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Sanfter Abschied

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Schubert geht ins Nebenzimmer und legt sich wieder ins Bett. Bald danach kommt Anna mit dem Kaffee und ist erstaunt, wie ruhig und sicher die Hand ist, mit der er die Tasse nimmt. Ganz glücklich beobachtet sie, wie er trinkt, wie er den Duft des Kaffees genießt. Er setzt die Schale ab, fährt mit der Zunge über die Lippen und stellt die leere Tasse auf den Sessel neben dem Bett. „Vergiß nicht die Arznei", sagt Anna im Hinausgehen.

Wieder spielt er den Gekränkten, zieht die Brauen hoch und preßt die Lippen zusammen. Langsam holt er Atem und sagt mit sehr tiefer Stimme, „ich bin verletzt, denn du weißt genau, daß ich sehr ordentlich bin und alles nach der Uhr nehme."

„Nach der Uhr gerade nicht", sagt Anna, „aber immerhin hoffe ich, daß du das Zeug nimmst."

Sie geht hinaus, bringt ein wenig später den Wein und hält die Dose mit der Medizin in der anderen Hand. Er streut etwas von dem Pulver vor ihren Augen auf einen Löffel, nimmt es ein und trinkt.

„Zufrieden, hoffe ich?"

„Gut", sagt Anna, „und jetzt schlaf ein wenig."

Die hat leicht reden, die Anna, schlaf ein wenig, sagt sie, als ob das so leicht wäre, um zehn Uhr an einem Vormittag zu schlafen, um gesund zu werden. Zu dieser Zeit habe ich immer gearbeitet, und es war ganz gleichgültig, ob zu Haus oder in Linz, ob in Steyr oder Gmunden oder Salzburg/ob in Gastein oder in Zselitz oder irgendwo, na ja, vier Jahre ist das her, daß ich zuletzt in Zselitz lebte, und das war eigentlich doch schön, denn dort habe ich trotz allem viel Ruhe gehabt.

Hier in der Stadt war ja immer der Schober da, der selbst kaum gearbeitet hat, aber ununterbrochen in Kaffeehäuser oder Wirtshäuser oder gar zu literarischen Lesungen gehen wollte, und wenn ihm gar nichts anderes eingefallen ist und kein einziges weibliches Wesen in der Nähe war, dem er den Hof hätte machen können, dann wollte er immer dieses blöde Angabenspiel spielen. Eigenartig, wie versessen er darauf war, denn es ist schon komisch, wenn sich ein Mensch seines Alters bemüht, aus vorgegebenen Worten ein Gedicht zu schreiben, aus einigen Punkten und Strichen eine Zeichnung zu machen oder aus angesagten Noten ein Musikstück zu komponieren. Dümmer geht's schon nicht mehr, aber ich mußte mittun, und zu meiner Schande muß ich sagen, daß ich manchmal sogar Lust dazu hatte. Aber ohne den Schober wäre ich vielleicht auch während der Nachmittage bei meinem Notenpapier sitzen geblieben, und hätte ich wenigstens in letzter Zeit etwas mehr getan, dann gäbe es jetzt von meiner neuen Musik nicht nur die Winterreise und die drei Sonaten für Klavier und das Quintett, sondern vielleicht auch noch ein oder zwei Symphonien oder ein Klavierkonzert dazu.

Aber lieb waren sie doch alle, wenn sie sich zusammengesetzt haben, um meine Sachen zu singen und zu spielen. Gern würde ich wissen, wer diese Bezeichnung dafür erfunden hat, der gehört nämlich bestraft, denn wer sagt schon Beethoviade, wenn Beethoven gespielt wird, aber es ist doch immer ein Kompliment gewesen, auch wenn das Ganze manchmal nur eine Einlage war vor dem Abendessen oder vor einem Ball.

Wenn ich denke, daß das noch in diesem Jahr war und im letzten Winter in der Stadt. Damals habe ich den Schuppanzigh mitgebracht und noch einige andere dazu. Wir spielten mein Klaviertrio, und später habe ich mich mit dem Bocklet vierhändig produziert. Alles war bestens. Danach ist noch getanzt worden, und ich Idiot habe gespielt, statt selbst zu tanzen.

Den Abend hat der Spaun, der Glückliche, für seine Braut veranstaltet, aber so sage ich jetzt, damals habe ich anders gedacht, vor einem Dreiviertel jähr habe ich ihn wegen seiner bevorstehenden Heirat bemitleidet. Warum,zum Teufel, weiß ich erst so spät, was gut gewesen wäre für mich? Aber es hat ja nicht sein wollen. Was hätte nicht alles geschehen können, wäre das Schicksal ein wenig sanfter mit mir umgegangen? Das größte Fest wäre gefeiert worden, und zwar nicht in einer Wohnung, sondern in der Hofburg, und alle wären dagewesen. Wissen Sie es denn nicht? Der junge S. gibt ein Fest, jawohl, er selbst, und zwar in der Burg und mit Bewilligung des allerhöchsten Hauses, ja, dieser Musiker mit der hohen Stirne und den Lokken, mit den lustigen Augen und dem sanften Mund, ja, selbstverständlich, dieser berühmte Komponist gibt das Fest zu Ehren seiner Braut. Sie wissen das nicht? Unfaßbar. Wo waren Sie während der letzten Wochen? In Ungarn? Im Banat? In Siebenbürgen? In der Walachei? Dieser glückliche Mensch wird die Blahetka heiraten. Ja, so hätte es sein können, aber es ist anders, denn ich liege auf der dreckigen und stinkigen Wieden in der Nähe des schmutzigsten und fauligsten aller Flüsse in der Wohnung vom Bruder und verliere schön langsam den Verstand.

Aus dem Roman „Schnee im November", der demnächst im Verlag Styria, Graz, erscheinen wird.Zusammenhang mit der ÖVP-Reform wird nach Meinung des Klubobmannes die Frage der Bünde „eher hochstilisiert". Obwohl er ein überzeugter Verfechter des Föderalismus sei, registriere er in den letzten Jahren besorgt eine zentrifugale Entwicklung in der ÖVP. Den Landesparteien sei „in jedem Fall das Hemd näher als der Rock quot; der Bundespartei.

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