das zu fassen, was ich sehe und fühle, und dafür den reinsten Ausdruck zu finden“, antwortete er 1914 der Zeitschrift „Kunst und Künstler“, die sein „Programm“ veröffentlichen möchte, und fährt fort: „Ich weiß nur noch, daß das Dinge sind, denen ich mit den Mitteln der Kunst nahekommen kann, aber weder gedanklich noch durch das Wort.“

Der nebenstehende Holzschnitt einer Lyra stammt aus dem Jahre 1957. Noch an der kleinen Vignette zeigt sich der Meister: Sie ist nicht die Abbildung eines solchen Spielgerätes schlechthin; sie ist das Gleichnis, die Quintessenz desselben — hier legendär wie aus Baumästen des Waldes zusammengefügt und so als Sinnbild für einen Lyrikband des Limes-Verlages in Wiesbaden von Schmidt-Rottluff entworfen.

1913 finden sich die Namen der alten Künstlervereinigung „Brücke“ noch einmal in der neugegründeten „Freien Sezession“ nebeneinander, deren Repräsentant damals Liebermann war, während Corinth der der „Berliner Sezession“ nach ihrer Spaltung blieb. Cassirer war der Mitbegründer der „Freien Sezession“, wie überhaupt von seinem machtvollen Einfluß das Wohl und Wehe manchen Genies abhing. Ohne ihn wäre auch Gaul und später dessen Schützling Barlach kaum oder doch erst weit später zu Ruhm gekommen. Cassirer versuchte nun, Heckel zum Beitritt in die „Freie Sezession“ zu bewegen, da auch Pechstein bei der Spaltung von der Berliner Sezession zur „Freien“ hinübergewechselt war. Aber Heckel, der treue und hochgesinnte Weggefährte der „Brücke“, willigte nur in diesen Schritt, wenn auch Schmidt-Rottluff und Kirchner Aufnahme fänden. So waren alle ehemaligen Kampffreunde vertreten, wenn auch nicht unter dem alten Wahrzeichen „Brücke“. In der dargelegten Wesensverschiedenheit ihrer Mitglieder lag es begründet, daß diese erfolgreiche Gemeinschaft sich lockerte; als sie sich trennte, hatte sie dem Expressionismus bereits zum Erfolg ver-holfen und sich in die Annalen der Geschichte der Malerei ihres Jahrhunderts eingetragen. *

Der erste Weltkrieg schlug in die große Entwicklung, die seit der Jahrhundertwende die Malerei genommen, eine schwere Bresche. Das gewaltige Zeitgeschehen riß die jungen Meister aus ihrer Bahn. Kirchner, der Gespannteste, auch der physisch Schwächste, konnte allerdings den Feldrock als körperlich untauglich wieder ausziehen, ohne im Schützengraben Verwendung gefunden zu haben.

Schwerer erging es Schmidt-Rottluff, mit dem ich 1916 ein gemeinsames Kriegsjahr verleben sollte. Als ich nämlich in die Leitung der Presseabteilung in Hindenburgs Hauptquartier Ost (Kowno) berufen wurde, legte mir Richard Dehmel die Kommandierung des „Landsturmmannes Schmidt-Rottluff“ in den Stab Ober-Ost nahe, da der ihn seelisch zermürbende Truppendienst seine Kunst ernstlich gefährde. Dehmel war förderndes Mitglied der „Brücke“. Wie es denn kaum einen Künstler gibt, dessen feuertrunkene Persönlichkeit die Umbrüche seiner Zeit prägnanter widerspiegelt, als dieser Dichter.

Es gelang mir damals, eine Anzahl Maler und Schriftsteller als Mitarbeiter in die Presseabteilung zu ziehen — meist Landsturmleute, die ihrem seelischen Gefüge nach für den Schützengraben ungeeignet waren. So bildete sich eine halb verschwiegene Künstlerecke im Stabe, zu der u. a. die beiden Maler der Berliner Sezession Magnus Zeller und der Radierer Hermann Struck, denen nun Schmidt-Rottluff von der „Freien Sezession“ nachfolgte, gehörten und ferner die Dichter Herbert Eulenberg, Arnold Zweig, Alfred Brust und der im Schützengraben erkrankte Leutnant Dehmel.

Da der Etat stillschweigend überzogen war, gestaltete sich die Unterbringung der. Kommandierten äußerst schwierig, zumal Ludendorff angeordnet hatte, daß die in Kowno zurückgebliebenen Einwohner nicht evakuiert werden sollten. Als ich daher Schmidt-Rottluff und Magnus Zeller einen gemeinsamen Raum hatte zuweisen müssen, baten sie im Hinblick auf die Zwiestimmigkeit ihrer in Berlin getrennt kämpfenden Sezessionen um Abhilfe. Ich suchte die beiden Künstler auf, ihnen müden Herzens zu erklären, daß in der Raumfrage meine eigene Kompetenz nur noch bis zu einem mitgebrachten Stück Kreide reiche. Dann zog ich durch die Mitte des Zimmers einen dicken weißen Strich: Hie Freie — hie Berliner Sezession. Diese Manipulation im feindlichen Ausland verwandelte bald die Berliner Fehde in ein gutes persönliches Einvernehmen, mit dem die beiden jungen Meister ihr oberöstliches Kriegsintermezzo absolvierten.

Schmidt-Rottluff hat hier in den Mußestunden an seiner expressionistischen Holzschnittmappe „Kristus“ zu arbeiten begonnen, deren Folge er 1918 auf neun Blätter erweiterte und die ein Hauptstück seiner Graphik darstellt. Aber der Druck des Krieges lastete schwer auf ihm, wenn er natürlich auch die Befreiung vom eigentlichen Militärdienst, zu dem er seiner ganzen seelischen Veranlagung nach untauglich war, dankbar empfand. Zu manchem geselligen Abend rücken wir in meinem Quartier zusammen — beim Abschied von Hermann Struck zumal. Eine satirische Gedächtnisausstellung wurde in meiner Wohnung arrangiert. Die Dichter schrieben beißende Verse in „Strucks Poesie-Album“. Das war ganz nach dem Harzen des immer kampfbereiten Dehmel, der jedem gern ein wenig Heiterkeit vermittelte. Er eröffnete die Seiten mit dem Knüttelvers:

Ruhe aus von Deinem Zorne,

der uns traf in allen Tinten:

Manchmal malst Du uns von vorne,

aber manchmal auch von hinten.

Eulenberg, der in unserem Kreis für Struck die Anrede „Manne“ gebräuchlich gemacht hatte, folgte mit dem Vierzeiler:

Keinem Sterblichen ist es gegeben,

seine Leichenfeier zu erleben,

Manne, Du hast Glück, mach es Dir klar,

dank es Deinem edlen Freundespaar.

Und von der Zunft der Maler schloß Schmidt-Rottluff sich mit der doppelt zu deutenden delphischen Erklärung an: „Mir war er über.“

Schmidt-Rottluff und Magnus Zeller schmückten die Wände expressionistisch und impressionistisch mit doppelschneidigen Entwürfen — eine Gemeinschaftsarbeit, die in diesem Falle absurd war und der Tragikomik nicht entbehrt. Der Kampf der Sezessionen hatte Waffenstillstand im Kriege; menschlich waren wir alle gute Gefährten geworden, auch der Pazifist und „unfreiwillige Landsturmmann“ Eulenberg und der Kriegsfreiwillige Leutnant Dehmel.

Fast wäre die ganze Künstlerecke wieder aufgeflogen. Von Berlin aus wurden Ludendorff Schwierigkeiten wegen dieser Zusammenziehung der Künstler bereitet, und er ließ sich eingehend von mir über diesen seltsamen Landsturm Vortrag halten. Ludendoff hatte — man darf ihn nicht nach seinem persönlichen und politischen Verhalten nach dem unheilvollen Kriegsaus-, gang beurteilen — im dienstlichen Verkehr einen klaren Blick für die Gegebenheiten auch da, wo ihm die Materie fremd war, und gewährte jedem Abteilungschef weitgehende Selbständigkeit, wenn der Erfolg der Arbeit dem Einsatz und seinen Erwartungen entsprach: „Der Aktenvorgang ist der Totengräber freier Entschlußkraft.“

Indem nun die von der Presseabteilung herausgegebenen 13 Zeitungen von allen Mitarbeitern gespeist wurden und als Kriegsausgaben dieser Blätter ein beachtliches Niveau. hatten (die deutschen Museen forderten laufend Exemplare an), konnte ich Ludendorff erklären, daß dies nur durch die mitwirkenden Künstler zu halten sei. Nach meinen Erfahrungen mit ihnen würden sie die Front eher belasten als festigen, während sie hier belebende Arbeit leisten könnten, die ohnehin bei ihrer Mentalität hohe Anforderungen an sie stellte. Ich wies auch darauf hin, daß Wilhelm I. den Maler Leibi 1870 vom Militärdienst ganz freigestellt habe, ohne - ihn gar noch anderweit zu binden.

Ludendorff billigte nachträglich nicht nur meinen erweiterten Etat, sondern trug mir auf, für eine ausgewogene Stimmung Sorge zu tragen. Er ließ sich fortan des öfteren berichten, erteilte selber verschiedene Aufträge und stellte hierfür die „Druckerei Ober-Ost“ zur Verfügung.

, Zwischen den Geschehnissen begannen die Künstler eines Tages ein malerisches Abschiedskabarett vorzubereiten, als ich ins Krjegsmini-sterium berufen wurde. Die Frage der verschiedenen Sezessionen spielte bei den Planungen keine Rolle mehr. Schmidt-Rottluff und Magnus Zeller verfertigten auf Humor zugeschnittene Schattenbilder, die hinter einer beleuchteten weißen Decke kunstvoll bewegt wurden und Erlebnisse der gemeinsamen Kriegszeit darstellten, wobei die Atelier-Guillotine grimmig am Werk war. Arnold Zweig hatte die verbindenden Bänkelsänger-Texte verfaßt, und Herbert Eulenberg machte mit rheinischem Humor den Conferencier — eine Kleinkunst von seltsam beschwingter Höhe und Einmaligkeit.

Was Ludendorff, dessen Stützung in der Frage ider Künstlerbetreuung man damals* immer* gewiß sein konnte, für die der Presseabteilung Verpflichteten bedeutet hatte, wurde offenbar, als er in die Oberste Heeresleitung berufen wurde und im Stabe eine allgemeine Umgruppierung in der Besetzung der militärischen Stellen stattfand, da die Ostfront sich inzwischen weit ins Herz Rußlands vorgeschoben hatte. Es ist wenig bekannt, daß Ludendorff trotz seiner strengen Natur ein starkes Einfühlungsvermögen besaß, das selbst der Mann im Schützengraben spürte. Ein Dank seitens der Kunst ist infolge seines eigenen Scheiterns dem General vorenthalten geblieben.

Bei meinem Fortgang nach Berlin riet ich den Gefährten, möglichst „nicht aufzufallen“, um in der Stille arbeiten zu können. Der weltfremde Leiter der „Kownoer Zeitung“ verschaffte indessen Zeller die Gelegenheit, den neuen Oberquartiermeister während der Arbeit zeichnen zu dürfen, um ihm durch solche Verbindung zu diesem hohen Herrn, der nun nächst General Hoffmann die Befehlseewalt innehatte, seine Stellung im Stabe zu sichern.

Zweimal hatte der Oberquartiermeister, dessen Stigma eine etwas platte Nase war, dem Maler gesessen, nachdem dieser im Vorzimmer mit dem Hund seines Modells jedesmal Minuten des Schreckens nur dadurch bestanden hatte, daß er die immer aufgeregter knurrende Bestie in Blickbann hielt. Aber als Zeller beim dritten Male im Vorzimmer verharrt und seine Angst vor dem Wachhund nur schwer zu verbergen imstande ist, wird es dem Köter zu dumm, diesen mit Seitengewehr und Aktenmappe bewaffneten Eindringling ins Zimmer seines Herrn zu lassen. Im Augenblick, als Zeller die Türklinke ergreift, geht er zum Angriff über. Er zerrt ihn hinterrücks am Mantel von der Türschwelle zurück, so daß zwei der blankgeputzten Knöpfe davon-rollen. „Warum kommen Sie denn nicht?“ dröhnt es von drinnen her unwillig, „ich habe nicht Zeit, gar noch auf Sie zu lauern.“

Inzwischen hat der aufgeregte Hund dem Künstler die Zeichenmappe aus den Händen gerissen und schüttelt die Beute hin und her. Mit dem Mut der Verzweiflung entwindet ihm Zeller sein Rüstzeug und stürzt ins Zimmer des Oberstleutnants. — „Wie sehen Sie denn aus?“ herrscht er ihn an. „Sind Sie betrunken? Ziehen Sie wenigstens Ihr Koppel gerade! In solchem Aufzug wagen Sie ... Zeigen Sie mal her, was Sie bisher gemacht haben.“ Zeller reicht ihm das Blatt. Zornesröte steigt in das Gesicht des Konterfeiten: „Sie haben einen Affen aus mir gemacht. So ein Bild ist eine Frechheit. Das Weitere wird sich finden. Scheren Sie sich.“ — Dem Leiter der „Kownoer Zeitung“ gibt er auf, den Landsturmmann Zeller wegen Trunkenheit im Dienst mit drei Tagen Arrest zu bestrafen. Es kostet Mühe, dem Verärgerten die Hundegeschichte nahezubringen, und ihn darüber hinaus davon zu überzeugen, daß das Auge des Impressionisten eine Nase anders sehe, als der Laie. So wurde der Arrest unter Vorbehalt erlassen.

Gelitten hat der die vorgesetzten Dienststellen spröde meidende Schmidt-Rottluff weit tiefer unter der Beschneidung seiner künstlerischen und menschlichen Freiheit. Aber von dem Schweigenden hört man keine Klage.

Das handfeste Temperament des Weggefährten Pech st e i n vermochte — trotz allen äußeren Kriegsschicksals — die Jahre besser zu packen. Er war der Vitalste der alten „Brücke“-Gemein-schaft. Erst Monate später hatte ihn die Nachricht vom Kriegsausbruch in der Südsee in Palau getroffen. Nach unwahrscheinlichen Irrfahrten erreichte er Deutschland, reihte sich ein und hat 1916 bei Armentieres, La Bassee und Bapaume mitgekämpft. 1917 kehrte er nach Berlin zurück, wo er als Anstreicher bei den Flugzeugen verwendet wird, die er zur Deckung gegen Sicht „expressionistisch anpinselte“. Bald aber wandte er sich wieder der Erinnerung an die Südsee zu, wo er vom Kriege aufgeschreckt worden war. Den Schützengraben hatte er lediglich als draufgängerischer Soldat erlebt — wie irgendein anderer, als sei er niemals Maler gewesen.

Ganz entgegengesetzt — und das ist beachtlich — ergeht es in seiner Kunst dem ebenfalls aus dem Expressionismus kommenden Otto D i x, der, 1891 geboren, wohl der jüngste Meister der Farbe im Krieg war. Dix erfährt den höchsten künstlerischen Aufruhr an der Front. Er hat den ganzen Waffengang in vorderster Linie durchgestanden und erblickt in der Betätigung seiner Kunst die einzige innere wortlose Befreiung. Er arbeitet im Schützengraben, wo er nur kann. „Ich trage während des ganzen Krieges mein Malgerät stets im Sturmgepäck mit“, schrieb er mir in einem späten Feldpostbrief. „Das Grausige der unterweltlich seltsamen Landschaft, der Leichengeruch, den der sanfte Abendwind bei zärtlicher Himmelsfärbung herüberträgt, das Furchtbare des halbmannstiefen Schlamms, des nächtlichen Stolperns über Leichenhaufen, das drohend Furchtbare der hellen Sommersonne ..., das sind alles Dinge, die kann man nur malen.“

Nach dem ersten Weltkrieg sollte Ernst Ludwig Kirchner ein besonders tragisches Geschick beschieden sein. Hoffnungslos an Rückenmarksleiden erkrankt, begab er sich mit seiner Frau nach Frauenkirch hoch oberhalb Davos', um in einer einsamen Sennhütte sein Künstlerleben um ein weniges zu verlängern.

Als Eulenberg und ich uns 1920 in der Schweiz aufhielten, beschlossen wir daher, den Todgeweihten in seiner Sennhütte aufzusuchen. Er, saß angezogen auf einem breiten Tagesbett, das ihm als Arbeitsplatz diente, und auf dem er sich auch kniend und kriechend bewegen konnte, da er im Gehen behindert war. Sein Wesen verriet indessen keinerlei Unruhe über seinen Zustand. Er überging ihn ohne gesuchte Abgeklärtheit mit einer Handbewegung, die mehr der Rücksicht auf uns galt, und womit er von vorneherein pflichtschuldige Erkundigungen nach seinem Befinden abtun zu wollen schien.

Lim ihn durch freundlichen Zuspruch ein wenig aufzumuntern, versuchten wir, in der ersten Unterhaltung anzudeuten, wie sehr er den Beweis erbringe, daß völlige Absonderung von Menschen der würdigsten Daseinsform entspräche.

„Das ist leicht hingesagt“, widerlegte Kirchner. „Ich warne jeden vor Einsamkeit, der ihre Schatten nicht vorher in allen Gründen in sich abgelebt hat.“ Und es war, als ob das Merkmal ferner Heimsuchung für einen Augenblick in seinem Antlitz stand, das jetzt etwas von der,ich möchte sagen, bodenständigen Schweizer Bauernart hatte. „Sie müssen ihren ganzen Lebensinhalt mit in die Ferne nehmen“, fuhr er fort, „können aber nie vorher wissen, ob nicht Teile davon daheim bleiben werden. Und dann käme das Gleichgewicht schnell in Unordnung. Es ist nicht so einfach, wenn der Lebensdurst nur noch an einer Quelle gestillt werden darf. Der herrliche Sonnenschein hier oben, die Reinheit des Schnees, gewiß, es sind Kostbarkeiten. Aber sie helfen gar nichts, wenn das Herz nicht alles Gepäck reuelos über Bord geworfen hat... Allerdings, dem Himmel bin ich näher als die da unten.“

Wir verließen das seltsame Bergrefugium des Künstlers, nicht ohne einen starken Eindruck mitgenommen zu haben, bei dem Bewunderung und Mitgefühl einander widerstritten. Denn am Ende war die Weltflucht, die schon grundsätzlich einer Absonderlichkeit nicht entbehrt, durch ein schweres körperliches Leiden bedingt. Die stärkere Seele hatte den übermenschlichen Sieg davongetragen, ihn zu verdichteter, inbrünstiger Arbeit angeregt. Hier oben schuf er im Zenit seiner Graphikkunst eine Folge zu Peter Schle-mihl, wie denn jeder der einstigen „Brücke“-Gefährten den ihm eigenen Stil gefunden hatte.

Ein Wunder geschah: selbst die von den Aerzten nicht mehr erwartete völlige Gesundung trat ein. Die Sonnennähe und die gefundene Seelenruhe hatten dies Wunder vollbracht. Er kehrte zu „denen da unten“ zurück. Aber im Strom der Welt ist ihm der Kompaß des Weisen wieder zerbrochen.

Als Hitler die expressionistischen Maler verfemte und ihnen ihr Rüstzeug aus der Hand schlug, verloren sie alle das Gleiche: jeder sein Bestes — bis zum Gottsucher Barlach. Kirchner, der dem Uebermenschlichen in der hohen Einsamkeit am nächsten gekommen war, war dem mephistophelischen Geist, dem er sich für immer ausgeliefert sah, auf Erden nicht mehr gewachsen. Am 15. Juli 1938 schied er aus dem Leben.

Schmidt-Rottluff und den Freunden war es gegeben, als gebrandmarkte Entartete über der Aechtung des Werkes zu stehen. Er verlor nicht die Kraft, er gewann sie in höherem Maße und blieb der in sich ruhende Diener seiner Kunst.

Neun Jahre nach Hitlers Sturz gelang es, in der Kieler Kunsthalle eine Ausstellung von 140 Bindern Schmidt-Rottluffs zusammenzutragen, die die einschlägigen Werke des Künstlers umfaßt,— vom Aufbruch der jungen Expressionisten bis in die Gegenwart. Fehlte auch manches Kunstwerk, so legte die umfangreiche Lebensarbeit — vervollständigt durch die Schöpfung des letzten Jahrzehnts — Zeugnis von dem grandiosen Aufstieg ab. „Die Ausstellung führt das Werk eines unserer bedeutendsten Meister in schöner Geschlossenheit überzeugend vor Augen“, berichtete Hanns Theodor Flemming. „Nach den schweren Jahren des Malverbots beginnt Schmidt-Rottluff 1945 von neuem. Er entwickelte nun einen reifen, fast weisen Spätstil, ohne das Vitale und Expressive, die Wucht der Farbe und Komposition in den früheren Arbeiten aufzugeben. Gerade die neuesten Gemälde zeugen von dem ganzen Reichtum und der Fülle Schmidt-Rottluffscher Malerei. Sie knüpfen auf anderer Ebene an die unwiederhol-bare ,Brücke'-Zeit an und schließen in glühender Reife den Zyklus seiner Entwicklung.“

Das ungewöhnliche Lebenswerk des 73jähri-gen, der nicht zu altern scheint, spannt nun die Brücke über ein reichliches halbes Jahrhundert. Im vorigen Jahre wählte das Ordenskapitel der Friedensklasse des „Pour le merke“ Schmidt-Rottluff zu seinem neuen Mitglied. Nach den altehrwürdigen Statuten dieses nobelsten, einst von Alexander von Humboldt angeregten Ordens, der zu Hitlers Zeiten verboten wurde, können ihm nur 30 Deutsche angehören, die aus der Aristokratie des Geistes und der Kunst gewählt werden. Diese Auszeichnung bestätigt, welchen Platz Schmidt-Rottluff, der große Schweiger, nach seinem dornenvollen, aber bahnbrechenden Wege in der deutschen Kunst heute einnimmt.

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