6574665-1950_37_14.jpg
Digital In Arbeit

Marschmusik

Werbung
Werbung
Werbung

Einige im Dorf, die mit mir jung waren, erinnern sich wohl noch an das alte Krämerhaus neben der Kirche, und dann wissen sie auch, daß dort ein Schrank oben in der geräumigen Diele stand, ein riesiges Gehäuse, aus Lärchenholz gezimmert und mit ungefügem Schnitzwerk verziert. An großen Festtagen, zu Flo-riani etwa oder zu Fronleichnam, stieg der Vorstand schon frühmorgens mit dem Schlüssel in der Hand die Treppe hinauf, und immer durften auch etliche Buben hinter ihm her stolpern, denn in jenem Schrank wurden die Fahnen aller Vereine aufbewahrt, und der alte Mann hielt viel darauf, daß die Jugend beizeiten lernte, das Hergebrachte zu achten. Wenn er nun schweratmig und umständlich die Türen aufschloß, dann öffnete sich gleichsam das Himmelstor und eine Flut von Farben drängte ans Licht, von prunkender Seide und blassem Gold. Waren es etwa die Schützen, die ihren Jahrtag feiern wollten, so hob der Vorstand die grünseidene Fahne vom Schrägen. Er hatte den Hauptmann und den Fähnrich hinter sich, alle drei traten an das Fenster und entrollten das ehrwürdige Tuch, um es wieder einmal zu betrachten. Auf der einen Seite war der Ritter Georg aufgemalt, silbern gerüstet und freundlich lächelnd heftete er den Wurm mit der Lanze an die Erde. Wenn der Hauptmann mit seinem groben Finger über die Seide fuhr, knisterte sie, als sprängen Funken heraus. Harte Zeiten damals, es ist lange her. Inzwischen war vieles in der Welt anders geworden, besser nicht, nur schwieriger, es gab keine Drachen mehr, aber auch keine Wundertäter. Darum zeigte die Fahne auf der anderen Seite nur eine Scheibe mit dem Laubkranz, zum Zeichen, daß die Schützen noch immer gern schössen, wenn sie auch keine Kugeln mehr zu gießen brauchten. Sie luden ihre Büchsen nur noch zur Freude der Leute und zur Ehre des Herrn, der sich ja selber nicht ungern mit Blitzen und Krachen vergnügt, wie jedes Donnerwetter bezeugt.

Rot war die Fahne der Feuerwehr, über und über mit Bändern behängt, die für Abwendung von Feuersnot gestiftet wurden, aus Dankbarkelt, manchmal freilich auch mit heimlichem Unwillen, denn es kommt nicht jedem gelegen, wenn der Ubereifer vorzeitig wieder löscht, was die gütige Vorsehung mühsam zum Brennen gebracht hatte.

Die Veteranen wiederum führten ein schwarzgelbes Banner, sie durften den doppelköpfigen Adler im Wappen zeigen. Der Kaiser erlaubte es ihnen, weil sie gewissermaßen noch immer in seinem Eid standen, so wie sie einander nach und nach zur letzten Ruhe brachten.

Alles in allem und wenn man auch die geringeren Vereine noch mitzählte, die Sänger oder die Kegelbrüder, so gab es keinen rechtschaffenen Mann im Dorf, der nicht an irgendeinem Tag des Jahres hinter seiner Fahne gehen durfte und mit ihr zu Ehre und Ansehen kam. Seht, diese Freude muß man den Leuten lassen, man soll sie ihnen nicht vergrämen. Sie sind ja keine Narren deswegen, nachher gehen sie doch wieder hinter dem Pflug und sitzen auf ihrem Schemel in der Werkstatt. Aber der Knecht oder der Schustergesell, dann und wann einmal will er den Werktag abstreifen, will seinen Federhut aus der Truhe holen, seinen Stutzen und keinen Forstgehilfen dabei zu scheuen haben. Das macht viel aus, denkt nur an die Weiber, wenn sie beim Umgang in kleinen Trüppchen an den Ecken stehen und den ihren in der Reihe suchen, um ihn gleich der Nachbarin zu zeigen. Denn er sieht stattlich aus, obwohl er kein Auge zur Seite wendet, aus Stolz, und damit ihm nicht unterhalb die Beine aus dem Takt geraten. Selbst wenn einer gar nichts konnte, weder pfeifen noch blasen, so war es ihm doch wenigstens erlaubt, sich in Gottes Namen seinen Gurt um den Leib zu schnallen und mit den Spritzenleuten zu gehen.

Pfeifen und Blasen, ja, wo bliebe das ganze heitere Wesen, der Glanz und die Fröhlichkeit ländlicher Feste, wenn es die Spielleute nicht gäbel Die Kunst, Musik zu machen, ist großer Ehren wert, denn sie ist eine Gottesgabe. Wunderbar genug, wenn man es recht bedenkt, es gibt sonst nichts dergleichen in der geschaffenen Welt. Gott lehrte die Löwen brüllen und die Vögel pfeifen und dem Menschen erlaubte er beides, aber der war trotzdem nicht zufrieden mit seiner Stimme. Er machte sich eine künstliche Kehle aus Blech und nannte sie Posaune, und es gelang ihm ja auch wirklich, Mauern damit umzuwerfen, wie die Schrift erzählt. Natürlich ist das nicht jedem gegeben, mancher könnte sein Leben daran wenden, er lernte so etwas nie. Was alles ist vonnöten, welche Behendigkeit des Geistes und der Glieder, um auch nur den Baß blasen zu lernenl Ich habe es in jungen Jahren auch einmal versucht, der Vater eiferte mich an und hörte mir selber gerne zu, wenn ich übte, er war schwerhörig. Allein die Mutter verbat es sich schließlich. Irgend etwas, sagte sie, scheine an meinem Spiel zu fehlen, aber eben das sei ihr zuviell

Immerhin, die Liebe zur Musik ist mir zeitlebens geblieben, zu einer redlichen und handfesten Musik. Natürlich sieht man mich auch ab und zu bei einem der neuzeitlichen Konzerte in der Stadt, aber in Wirklichkeit bin ich abwesend, ich entferne mich gleichsam heimlich wieder und lasse nur mein Äußeres im Sessel sitzen, mit einem bedeutenden Gesicht, versteht sich. Die neueren Meister müssen mir verzeihen, aber ich habe schon manches Stück ihrer Kunst verschlafen, und obwohl es ihnen in der Regel leicht gelang, midi mit der Gewalt der Töne wieder aufzuwecken, so hatte ich doch hinterher nicht das Gefühl, es fehlte mir etwas. Horn und Trommel dagegen, wenn ich sie nur von weitem höre, gleich hüpft mir das Herz im Leibe. So ein Marsch, einmal angefangen, schreitet er fort mit Naturgewalt und ist nicht mehr aufzuhalten, da darf kein Takt daran fehlen oder mißraten, es wäre alles verdorben.

Großartig, wenn sich die Musikanten im Kreis unter der Linde aufstellen. Jeder hat einen Buben mit dem Windlicht hinter sich stehen, denn es dämmert schon stark, es ist ein Abend im Sommer, warm die Luft, und voll von erregenden Düften, ich wähle meinen Platz bei der Trommel, schon seit den Kindertagen stehe ich dort am liebsten. Damals verdroß es mich sehr, daß dieser Mann so wenig Dank erntete. Was alles hatte er zu meistern, Trommel und Becken, Triangel und Glockenspiel, aber sowie er sich nur einen Augenblick Ruhe gönnte, gleich warf der Kapellmeister einen bösen Blick nach ihm und er mußte von neuem die Schlegel rühren. Das alberne Volk, dennoch lief es den andern zu, und am Ende kam wieder nicht das wahre Verdienst zu Ehren, sondern der Kapellmeister blähte sich auf und dankte nach allen Seiten für den Beifall, er, der doch überhaupt keinen Ton von sich gegeben hatte.

Nun legen die Spielleute ihre Notenbücher auf das Pult, ich spähe meinem Freund über die Schulter, ja, er hat mein liebstes Stück aufgeschlagen, den „Auszug des Kriegers“. Manchen Krug Bier habe ich gestiftet, es immer wieder zu hören. Der Kapellmeister steigt in der Mitte auf das Faß, er schaut prüfend in die Runde und hebt die Hand — nein, noch ist es nicht so weit. Ein letztesmal müssen die Zungen der Klarinetten geleckt werden, und dann kommt auch noch der Wind geschlichen und blättert dem Baß die Noten durcheinander. Ohne den ist nichts Rechtes anzufangen, er baut ja das tragende Gerüst, an das die andern nur ihren Zierat hängen.

Aber endlich ist es doch so weit. Der Meister holt aus, als schlüge er ein Kreuz über dem Ganzen, und dann stimmen die Homer ihre gemächliche Weise an- Vielleicht kommt der Krieger eben von der Arbelt heim, man hört ihn den Feldweg entlang schlendern und in das Haus treten. Er findet die Frau am Herd und die

Suppe uf dem Tisch, und eine Glocke läutet auch dazu, so friedlidi ist der Feierabend. Allein, schon grollt etwas Drohendes dazwischen, ein Hornruf mischt sich von fern darein, der Mann horcht auf, der Krieger. Höre Frau, sagt er, es hilft nichts, ich muß ins Feld ziehen, bring mir den Säbel aus der Kammer.

Aber die Weiberl Jede will einen Helden zum Manne haben, und jede fängt zu heulen an, wenn er es einmal satt bekommt, immerfort auf der Bärenhaut zu liegen. Plötzlich schluchzt die Klarinette laut auf und der Kapellmeister muß schnell dem Flügelhorn einen Wink geben, damit es sich ins Mittel legt und etwas Tröstliches dazwischen sagt. Der Müllerbursch hält sich ja schon längst dazu bereit. Die Lippen hat er schief zur Seite gezogen und seine Trompete an den Mundwinkel gesetzt, die Augen dreht er über sich und die eine Wange wölbt sich kugelrund heraus, wahrhaftig, kein Mensch hielte es für möglich, daß dieser teuflischen Grimasse so himmlische Töne zu entlocken wären.

Sei ruhig, sagt das Flügelhorn zur weinenden Frau, jede Kugel trifft nicht!

Freilich, wüßte der Mann, daß er im nächsten Augenblick schon in eine mörderische Schlacht geraten wird, er wäre weniger großmäulig. Jetzt endlich kommt mein Freund, der Trommler, zur Geltung. Und er legt sich großartig ins Zeug, das muß man schon sagen. Gewaltig läßt er den Geschützdonner rollen, es knattert und dröhnt und Salven prasseln darein, inmitten des Getümmels steht der Kapellmeister auf dem kippenden Faß und stößt hierhin und dorthin mit seinem Stock wie mit einem Degen. Aber Gott weiß, ob er die Schlacht noch retten wird. Ihm droht das Schlimmste, was einem Feldherrn zustoßen kann: die Mitte wankt, die Posaunen bleiben zurück! Ein Glück, daß er wenigstens noch das Becken ins Treffen zu führen hat. Plötzlich klirrt es hell von

Waffen, das muß die Reiterei sein! Jawohl, sie prescht heran, furchtbar das Wiehern der Klarinetten, das Schnauben der Hörner und das Hufgestampf der Bässe. Nur meinen Freund, den Trommler, rührt das alles nicht an, unbarmherzig löst er Schuß auf Schuß aus seinem schweren Geschütz, einerlei, wen es trifft, Freund oder Feind, das war schon immer so bei den Kanonieren.

Und wirklich wendet sich das Glück, schon bläst der Hornist zum Sammeln, ach, wie viele mögen geblieben sein! Der Lärm verstummt, aber gottlob, da sind auch die Posaunen wieder. Außer Atem keuchen sie herbei und treten in das Glied.

Ja, Hut ab zum Gebet! Der Abend kommt, das Biwak auf der Walstatt. Der Krieger zieht jetzt den Mantel über sich und streckt die müden Glieder zum Schlafe aus. In seinen Traum mischt sich das Lied der Kameraden, die noch am Feuer sitzen und singen, eine schöne Weise von der Heimat und von dem Mädchen, das dort wartet. Auch der Kapellmeister gönnt sich die Freude, vom Faß herunterzusteigen und selber zur Trompete zu greifen, um die Terz dazwischen zu blasen. Erst ganz zuletzt hebt er wieder die Hand, gleichsam als wollte er den letzten Ton aus der Luft wegfangen und an sich reißen, falls einer übrig bliebe.

Aber heiter und freundlich endet der Gesang der Bläser, freundlich der Traum des Kriegers nach der Schlacht. Gott helfe ihm, daß er bald heimkehren und wieder an seinem friedlichen Herd sitzen darf, er, und wir alle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung