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Die Braut im Baum

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Wo nach uralter Überlieferung der erste Pflug den Wald in Acker umschuf, steht der Hof, der seit jenen undurchforschbar fernen Tagen „Ehgeter“ heißt und die „Eh-get“, den sieghaften bajuvarischen Pflug, als Wappen hat.

„Der Ehgeter ist der erste Bauer gewesen und muß nun der letzte sein!“ trumpft Hannes auf, der Einschichtige ohne Weib und Sohn, der als der vierzehnte und letzte seines Geschlednes auf dem Hofe sitzt und das unbäurische Getu und Geschacher im Dorf, im Tal, im ganzen, ehmals so schönen und kernhaften Land recht bis ins Herz hinein haßt.

Lang schon haben die andern das schwere, schöne, ehrwürdig würdevolle Altvätergewand um den Fabrikplunder dahin-gegeben. Der Ehgeter bleibt beim Echten, beim selbstgezügelten, hausgewirkten Loden und Leinen, sonntags wie werktags, bei der Arbeit daheim und erst recht, wenn er auswärts geht. Seine Mägde spinnen noch Werg und Wolle. Die es nicht können, müsen es lernen, und die Räder surren von Kathreini bis Gertrudis, vom frühen Hahnenschrei bis zur Hennenstund.

Die ererbten rottannenen Häuser mit den zirbenen Kammern brechen die andern ab, denn ihre Augen sind gehalten und sie sehen nicht mehr, wie unersetzlich schön und kostbar dies alles ist. Unförmige Steinkästen stellen sie hin. Die zerreißen die Landschaft und sargen alle Gemütlichkeit, Brauch und Sitte ein. Um so stolzer ist der Ehgeter auf seinen braunen Giebel, auf die alten Stuben mit dem alten . Hausrat, mit dem alten Getäfel.

Was schön und warm war, wie die gute Erde, die blüht und nährt: Sterben muß es im kalten Zement und Beton. Nur der Ehgeter setzt dem maßlosen Morden sein bergtrutziges, treues, felsenfestes: „I halts!“ entgegen.

Sein Wald rauscht und schattet und er schirmt noch vor den kalten Winden, vor den Wasser- und Schneelahnen. Unversehrt und sorgsam gepflegt; nur für das eigene Herdfeuer und in langen Zeiträumen für einen Dadistuhl und eine Fracht Schindel, für einen Brückenbau um seine Beihilfe angegangen, ist er der einzige weitum im großen Wäldersterben, Von dem kein Stamm dem Götzen Geldgier zum Opfer fiel. Als die majestätische Mauer, die Gott selber auferbaut hat. umhegt er den uralten Hof, die ewig neuen Wiesen und Äcker.

An seinem abendseitigen Saum hin zieht sich der sdiönste Hain edler Kastanien, breit überragt von der einen, weithin sidit-baren, die das Wahrzeichen des Hofes ist und im Volksmund „der Ehgeter-Zwiesel“ heißt.

Zwiefältig gabelt sich in Mauerhöhe der gewaltige Stamm, den sechs Männerarme kaum zu umspannen, vermögen. Ein Dom im Dom wölbt sich die grüngoldene Krone hoch ins Blau: Hoch über den schönen Stroh- und Schindeldächern des weiträumigen Gehöftes, über seinen schönen Brunnen, ül er allen Segen, den die liebe- und kunstvoll geflochtenen Zäume umfrieden.

Abgöttisch liebt der Bauer diesen Baum. Unbewußt und unausgesprochen ist er ihm Ausdruck und Gleichnis seines eigenen Wesens inmitten einer anders gearteten Zeit und Umwelt. Er ist ihm das Ragende und Tragende, das Starke, Bleibende und Stete über dem Unruhvollen und Flüditi-gen. Und doch g'eschieht es, daß von dem Baume her das Verhängnis auf den Ehgeter und seinen eifersüchtig behüteten Hof zuschreitet.

Eines Nachmittags steht da ein Fremder, sieht den Baum und fängt zu rechnen an. Was sich aus dem jahrhundertealten Riesen alles machen ließe, wieviel Gewinn dabei in den eigenen Beutel flöße, beredinet er, bis ihm mitten in der nüchternen Erwägung ein märchenschönes Mädchenbild in das Blickfeld rückt.

Tief unten, wo Wald und Wiese aufhört, am Brunnen vor dem Stall der Rinder steht die Stolze, im editen Linnen, in der züchtigen, kleidsamen Tracht. Schö wie Alpenrose und Brunelle ist ihr frisches, feingeformtes Gesicht. Zur schweren Krone um ihr Haupt gewunden trägt sie das Haar, das glänzende, gelockte, von dem tief goldenen Braun der edlen Kastanie. Die Tränkeimer füllt sie für die durstigen Kühe und beim vierten ist der aufregend schöne Fremdling bei ihr am Brunnen, am glitzerigen, plätschernden, Tropfen sprühenden Strahl. Um einen Trunk Wasser bittet er sie und beider Augen begegnen sich in einem jener Blicke, die Schicksal sind und über zwei Leben entscheiden.

Mit einem schroffen, unwiderruflichen Nein möchte Ehgeter, der Bauer, den brotlosen Baumeister und nachgeborenen Hoteliersohn von seiner Schwelle weisen. Er aber weiß: was eine Ehgeterin einmal im Kopf und Herzen trägt, was ihr im Blute glüht, davon läßt sie nicht. Eher geht sie ins Wasser oder Feuer. Und er liebt sein Kind mit einer herben, wortlosen Innigkeit als das einzige, das ihm nach den viel Gräbern am Friedhof noch blieb. Im Schöße seiner Tochter ruht die Zukunft des Geschlechtes. Auf ihren rwei Augen steht der Hof. \ Der Hof ist verloren.

Das erfährt der Bauer, noch eh dieses schicksalträchtige Frühjahr um ist, am Sonntagabend nach der Heumahd.

Vorzeitig heiß war der Tag. Köstlich frisch ist es in der Birl, im Giebelraum der Scheune, unter dem moosigen Strohdach, das im Winter Wärme, im Sommer Kühlung spendet. Dahin haben sich die zwei verkrochen, die an diesem Tag in der Kirch zum zweiten- und drittenmal ausverkündet wurden und nun nadi dem Volksglauben und Brauch unzertrennlich einander angehören.

Seiner Zukunft sicher, breitet der künftige Ehgeter in Worten und auf Pergament eine Pläne aus.

Ein hoher Sechziger ist der Bauer und morsch im Mark. Von der Kriegszeit her, als ein älterer und lediger Bruder noch lebte und den Hof besaß, er aber als Landsturmmann am Tonale focht, frißt ihm ein kriediendes Übel am Herzen, er selber weiß gar nidit, wie sehr, und will es auch nicht wissen. Er tut, als ob er den Tod nicht merkte, der schon den schmalen Feldweg daherschleicht. Hat er erst einmal die Augen zu und die Lider kalt, soll der Ehgeter-Hof mit allem Drum und Dran Sporthotel werden, wie es landaus und -ein kein nobleres gibt. Weites, rassiges Skigelände, ein Goldland Kalifornien, das auf seinen Erschließer und Ausbeuter wartet, sind die Almhöhen und Kare über dem breiten Gürtel der schlagbaren Wälder.

Der Wald muß fallen.

Der bezahlt den Bau: Skihütte und Hotel. Bar und Schwemme, Garagen, Golf- und Tennisplätze, Schwimm-, Luft- und Sonnenbad und die Straße vom Tal herauf. Da, wo der Zwiesel steht, wird die Sprung-sdianze sein. Es gibt keinen besseren Platz für sie ...

„Wenn das der Vater wüßt'! Noch im Grab wird er sich umdrehen!“ Mitleidlos kalt klingt die Stimme des Mädchens in die hof- und heimatverschlingendcn Pläne des Geliebten, an das Ohr des Mannes, der, nur durch den Birlboden von den zweien getrennt, ihnen unsichtbar und unhörbar, im hodigelagerten Heu auf den Vorübergang seiner Schmerzen wartet.

„Sedistausend bat ihm allein für den Baum der Kreuzblumer boten“, redet sie weiter, die Erbtochter im Stroh, der schon Stroh und Heu, Wald und Alm, der Hof samt aller liegenden und fahrenden Habe so gut wie verschrieben ist.

„Der Kreuzblumer ist dem Vater sein besser Freund, noch von der Schulbank her, und ein Tischler, wie die Stadtler keinen bessern haben. Dreimal ist er kommen, so oft der Donner einen Praditbaum im Wald oben erschlagen hat. Und alle dreimal hat ihm der Vater gesagt: „Der Baum ist mir nidit feil, kannst bieten, so viel du willst!“

„Der -Narr, der!“, spottet der angehende Ehgeter.

Der Mann im Heu wartet... wartet...

Umsonst wartet er, daß sein Kind dawider rede, sich zu ihm und zum — Hof bekenne.

Er horcht und, hordit und hört nur mehr die Küsse der Leidenschaft...

Voll kaum verhaltener Leidenschaft tan-zen die beiden den Brauttanz ihres Hochzeitsmahles. Keinrs der Traugäste wendet den Blick von ihnen, so schön sind sie. Nur dem Brautvater ist, als könnte er seine

Tochter nicht sehen in dem neumodischen Kleid aus Seide, die grün ist, wie das Laub der Kastanie.

^ „Kreuzblumer, jetzt kannst ihn haben“, sagt er leise, daß es kein anderer höre.

„Verstehst nicht. ..“, spricht der Bauer lauter, dringlicher in den lauten Brautreigen der Fiedeln und Schalmeien.

„Du sollst ihn haben, meinen Zwiesel.. . Du und kein anderer ... Morgen geb' ich dir's schriftlich. Nach Allerseelen dann, wenn der Saft zu steigen aufhört, komm und hol' ihn dir! ... Mach' Tische draus: gute, starke, brave Tische, für die Arbeit und für den Feierabend ... Und mitten drin, da wo zur Essenszeit die große Schüssel, das Pfannholz steht; unter die Unruhe hin, unter die weiße Heiliggeisttaube, setz' das dreifaltige Aug' Gottes, das alles sieht, alles rächt...

Die Sechstausend aber gibst nicht mir. I brauch' sie nimmer. Die gibst du, wem du sie geben willst, dem Spital in der Stadt, für die armen Mütter im Wochenbett.“

Der Kreuzblumer hört und kann es nicht fassen. Er schaut dem Freunde in verfallene Gesicht und sieh: tränenfeucht sdiimmert das Auge des Mannes, von dem die Sage geht, er habe nie, auch als Kleinkind nie geweint...

So will's der Brauch in dieser Gegend: Wenn das Tanzgewühl am ärgsten ist, muß di Braut sich heimlich davonstehlen und verstecken. Hat sie der Brautführer dann — oft nach stundenlangem Suchen — endlich aufgefunden, kauft er um Zimmetwein, Gebäck und Marzipan sie wieder los.

So gut hat sich die Braut vom Ehgethof versteckt, daß sie keiner findet. Sie suchen den Nachmittag und Abend, die ganze Nacht, noch viele Tage und noch viele Nächte, bei Sonnen- und Fackelschein, bei jedem Wetter, in den Häusern, Ställen und Scheunen, im Dorf und Nachbardorf, in den Wäldern, auf den Almen und jenseits des Joches. Sie aber bleibt verschollen.

Hat sie ein Missetäter in sein Netz gelockt, gemordet und beraubt? Zigeuner strichen durch die Gegend. Zwei Tage vor der Hochzeit fand man den treuen Hofhund Tyras vergiftet in der Hütte. Die Krone und das Perlgehäng, das die Unselige trug, ist ein Vermögen wert..

Oder tat sie einen falschen Tritt, in der Rotlahnschlucht, in der Norgenklamm? Hat sie der hochgehende Bach verschlungen und vertragen? Kein Echo gibt Antwort. Wind und Regen hat jede Spur verweht.

Drei Wochen später kommt der Förster Klaus des Wegs daher, mit seinem Tyras. Der fängt zu kläffen und zu schnüffeln an. Die feuchte Nase am Wiesen-, Wald- und Heideboden spürt er sich durch — bis an den Zwiesel, springt auf die niedere Mauer, an die Gabelung. Da bellt und bellt er über dem Riesenrumpf, der ein Scheinleib ist, und in seiner Höhlung, unter der Krone voll Saft, Kraft und Schönheit, Fäulnis und Tod, er birgt — die tote Braut mit der Krone und dem Perlgeschmeid, im Kleide auj kastanienlaubgrüner Seide ...

Drei Tische zimmert der Kreuzblumer aus den gesunden Gliedern des Riesen, der sich so grausam rächte. .., gute, starke, brave Tische und eine Wiege für die Zwillinge des Heidegger-Gabriel, der von Kindheit an beim Ehgeter im Dienst und seit zwanzig Jahren sein rechtschaffener Baumann ist.

An einem Feierabend tritt der Bauer an die Wiege aus seinem Zwieselbaum und schaut die Zwindeln an. Zwei feste Buben sind's, zu den vier anderen dazu.

„Hast recht, daß du dir Knechte zügelst!“, sagt er zum Heidegger und reicht ihm das Papier, das schon gestempelt und unterschrieben ist.

„Da hast den Hof! . .. Mit mir tut's nimmer lang . . . Dien' ihm in deinen Kindern und Kindeskindern, wie du mir und ihm gedient hast.“

Der Großknecht Gabriel weiß nicht, wie ihm geschieht: Soll er hellauf weinen um den Bauern, den er lieb . hat, wie seinen Vater selber, oder soll er annehmen, einschlagen und danken, wie noch kein Mensch gedankt hat... Immer ist ihm dieses stolze Heimati* das Schönste und Liebste auf der Welt gewesen.

Der Bauer kennt ihn und kommt ihm zuvor. Er packt ihn bei den treuen, rauhen Händen und ein später Jubel ist in seiner Stimme:

„Muß eher i dir danken! Der Ehgethof ist gerettet!“

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