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Im Weinlanddotf 1920 6is 1960

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1920; Jedes Kind kennt den Halterkneckt, jenen Erbarmungswürdigen, der, seinen armseligen Lohn aufzubessern, auch zu feiertagsloser Zeit von Haus zu Haus geht, Glückwünsche zu sagen:

Bin in der Christen herrenweiter Welt — genützt, verlacht, begönnert und verspottet — von Kind auf an den Rand des Seins gestellt.

In Dunst und Düngerruch gestoßen, trottet mein Herz durch Leut und Heimat heimatlos.

Der Kirtag bläst und jauchzt. Hochzeiten prunken.

Die Taufen sind ein Fest. — Mein Fuß steht bloß im Tau der Wiesen. — Glüh'nde Traumesfunken, den Nächten reich entstürzt als Angebind verheiß'ner Wünsche, menschentiefsten Rechtes, verhöhnen mich an Sehnsucht, Weib und Kind.

Das Glück gilt Herrenglück. Nichts ist des Knechtes als Stall und Streu und Peitschenhall und Tier.

Selbst wenn sie reuig knien und Wandlung läuten, bin Ausgesetzter ich und klage mir:

„Mein stirngesenktes Kreuz, es müßt' bedeuten: ;

Bei Gott, ihr rechter Bruder könnt' ich sein!“

Doch ist dies manchmal nur so ein Gedanke, und Kühen, Schafen, Geißen hinterdrein — der Hund bedachtvoll in der Herde Flanke —, die lange Peitsche rückenwärts im Staub, grau mein Gewand, beschmutzt, verflickt, zerschlissen,. beschattet trittlang von Akazienlaub, sind innen mir viel Narben aufgerissen.

Die Welt glänzt golden, grün und blau gestreift vor schönen Rieden, Triften, weiten Lüssen — für mich das Jahr ein traurig Ernten reift:

•Auf meinen dürren,.frostesblauen Füßn. steh' ich bald wünschefrpmm an Tür und Tor.

Lang hin, langt nach-der heil'gen Nacht erdreistet mein Spruch sich bettelnd für der Stolzen Ohr.

Die Stimme scherbt, der alte Atem kreistet, und Kinder lachen ohne Scheu mich aus.

Zuletzt bin redlich dankbar ich den Gaben und zieh bedrängten Schritts ins Halterhaus.

Oft lieg ich schlafesstarr im Straßengraben.

„Der Lump!“ für jene, die mich rauh verstießen.

Reicht noch ihr Schimpf zu Harm und Überdruß?

Am Jüngsten Tag will ich die Bauern grüßen als hoher, glorireicher Lazarus.

1930: In der Bachzeile hinter dem Halterhaus sind die Tagwerker — heute Landarbeiter — daheim. Mancher von ihnen kam aber selbst um dieses Privileg. Einschichtig haust er an einem Feldweg:

Zwei Geißen, Bretterschlag für Henn und Has, das Schwein noch unter ströhbern grauer Schütte, gestampfter Lehm dämpft müde Zornesschritte, und Pappendeckel gilt als Fensterglas.

So wenig Huld, so vieler Kinder Schrei um Lorwand, Rustenbaum und rohe Türen. Mein mutlos' Weib mag hundert Ängste spüren, das Jahr weiß sich von Keuschlerzähren frei.

Ob Gottes Wort nah an die Herzen wirkt?

Die Obrigkeiten alle, ach, die lehren mich Trost. — Statt daß sie Zürner, Wandler wären!

Heimat ist nur, was trägt und heilt und birgt.

1936/37: Nun ist auch der Bauer Getroffener. Die Wirtschaftskrise umschnürt die Welt, und Österreich hat viel Wein und viele Arbeitslose. Die alten Märkte Nordmähren, Böhmen, Schlesien und Polen sind verloren. Ratlos sitzen sonntags die Weinbauern vor ihren Kellern, aber kein Wirt kommt und kein Sensal. Und wer kommt, bietet für den Liter Groschenbeträge Gleicherart bringen Getreid und Weizen nur geringes Geld:

Die Kellertrfften sind euch fremd. Man kann euch schwer ihr Bildnis geben, wie dort von Eil und Taglicht ungehemmt die Männerträume leben.

Wie dort das Denken sich entknotet, das schrollmenharte, gleisenenge, sich schäumend hitzt und überstürzend spottet der eingedrückten Stränge.

Im Pfeifenrauch, im Kerzenlicht für Herr und Schelm und bittre Fährde stellt sich der Bauer zornig sein Gericht in bruderstummer Erde.

Zerrt jäh sie vor und speit sie an die hohen, glattgeschnellten Docken: „Den rechten Kreuzer gebt daran für meinen Wein und Roggen I“

Gesetz ist Fluch, blaulügendick.

Nur Hohn sind alle weisen Rater.

Er stößt die Großen selber hin zum Strick und fragt nicht lang Gottvater.

Das Wachs fließt breit, die Nacht verrinnt. Wild rauft sein Glas mit Jahr und Mächten. Aus Lehm und Sand fahlgelb die Wurzel spinnt. Tief schwärt es in den Nächten.

1950: Allmählich überwindet das Dorf Krieg und Nachkrieg. Es gibt wieder Pferde und Geräte. Aber es gibt keine Mägde mehr, in jeder Ortschaft nur ein, zwei Knechte, und die meisten Landarbeiter sind in die Stadt gezogen. Das soziale Gefüge ist zerbrochen, die Arbeitswirrnis, trotz Strom und Maschine entstanden, lastet ohne Gnade auf den Bäuerinnen:

Ausfällt mit jedem Kind ein Zahn, die Sehne schwillt aus Hals und Arm, du merkst es kaum den Müden an, daß Jugend wachblieb, herzblühwarm. Die Männer meinen, schwerstes Amt sei ihrer Sorge zuerwählt. Am Weinglas schwarz das Wort entflammt, das schmerzend in die Stunde fällt.

Wie Kinder wehren gram und sacht die Frauen all der wirren Pein. Die Frauen bitten Gott und Nacht um Hilf und List und Gütigsein.

Der Acker heischt, der Weingart will, und Haus und Küche lasten breit. Das Vieh ist nur ums Futter still. Zum Kirchgang stehlen sie die Zeit.

Auf Dornen flicht ihr Werk den Kreis vom Winter bis zur Krippehnacht. Der Ernten reicher Sommerschweiß ward doppelt hart durch sie vollbracht.

Sie scheinen wie Vergangenheit und leben nur dem Manne zu. Im Kasten schleißt das schöne Kleid, der Nähkorb löscht die Feierruh.

Sie füll'n die Jahre stumm und stet und halten kaum veratmend still, wenn schlank der Bub zur Hochzeit geht, wenn schattend eines sterben will.

Arg bedrängt sind auch die alten Leute. Wohl ist die Rentenzeit angebrochen, doch keineswegs noch für sie. Winters kann man ja rasten, doch die Sommer rufen ohne Barmherzigkeit:

Im Arnt, da-rücken sie aus ä„iUIU,j, K. ,u die Alten mVt'Stock und Sense. Kaum aufrecht halten können sie sich.

Auf weiten Wegen glühn Staub und Hitze. In den Schatten legen nach siebzig Sommern, wär's eine Sünde?

Aber brusthoch wehen die reifen Gründe.

Der Ausnahm, der ist oft karg bemessen — Und wer könnt' die Arbeit vergessen? i960: Schneider und Näherin gewanden nicht mehr die Leute. Männer und Burschen tragen am Alltag den blauen Overall, Frauen und Mädchen und die jungen Burschen sonntags das modische städtische Kleid. Auch Denken, Sprechen und Bauen verlassen die Tradition. Das Dorf verliert sein äußeres und inneres Gesicht:

Viel Autos, Motorräder und Traktoren sind eingebrochen in den Bauerntag. Der Fußball rollt, wo früher Wiese lag. und wenig Kinder werden mehr geboren.

Ist wem um Bild und Brauch und Sprache leid? Kein Junger will den Trumpf der Städte missen, der Acker Mensch ist klaffend aufgerissen. Aus Furchen und aus Schwären schlägt die Zeit.

Längst wurden Gegenkräfte aufgerufen. Weltanschauliche und berufständische Jugendgemeinschaften erstreben ein neues Dorf. Auch die nichtbäuerlichen Landmenschen, denen die Stadt nie Heimat werden kann, wünschen: es möge gelingen!

Unter den sechs Dichtern, die am 10. Juni den Kulturpreis der nieder-österreichischen Landesregierung erhielten, befand sich auch Lois Schiferl, der Verfasser obenstehender Chronik.

Lüssen = ortsnahe Äcker, die jährlich ausgelost wurden, Losäcker

Lorwand = Bretterzaun

Schrollm = hartgetrocknetes Schollenstück

Arnt = Ernte

Ausnahm = Ausgedinge

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