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Skizzen aus dem Dorf

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Von welchem Punkt des Hanges man auch auf das Dorf hinuntersieht, stets fädeln die roten und schwarzen Dächer zu einer Kette auf, einer ungerührten Waagrechten inmitten des grünwelligen Auf und Ab. Darüber die weißen Rauchsäulen: Pumpend und atmend signalisieren sie Leben und Frieden.

Itzelsdorf ist eigentlich eine einzige, scharfe Straßenkurve. Mit Höfen zu beiden Seiten. Prinzip: links hinauf oder rechts hinunter. Die Häuser schmiegen sich an die Hanginnenseite. Der erste ist der Hochleitner. Sein Hof steht linker Hand hoch über der Ortseinfahrt. Der Hochleitner ist der erste in jedem Sinn. In der Wirtschaft, in seinem Fleiß und seiner Tüchtigkeit. Er hat als einziger im Ort einen Frontlader, eine Baggerschaufel für den Traktor. Irgendwann trifft man immer irgendwo auf den Hochleitner mit seinem roten Traktor, wie er gerade einem Nachbarn bereitwillig etwas ein-, auf- oder zuschaufelt.

Der Frontlader ist sein Wahrzeichen.

Der Hochleitner ist im Gemeinderat. Er hat den Vorsitz im Jagdausschuß, er spielt in der Musikkapelle.

Mit der Familie Hochleitner ist leicht auskommen. Sie alle lachen gern. Sind immer bereit, im Gespräch eine gemeinsame Formel zu finden, eine Beiläufigkeit, über die man lustig ist. Gegenüber, unterhalb der Straße: der Schirlbauer. Der bleibt auch sonst unterhalb. Bescheiden bis

Illustrationen von Philipp Mauthe

mühsam gedeihen die Um- und Zubauversuche am Haus. Die Wirtschaft wird von den Eltern allein betrieben, Die Söhne haben andere Berufe erlernt. Und in jeder freien Minute basteln sie an ihren Autos herum. Fanatisch. „Ah, ein Schirlbauer“, weiß man den in der Kurve aufheulenden Motor zu deuten. „Vielleicht werden's noch g'scheiter“, deutet der Vater machtlos den Generationskonflikt an.

Ihn sieht man oft in sengender Hitze, bis spät in die Nacht am steilen Wiesenhang stehen. Mit monoton schneidendem Klang fährt die Sense ins Gras.

Den Gesichtern allen eignet etwas Trauriges, Mühsalbeladenes.

Ein Haus weiter, der Lachmayr. Ein Neubau mit großen Fenstern in der Fassade. Seine Frau führt den Besucher in die Küche, zeigt stolz die neue Einrichtung. Aber das Geselchte ist zäh, die Brote sind dick, doch lieblos gestrichen.

Es ist etwas Schräges in seinem breiten Mondgesicht.

Auffallende Freundlichkeit, bisweilen ans Servile grenzende Höflichkeit. Er übernimmt sich geradezu. Nie ohne Hintergedanken, ohne irgendwelchen Ehrgeiz. Nicht bösartig, es ist als triebe ihn ein Dämon. Er gebraucht mit Vorliebe Redewendungen wie:

„Samma si' ehrlich“

„F sag's wia's is“

„Grad heraus“

Der Lachmayr, das ist die Grund-unehrlichkeit.

Schräg gegenüber hat der Holzreiter sein Haus. Ein großer, etwas aus den Fugen geratener Bau. Seit langem halbfertig. Mit wildem Gekläff

stürzen verwegen dreinschauende Hunde auf den Vorbeikommenden. Aber die Gefahr ist nicht so groß. Kaum hat man sich umgewandt und sie einmal scharf fixiert, ergreifen sie kopfüber die Flucht.

Der Holzreiter ist klein und schmächtig, zniachtelhaft. Fünf Töchter, verdient sich Aufgeld im nahen Sägewerk. Unterwegs auf seinem kleinen Moped, grüßt er fast überschwenglich. Er trinkt gern, ist nicht lebensunlustig. Erinnert an einen kleinen Gummiball, der mitunter lustig hochspringt.

Später Nachmittag. Ein Summen, ein Vibrieren steht über den Häusern. An diesem sonnigen Tag war alles auf dem Feld, das Dorf verlassen und verödet. Jetzt kehrt Leben ein. Schreien und Quietschen im Stall. Hier klopft noch ein Hammer, drüben scharrt eine Schaufel.

Aber es ist ein Erwachsen in Muße. Denn eher liebevoll wird herumgefeilt und verbessert an der Ordnung, die jeden Morgen mühevoll der Schwerkraft entgegen in Gang gesetzt wird.

Auf der Höhe, einige Häuser weiter, der Stiller. Der Name trifft nur teilweise zu. Er hat 'was vom Philosophen. Tiefe. Ist nachdenklich, versunken. Auch ihn kann man bisweilen antreffen, wie er, ausgerüstet mit blauer Schürze und jungen Reisern, zu den Nachbarhöfen unterwegs ist. Zum Pfropfen. Er versteht sich auch auf die Bienenzucht und die Kräutle-rei. Meditative Betätigungen. An den Rätseln der Natur.

Sein Gesicht: Kompliziertes, tief Eingeschnittenes zu Angenehmem, Geradlinigem gefurcht. Geradezu nichtgewan'dt. Im Gespräch. Im Umgang. Langsam, herzlich, umständlich.

Im Gegensatz dazu die Stillerin. Die hält das im Hinterhalt, was ihr Mann so freigiebig austeilt. Antipodin, um einer reicheren, durchschlagskräftigeren Einheit willen.

Herzlich verspielter Hund. „Er meldt' halt doch...“ „Schullerbuam halt“, entschuldigt er seine Söhne. Wird man in die Küche gebeten, ist die Kostprobe vom Selbstgebrann-tenen unabdingbar. Im Schnapsbrennen ist er Meister, da läßt er einen nicht zweifeln.

So ein Stamperl ist die Kostprobe vom Menschen selbst. In ritualhafter Handlung nach vorn Geschobenes. Prüfung an Hand des Selbstgebauten, Selbstbebauten. Vom ersten Pflanzen bis zu den Geheimnissen des Gärens und Brennens. Extrakt der Persönlichkeit, Konzentrat seiner Wertigkeit. Symbol eines wahrhafteren Status, als es Zugelegtes, Gekauftes je sein könnte. Hier kann man ihn selber schmecken. Seinen Charakter, seine Liebe und seine Reife. Man kann den anderen trinken, in sich aufnehmen.

Die anderen sieht man nicht so oft.

Der Wieser arbeitet in der nahen Zimmerei.

Der Hamedner ist bei der Bahn, der Schachenhofer bei der Post in der Stadt

Die alte Frau Zirl lebt von einer bescheidenen Rente.

Nur noch der Wagmeister ist noch ein richtiger Bauer.

Auffallend ist die Ähnlichkeit zwischen dem Wieser und dem Hamedner. Beide haben sanfte, weiche Gesichter. Beide sind jung verheiratet, beide betreiben sie eine kleine Wirtschaft. Beide haben sie neu gebaut, beider Höfe liegen den Hang abwärts. Am Wieser'schen Haus ein schräg ausladender Balkon mit fremdartig kunstvollen Schnitzereien. „Er hat gern mit Holz zu tun“ und „Abstechen will er net“, erzählt der Hochleitner, „das muß ihm immer ein anderer machen“.

Sympathisch, fast rührend.

Sein Haus ist im „Tiroler Stil“ gebaut. Wie sie alle hier, die neu bauen und neu einrichten, sich Fremdartiges zum Vorbild nehmen, das nur möglichst verschieden ist von dem, wie man es hier in der Gegend hat.

Denn auch die Itzelsdorfer haben Sehnsucht. Und träumen von einer Welt, in der alles anders ist. Die in der Ferne liegt, noch unklar und verschwommen, aber deshalb umso anziehender. Und halten mit ihren neuen Fassaden, ihren Panoramafenstern und der Hollywoodschaukel im glatt und sauber betonierten Hof, einen Zipfel dieser zukünftigen Welt fest in der Hand. Sind somit gar nicht so verschieden von den Schirlbauersöhnen, denen eine augenblicklich buntere und aufregendere Welt nichts des Bisherigen mehr gelten

läßt. Und sind nicht anders als wir alle, die wir unsere Träume haben, die gar nicht so ganz klar sind, wir aber mit viel Liebe pflegen. Und wehe dem, der sie uns nehmen will.

Grundlos und gemein bellt ein großer Schäfer hinter dem Schachenho-ferschen Gitterzaun hervor. Das neue Haus mit der doppelstöckigen Fensterfront gegen Süden ist noch unverputzt. Die Frau und er, beide sind jung, beide von breiten, gesundem Körperbau. Leere Zufriedenheit spiegelt in ihren Gesichtern.

Die Schachenhofer sind Außenseiter. Sie scheren sich nicht um das soziale und sittliche Gefüge um sie herum. „Nackt am Fenster und so“, und der Vater und sein Sohn, die liefen im Hof im Kreis, und strecken, einander abwechselnd, in Richtung der Nachbarn die Zunge heraus. Die Stillerin. gerät in äußersten Zorn, wenn dieses Thema zur Sprache kommt.

An der Ecke, nahe der Ortsausfahrt, das Haus der alten Frau Zirl. Schlicht, ein bißl miniaturhaft, verwinkelt durch eine vorgesetzte Giebelfront. Einladende Vorgärtlein. Einst war es gelb und hatte weiße Faschen um die Fenster. Rote und grüne Töne kommen jetzt unter den abbläternden Farbschichten hervor und lassen das Haus verwittert und bemoost erscheinen. Aber immer sind die Fensterscheiben makellos geputzt.

Die Bäume hier tragen keine elegant ausladende Kronen, sondern mühen sich ab, auf kargem, felsigem Grund. Sich krümmend unter den rauhen Winden und Wettern.

Der Wagmeister erinnert an einen dieser Mostbäume. Am steilen Hang gesetzt, halb umgeknickt, in schräger Lage, sich aber einmal erholt, zäh und kräftig weiterwachsend.

Er hat ein Bauerngesicht, dessen Unregelmäßigkeit auffällt. Ungeschlacht und kraftvoll.

Sie ist klein und stämmig. Karyatidenhaft. Und doch ist ihr Gesicht anziehend und herzlich.

Die Wagmeisters: Statik, Solidität.

Dann gibt es noch zwei Häuser, sauber und weiß gekalkt, mit bunten Vorgärten voller Bauernblumen. Die gehören zwei Wiener Familien, die zum Wochenende ländliche Lebensweise und Kultur pflegen.

Das letzte Haus, dort wo die Straße in den Wald einbiegt, ist es auch wieder in weiterem Sinn. Es steht leer, seit der Tragödie mit dem Schlachtschußapparat.

Zwischen jenem ersten und diesem letzten stehen sie, überquellende, immer im Umbau begriffene Höfe. Nie ganz fertig, immer im Wachsen und Werden, Abbild des Bauern, seines Wirtchaftens und des Lebens.

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