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Eh der Tau vergeht, eh der Traum verweht

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„Es kann nicht sein. Der Bauer leidet es nicht“, sagte die Brentnerin auf dem Bühel. Sie sagte es mit vielem Bedauern, schier ein wenig traurig, denn das alte Männlein, das da vor ihr um Nachtherberge bittend stand, tat ihr leid.

„Um Christi Barmherzigkeit willen tut's■ mir meine Bitt' erfüllen!“ flehte es, und aus seinen treuherzigen blauen Äuglein leuchtete eine kindliche Zuversicht.

„Redest halt mit dem Bauer selber, er muß bald heimkommen.“ Ja, der Bauer sollte entscheiden. Sie ging in die Küche, das Abendessen zu bereiten. Das kleine Marianderl machte 'sich an sie heran, schmeichelte sich in ihre Schürze hinein:

„Mutter, darf er nicht dableiben? Wenn er doch dableiben dürft'!“

Der Brentner, der mit der Axt aus dem Holz kam, sah mit Unbehagen in der Dämmerung den fremden Menschen vor ,dem Hause auf der Bank sitzen. Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn man auf einem so einschichtigen Hofe dort drinnen in den Büheln haust. Treiben sich allerhand verdächtige Leute herum.

Demütig stand der Alte auf und nahm seinen Hut vom Kopf.

„Ein armer Wandersmann bitt' recht schön: Schafft's ihm nicht gleich das Weitergehn! Gönnt's ihm eine kleine Schlafstcll', im Stadl oder woderwöll, in der Kammer oder im Kälberstall, auf'm Heuboden oder überall. Und schenkt's ihm um Christi Barmherzigkeit willen einen Bissen Brot zum Hungerstillen!“

„Wir haben keinen Platz“, sagte der Krent-ner unsicher.

„Aber leicht ein Platzerl do? Ein ganz ein kleines? Da war' ich froh.“

Der Brentner mußte lächeln und sah sich den Mann gerfeuer an. In krauser Fülle bedeckten schneeweiße Haarlöckchen seinen Kopf. Aus seinem frischen, rosigen Gesicht lachten zutrauliche Äuglein. Gewandet. ,. ja, gewandet war er nicht gar schön. Verwittert und zerknittert und mit Flecken in allen möglichen Farben kreuz und quer überflid, nahm sich sein Rock wie ein rechtes Narrengewand aus. Seine Hose schlotterte ihm so weitmächtig um den mageren Leib, daß darin auch noch ein Zwillingsbruder hätte mitwandern können, ohne einer eigenen Hose zu bedürfen. Aus seinen arg mitgenommenen Schnürschuhen hielten nahezu sämtliche Zehen fleißig nadi dem Wetter Ausschau. Ein wunderlicher-Ge-selle!

Der Brentner brachte es nicht über sich, ihn abzuweisen. Die Bäuerin sah es durch's Fenster, wie er ihn in's Haus treten ließ, und freute sich darüber, daß er halt doch ein gutes Herz hatte, ihr Bauer.

Nach dem Melken kam cfie junge Magd ars dem Kuhstall, und nun traten sie allesamt an 'den Tisch zum Abendessen. Da erwies es sich, daß der Fremde das Gebet wohl kannte, das auf dem Hofe überliefert war seit langem Gedenken, denn er sprach es andächtig mit. Dann erhielt er einen Holzlöffel und holte sich einige Maulvoll Sterz aus der irdenen Schüssel. Dann war er fertig und sagte: „Vergelt's Gott fleißig!“

„Alsdann richten wir dir auf dem Heuboden eine Liegerstatt her, da hast du es rechtschaffen warm und weich“, sagte der Brentner. „Aber ehendet mußt deine Sack' umdrehen, daß du keine Zündhölzeln bei dir hast und kein Feuer nicht machen kannst.“

„Gern“, willigte der Alte ein und ließ sich geduldig alle Taschen wenden. Fand sich aber darin nichts, als' ein abgegriffener Rosenkranz mit dicken Holzkügelchen.

„Und da? Im Buckeback?“

Wurde auch das schlappe Säcklein umgewendet. Etliches dürres Gezweig fiel heraus mit silberigen Blättern daran, die seltsam und süß dufteten.

„Nichts drin als wie ein Schüberl Träum und Blätter von die ölbergbäum ...“, sagte lächelnd der Alte.

Von den ölbergbäumen? Da machten sie alle große Augen. Und dann erfuhren sie es: Im Heiligen Land hatte der Wanderer diese ) Zweige gepflückt, auf dem ölberg, wo des Heilands Leiden begannen...

Still war es nun in der Stube des Btcntner-hauses auf dem Bühel, um das die bärtigen , Tannen feierlich in der Nacht dastanden. Der Bauer vergaß, aus der eben angezündeten Pfeife zu paffen, die Magd ließ das Geschirr ruhen, das sie abwaschen sollte, die Bäuerin lehnte.regungslos an der Holzwand, das Marianderl auf dem Arm, das heißrote Wangen hatte und noch gar keinen Schlaf verspürte.

Er möge doch erzählen, bat der Brentner den Alten.

Bis tief in die Nacht hinein erzählte er. Von dem brennenden Wüstensand, durch den er gewandert war, von' dem Fluß Jordan, mit dessen Wasser er sich das Gesicht gewaschen hatte, von BetMehem, dem Herzen der Welt, und von Jerusalem und von dem Hügel der Schmerzen, Golgatha genannt...

Bei der ersten Frühlichten, die der Hahn längst angekündigt hatte, fanden sie sich alle in der Küche zusammen, zeitlicher als sonst. Das Holz krachte munter im Herd und die Magd hatte schon den schäumenden Zuber voll frischgemolkener Milch aus dem Stall g.':racht. Sogar das Marianderl war heute schon zu so früher Stunde auf und flocht sich nachdenklich ihre strohgelben Haarsträhne zu zwei steifen Zöpfen.

Der Wanderer wusch sich draußen im Brunntrog. Den ganzen Kopf hielt er unter den Strahl, der eiskalt aus dem Rohr nieder-schäumte. Als er nun hereinkam, stellte ihm die Brentnerin die heiße Früstücksmilch auf der; Tisch hin. Die hatte sie in die schönste Schale gegossen, die sie besaß. Neben die Schale legte sie eine ausgiebige Scheibe weißen Milchbrotes hin. pieses aber wies der Fremde dankend zurück und erbat sich eine Schnitte Schwarzbrot, mit der er die Milch langsam austunkte. Sie sahen ihm zu und alle hatten versonnene Augen.

Eine seltsame Nacht war das gewesen. Leise war der Wind um das Haus gegangen, und dennoch hatte das alte Gebälk geknarrt, als wollte sein ausgedorrtes Holz zu reden anheben. Und alle, die da schliefen,'waren von lieblichen und beglückenden Träumen heimgesucht worden. Wovon nur gleich? Genaue Bilder stellten sich nicht mehr ein, soviel sie auch darüber nachsannen. Dem ßrentner, diesem von Arbeit und Sorge und Schicksal schwer bedrückten Mann, war, als sei er wieder als heiteres Bübl leichtfüßig durch die Wälder gegangen. Was für eine Hand war das gewesen, die ihn da so warm an der seinigen hielt und so sonntäglich den weiten Weg zur Kirche geleitete? War das nicht seiner lieben Mutter Hand gewesen? Der Brentnerin war, als hätte sie ein Kind auf den Armen gewiegt, einen Buben, der ihrem frühverstorbenen Konradl gleichsah. Aber er war es nicht, sondern es mußte wohl ein Brüderdien sein, das er ihnen geschickt hatte, daß sie nicht mehr so traurig sein sollten, wenn sie an ihn dächten . .. Die unge Magd, ach, war da n'cht ein prächtiger leiter auf einem Schimmel über die Almen zu ihr hergeritten, und war es nicht der Prinz aus dem Bilderbuch gewesen, das sie als Kind sosehr geliebt hatte, dem einzigen, das sie je zu Gesicht!1* bekommen hatte? Das Marianderl, das auf dem einschichtigen Hof als einziges Kind immer gar so allein war und sich nach einem Gespielen sehnte, war es nicht auf der Wiese hinterm Haus mit einer ganzen Sdiar beisammen gewesen, mit lieben, lichten Kindern, die wie Englein ausgesehen hatten? Aber dann waren sie alle wieder davongeflogen, nur eines, ein einziges war zurückgeblieben und hatte sie an der Hand gehalten, als wolle es sie nun nimmer verlassen ...

Noch lebten sie weiter, diese Träume, noch konnte man ihnen nachsinnen. Aber sie verblaßten rasch, je heller das Morgenlicht durch die Fenster drang, der Wind schien sie zu verwehen, und schließlich blieben nur noch die verträumten Augen zurück und das warme Gefühl in den Herzen.

Jetzt erhob sich der Alte zu neuer Wander-sdiaft. Er griff nach Buckelsack und Hut und reichte jedem die Hand.

„Vergelts Gott tausendmal! Ich sag' mit recht viel Fleiß schön Dank für Herberg und Speis.“

Sie sahen ihn langsam davongehen über die Wiesen, die in tiefem Tau lagen. Er trug den Hut in der Hand und seine Haare glänzten, bis er in den Tannen verschwand.

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