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Wiederentdecktes „Litterätle”

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Franz Michael Felder aus dem Bregenzerwald (1839.-1869) war eine tragische Figur. Einerseits beseelten ihn große sozial-reformatorische Ideen, zugleich bekam er starke Widerstände aus der kleinen örtlichen Welt zu spüren, in der die große ihre Probe hält. Hinzu kam persönliches Leid. Über all dem wollte er Schriftsteller werden. „Ich wollte Dichter werden und nun machen sie mich zu weiß Gott was ... Wenn ich aus dem Gezänk nicht herauskomme, soll Deutschland kein Werk mehr von mir erwarten”, schreibt er aus Schoppernau am 30. Juli 1867 an seinen Schwager, den Juristen Kaspar Moosbrugger, der später zum Ahnherrn der Vorarlberger Sozialdemokratie werden sollte.

Felders Schicksal nahm früh einen fatalen Lauf. Er wurde am 13. Mai 1839 im. hinteren Bregenzerwald in der 500-Seelen-Gemeinde Schoppernau als zweites Kind in eine Bauernfamilie geboren. Im zarten Alter von einem Jahr erkrankte er am rechten Auge und wurde im September 1840 operiert. Solche Eingriffe waren damals an sich überaus gefährlich, doch der Arzt behandelte in trunkenem Zustand das gesunde linke Auge. Felder verlor das gute Auge und blieb für den Best seines Lebens schwer sehbehindert.

Trotzdem gab er nicht auf, besuchte die einklassige Volksschule in Schoppernau und fiel dort durch besondere Intelligenz auf. Er verfaßte eine Schülerzeitung und hatte die lautere Absicht, Bibliothekar zu werden. Der frühe Tod des Vaters (1849) machte aber diese Träume zunichte und er war gezwungen, am elterlichen Bauerngut mitzuhelfen. Was blieb, war sein brennendes Interesse für Schriften, Bücher rund Zeitungen. Er abonnierte bereits im Alter von 14 Jahren den „Illustrierten Dorfbabier”, Buchlektüre organisierte er sich bei Lehrer, Pfarrer und Arzt. Die Einsicht in die Wichtigkeit von Lesestoff und Bildungs-futter als Grundlage für geistige und soziale Fortentwicklung sollte später in der Gründung von Leihbibliotheken Umsetzung finden.

Das überdurchschnittlich rege geistige Interesse mißfiel jedoch der Dorfbevölkerung und sie stempelte Franz Michael, der „schmächtigen Gestalt mit hoher Stirn und klarem ernsten Gesichtsausdruck”, wie ihn Grimms Wörterbuch-Herausgeber und Felder-Förderer Rudolf Hildebrand später beschrieb, bald zum Außenseiter in Schoppernau. Ihren Gipfel erreichte die Ablehnung, als er am 6. Juni 1860 beim Viehtrieb in die hochwasserführende Bregenzer-ache stürzte und zu ertrinken drohte. Berichten zufolge überließen ihn einige vorübergehende Bauern einfach seinem Schicksal. Nach einer knappen Stunde konnte er von einem Freund gerettet werden.-

Zu schreiben begann Felder früh, sein Werk umfaßt elf Bände, davon fünf Bände mit 514 Briefen und drei Bomane: „Nümmamüllers und das Schwarzokaspale. Ein Lebensbild aus dem Bregenzerwald” (1863) sowie die beiden sozialkritischen Studien „Sonderlinge” (1867) und „Beich und Arm” (1868). Im letzten Lebensjahr, vier Tage nach dem frühen Tod seiner geliebten Frau Anna „Nanni” Katharina Moosbrugger, die mit 30 Jahren dem Typhus erlag, begann er auf Anraten des Leipziger Philologen Rudolf Hildebrand eine Autobiographie mit dem Titel „Aus meinem Leben”, die er noch kurz vor seinem Tod am 26. April 1869 fertigstellen konnte.

Die nun von der Bregenzer Schriftstellerin und Leiterin des Fel-der-Archives Ulrike Längle zusammengetragenen und kommentierten Briefzeugnisse „Aus meinem Leben” im Residenz-Verlag verstehen sich als Fortführung der Feiderschen Idee einer Autobiographie. Die Auswahl macht präzise die Beziehungsfelder des Schriftstellers klar: 200 Briefwechsel umreißen sein Verhältnis zum Juristen Kaspar Moosbrugger. Scharfsinnig, analytisch, oft mit Witz aus der Hinterhand erörterte er mit ihm politische und soziale Zustände.

100 erhaltene Briefkorrespondenzen mit Rudolf Hildebrand dokumentieren eher die poetisch-ästhetische Seite Felders. 214 weitere Korrespondenzen fanden mit verschiedenen Briefpartnern statt. So schrieb er an seinen Cousin Johann Josef Felder am 3. September 1860: „Wirst Du nicht bald heimkommen ins Land, wo liebende Herzen Dir entgegenschlagen und wo nun die Erdäpfel wieder zeitig sind, wo jeder Esel ein Philosof ist, und ein jedes Schaf Gedankenfreiheit hat.”

Besonders berührend sind aus diesem Block die anmutigen Briefe an seine Frau Anna Katharina Moos-brugger, die blitzlichthaft und authentisch eine innige Liebesgeschichte wiedergeben. Fast beschwörend schreibt er ihr: „Liebe sei unsere Begleiterin u. Treue unser Losungswort!” (29. Juni 1860). Sie war auch sein intellektueller Ansprechpartner: „Ich lese im Shakespeare u denke an Dich Du bist mir immer gegenwärtig.” Und an die Adresse der Schwiegermutter, die die spätere Heirat verbat: „O hätte doch deine Mutter nur einmal in ihrem Leben einen ach! nur einen Menschen wahrhaft geliebt, aber -das hat sie nicht.”

Anna Katharina wiederum teilte auf anmutige, praktisch-ernste Weise ihrem Bruder von der Heiratsabsicht mit und spricht in höchsten Tönen von Felder: „Er ist ... mit großen und schönen Talenten begabt. Hat vieles durch sich selbst gelernt, mit Beihilfe seiner Bücher (...) kennt das Leben, die Welt, das Leben, wie nicht leicht einer. Und dazu so gut, voll Mitgefühl, u gutherzig. Er ist halt, wenn ich ihn ganz nenne, ein Man, sein Name ist Franz Michael Felder, 14 Monate jünger als ich.” (Herbst 1860)

Im gleichen Jahr, 3. September 1860, verkündet der 21jährige Franz Michael Felder noch scherzhaft seinem Cousin Johann Josef den Blankvers: „Verloren ist der Augenblick / in dem Du redst von Politik”, doch sein politisches Interesse, neben dem literarischen Bestreben, wuchs.

Er studiert die Schriften Lassalles, des ersten Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie (der einige Jahre später bei einem Duell um eine gräfliche Geliebte starb) und schreibt: „In Lassalle habe ich gelesen und bin so erhitzt, daß ich auch die anderen Schriften später von Dir verlangen werde” (an Kaspar Moos-brugger, Herbst 1840).

Dieses Engagement sollte sich verdichten. Eine politische „dritte Kraft” schwebte ihm vor, positioniert zwischen dem in Vorarlberg starken liberal-protestantisch-antiklerikalen und dem klerikal-konservativen Flügel. Von Anbeginn saß er zwischen zwei Stühlen, seiner Zeit voraus, oft in arger Geldnot, regelmäßig verleumdet vom Dorfpfarrer Rüscher und ex cathedra gescholten: ein Ketzer, Antichrist und Freimaurer sei er.

Trotzdem wurde Felder 1864 mit 14 Stimmen in den Gemeinderat gewählt, fortan verfolgte er das Ziel, als Zünglein an der Waage zwischen den Liberalen und den Konservativen eine „Partei der Gleichberechtigung” zu gründen. Sein politischer Veränderungswille und seine sozial engagierten Romane erregten im feinmaschigen Mikrokosmos Schoppernau jedoch zuviel Aufregung.

Engstirnigkeit und Provinzialität, Kleinmut und soziale Zwänge führten dazu, daß Felder zweimal die Flucht aus dem Ort antreten mußte.

1867 schließlich kam die Gründung der „Partei der Gleichberechtigung”, ein erster Vorläufer der sozialdemokratischen Bewegung. Er versandte Aufrufe in alle Welt, auch an Hildebrand nach Leipzig. Diese Vaterfigur erwidert milde, aber bestimmt: „Die pol. Broschüre macht mich etwas verdutzt. Der gelehrte Anstrich, die wuchernden Fremdwörter, das zuweilen Orakelhafte des Stils, das Sprunghafte in Gedanken - ist das Ihr Stil?” Doch Peter Bo-segger, der frühe Vorläufer der ökologischen Grünbewegung, mit dem Felder manches gemeinsam hatte, besuchte ihn zweimal.

Politisch durchsetzen konnte er 1866 in seinem Dorf die Gründung des „Schoppernauer Handwerkervereins”, in dem er eine Leihbibliothek installierte. Auch die Einrichtung einer Landesleihbibliothek im nahegelegenen Bezau konnte er anregen: „Etwas Geldmittel sind zusammengebracht und das gemeinnützige Unternehmen ist gesichert.” (22. Jänner 1869)

Die Aufregungen, die es um Felder gegeben hat und die „ein scharfes Schlaglicht auf die Verhältnisse in der Habsburgermonarchie in den Jahren 1860-1869” werfen (Längle im Nachwort), nahmen auch nach seinem Tod kein Ende.

Selbst noch im Jahr 1874 kam es zu tumultartigen Zwischenfällen beim Versuch, dem Dichter ein Denkmal zu errichten und zum 50. Jahrestag mußten Feierlichkeiten im Nachbarort Au über die Bühne gehen, weil abermals der Dorfpfarrer Einwände hatte. Felders Verfolgung zog noch weite Kreise, bis zur Jahrhundertwende geben Schmieraktionen am Friedhofsdenkmal beredtes Zeugnis.

Franz Michael Felder starb im Alter von 30 Jahren am 26. April 1869, nur ein halbes Jahr nach seiner Gattin, und hinterließ fünf Kinder. Den Tod seiner Frau hat er nie verwunden. Der nun vorliegende autobiographische Band entwickelt durch die fundierten Fakteneinschübe Längles ein romanhaftes Pandämo-nium von Namen, Dorfgestalten und Dorfereignissen und ist in dieser Kompaktheit eine spannende Lektüre. Sichtbar wird die große Hinterlassenschaft des „Litterätle”, wie er sich selbst nannte, sein sicherer Sprachwitz, die persönliche Ausdruckskraft, der vitale Schwung.

Oder, wie Budolf Hildebrand im Nachruf auf den weit über die Region bedeutenden Schriftsteller sagte: „Er hatte von Natur eine erstaunliche Gabe, Verhältnisse und Menschen rasch bei ihrem Kern zu erfassen und das übrige klar zu gruppieren und rücksichtslos scharf zu sichten in Wesentliches und Unwesentliches.” (12. Juni 1869)

Der Auswahlband erschien in der leider kaum beworbenen Österreich-Reihe des Residenz Verlages, die in die Randbezirke heimischer Literatur hineinleuchtet.

Bereits Mitte der achtziger Jahre wurde im Böhlau-Verlag die „Österreichische Bibliothek” initiiert: dunkelblaue Halbleinen-Bücher, die Claudio Magris betreute und die vergessene Porträts von Franz Blei, Feuilletons von Ludwig Speidel, Dramen von Ferdinand Bruckner, Novellen von Ferdinand Saar, Aphorismen von Karl Kraus an die Öffentlichkeit brachten. 13 Bände kamen damals heraus, und noch ehe die Beihe eine verläßliche Institution werden konnte, stellte man. sie wieder ein. Vor drei Jahren griff nun Residenz die alte Idee als „Eine österreichische Bibliothek” wieder auf.

Beruhigend ist, und das könnte trotz schlechter Informationsarbeit den frühzeitigen Untergang verhindern, daß das Projekt diesmal unter den Fittichen Wendelin Schmidt-Denglers steht, des wohl sachkundigsten, umsichtigsten, eloquentesten und verantwortungsvollsten Anwalts österreichischer Literatur. Der Wiener Germanistik-Ordinarius und Leiter des „Österreichischen Litera-turarchives” äußerte bei einem Felder-Abend im Dezember in der „Gesellschaft für Literatur” das klare Ziel, daß er mit dieser Reihe die „Umrisse österreichischer Literatur” nachzeichnen und zugleich das Spannungsfeld zwischen Metropole und Region beleuchten will. So erschienen bisher Bände von Franz Grillparzer, Abraham A Sancta Clara und Peter Bosegger.

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