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Der Pflug von Sonnfelden

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Anno 1442 ging die Pest wieder einmal durch die Lande, wütete furchtbar wie nodi nie. Oft dauerte es nur einen Tag und eine Nacht, daß gesunde Menschen ein wenig Mattigkeit verspürten, sich schwindelig hinlegten und wieder aufrafften, ihren Körper beschauten, entsetzt die winzigen roten Fleckchen erkannten, Vor sidi selber fliehen wollten, schon an der nächsten Ecke zusammensanken und unter Qual und Fieber zu sterben begannen.

In den Städten hauste der Tod, als wäre er Bürger seit alters her, fand jedes Verstedc, wohin sich Ängstliche verkrochen; hatte keine Scheu vor Bürgermeister und Rat. quartierte sich bei reichen Kaufherrn ein und gab nicht nach, bis er allein über ihr Haus gebot; hockte dann wieder bei armen Handwerkern, nieste vernehmlich, wenn ihm das billige Räucherwerk in die Nase stieg, durch das man ihn vertreiben wollte, und Stäubte so sein Gift in die Luft; hinter den Reitern saß er auf, ,die aus der Stadt sprengten, ließ sich neben dem Kutscher nieder, wenn man mit Sack und Padt aus der Stadt flüchten wollte, machte sich dann wieder ganz klein, daß er In dem Buckel korb einer Botenfrau Platz fand, die über Land ging.

Nadi Sonnfelden aber wanderte er als Weggefährte eines Knäbleins, das aus der Stadt entlief in sinnlosem Entsetzen vor dem großen Sterben, zeigte ihm viele rote Beeren, damit es auf dem weiten Weg nicht Hungers litt, und hielt seine Hand zurück, wenn es nach giftigen Pilzen greifen wollt«. — beide sollten sie nach Sonnfelden kommen.

Als sie sidi der Gemarkung des Dorfes näherten, stießen sie auf bewaffnete Knechte, die zornig jeden vertrieben, der sich zeigte.

Man wußte ja, nur als Gefährte des Menschen kam der schwarze Tod.

Doch der bejah sich einstweilen das Land und die Menschen, hinter einem Busch versteckt, sah, daß sie noch gesund waren und voll von Kraft, witterte gute Beute. Und so nahm er das Knäblein an der Hand, führte es durch verborgene Hohlwege an einen Platz, wo des Griesbauern Jüngster, der Martin, die Wache hielt, hieß es dann jämmerlich weinen.

Der Martin war wohl seiner Pflicht eingedenk, jedem fremden Wesen den Weg zu wehren, aber der Knabe schien so gesund, hatte trotz der ^Tränen so frische Augen, wußte so lieb zu bitten, daß er ihn für das Kind einer Magd ausgab, als die Ablöse kam, und auf den Griesbauernhof mitnahm, wo ohnehin schon ein Dutzend kleiner Menschen herumlief. Da kam es auf einen mehr schon nicht mehr an.

Und so war der schwarze Tod nach Sonnfelden gekommen. Es gefiel ihm gut hier, er madite sich breit wie ein Steuereinnehmer, der zugleich schätzen und eintreiben und pfänden soll, Wurde ein gar harter Herr, trieb viele Dutzende von Haus und Hof, duldete nicht einmal, daß sie auf eigenen Füßen gingen, auf Bahren mußte man sie tragen und in die große Grube werfen, die man neben dem Kirchhof gescharrt hatte. Drinnen war ja l?ein Platz mehr.

Saß er zuletzt allein auf einem Gut, dann lachte er, und ein jäher Windstoß fiel in das Dorf ein, zischte wie ein Spuk durch Dach und Sdiornstein in jede Stube.

Nur das Knäblein faßte er nicht mit voller Kraft, hatte Spaß d ran, es recht lange siechen zu lassen — es sollte das ganze Unheil erleben, das es über Sonnfelden gebracht hatte.

Die Griesbauernleute hatten es in eine Scheune gebradit, ihm zwisdien Pflug und Egge und Walze und Wagen auf Stroh ein Lager bereitet. Doch als sich endlidi deutlich die furchtbare Krankheit wies, von der es befallen war, da wagte es nur noch der Bauer selber, ihm warme Milch zu bringen und seine Schwären zu reinigen.

Der Tod lohnte das in seiner Art, verschonte den Knaben weiter und nahm die Leute vom Hof unter den Arm, hübsch nach der Ordnung, die Knechte und Mägde, dann die Familie des Bauern, mit den Kindern beginnend, bis die erwadisenen Söhne an die Reihe kamen und zuletzt die Bäye-rin und der Bauer.

Mit dem hatte er freilidi schwere Arbeit, den zwang er nicht auf einen Schlag nieder, der wehrte sich wie noch keiner. Auf zwei Stöcken mußte er humpeln, so sehr lähmte die Seuche schon seine Glieder, aber trotzdem schleppte er sich wieder durch den ■Hof, als hätte er noch Arbeit anzuschaffen und zu beaufsichtigen. Die Arme konnte er nicht mehr heben, sonst schrie er auf vor Schmerz, den ihm die Eiterbeulen unter den Achseln bereiteten, aber dennoch kerbte er auf Holztafeln die Tage ein, an denen gepflügt, geeggt und gesät werden mußte, als wären nodi Leute da, die Gerate zu lühren.

Bis der Tod endlidi einmal ärgerlich wurde. Es gab fast keine Menschen mehr im Dorf, anderswo war aber ausgiebig zu tun, und da sollte er mit dem einen Bauern in Sonnfelden so viel Zeit vertrödeln? Und als de,- einmal keuchend und stöhnend eingeschlafen war, hockte er sich über ihn und haudue ihm Seuchengift ein, das für ein paar Dutzend Männer gereicht hätte. , Der Bauer schrie aus einem grausigen Traum heraus auf, vermochte sich nicht mehr zu erheben. Bis zur Scheune konnte er sich noch schleppen, aber dort verließ ihn die letzte Kraft. Nur daj Haupt ließ sich noch mühselig ein wenig bewegen, und die Gedanken schalteten frei.

An die kann ja nur eine Krankheit her* an, die Sünde, und derer wußte sich der Griesbauer ledig, stets war er gottesfürchtig gewesen, hatte keinem Menschen Übles, aber allen Gutes getan.

Nun aber fiel ihn harte Trauer an, als er das Land ringsum übersah, das er mit der Mühe vieler Jahre betreut hatte, bis es, fruchtbar geworden wie kein anderes hier, und seine Lippen beteten dafür bei Gott.

„Du bist unser aller großer und gerechter Herr, und wir werden es verdient haben, daß du solches Leid übet uns verhängt hast. Und es ziemt uns ncht, mit dir zu hadern, weil auch jegliches Vieh dahinsiecht und die Vögel in ihren Nestern sterben — du bist Herr über alles Blut und kannst es faulen lassen nach deinem Willen, wenn das*“ Lebendige unrein geworden ist, in dem es kreist.

Aber deines Landes erbarme dich, o Herr! Du hast es gesegnet, du hast es reicher werden lassen von Jahr zu Jahr, du wirst kein Fehl an ihm finden, denn ohne eigenen Willen, nach deinem ewigen Gesetz wadisen die Ähren, blühen und tragen Korn, das dann wieder in die Erde gesenkt wird, um grünen Keim zu treiben.

Doch sieh jetzt das Land, o Herr: wie in jedem Herbst wartet es, daß der Pflug seine Furchen zieht, um dann neue Saat zu empfangen; still liegt es da und wartet, ist bereit, deinem Gebot zu dienen, das die Zeiten ordnet, nach jedem Winter grünen Frühling werden läßt: reich und zugleich arm ist es in seinem Warten, birgt alle Fülle und Fruchtbarkeit in sich und hat dodi keinen, der den Pflug darüber hinführt; alles Warten der Welt, alles Hoffen auf dem kommenden Tag, in diesen Äckern ist es gesammelt; erbarme dich des wartenden Landes, o Herr, sende deinen Pflug hin, laß ihn von einem Gerät der Menschen dein heiliges Werkzeug werden, lege deinen Willen in Eisen und Rad und Gestell und Griff... ich werde ihn nimmer halten . ..“

Nodi einen BlicWvolI unsagbarer Trauer tat er hinaus auf die Äcker, winkte ihnen mit einem leichten Heben und Senken der Lider zu, auf mehr reidite seine Kraft sdion nicht mehr. Und dann schlössen sich die Augen ganz, im Haupt lebte kein Sinn mehr, dem sie eine Kunde hätten bestellen können.

Der Tod pfiff vergnügt, denn nun hatte er den letzten hier gefällt. Des Knäbleins vergaß er, zu viele neue Pläne hatten sidi schon in seinem hohlen Schädel gesammelt, und zog weiter nach Dörfern und Städten.

Der Herr aber hatte Erbarmen mit dem wartenden Land. Um Mitternacht, gleich weit von Untergang und Aufgang, um die Stunde, die aller Zeitwenden Gleichnis ist, hob er das Schweigen der Dinge auf, daß sie zueinander sprechen konnten wie damals am ersten Tag, als er aus ihnen Himmel und Welt formte.

Das wissen ja die Menschen nicht, daß Gott in einem Meer von Klängen schwebt, in dem Chor alles Erschaffenden, der ihn ewig lobpreist. Aber das Brausen der Ätherströme, das Hallen des unendlichen Raumes, das dröhnende Einherschweben ungeheurer Gestirne wurde so laut, daß es die Melodien der Engel übertönte, und so nahm Gott von den Stimmen der großen Dinge den Klang, ließ ihn nur den Engeln, den Menschen und den Tieren. Daher kommt es, daß manche kleine Vögel so lieblich singen wie Engel, und daß über den Stimmen erlesener Menschen ein Schauer der Unendlichkeit liegt, als zögen sie seit Anbeginn durch sie wie ein leuchtender Stern.

Das Knäblein in der Scheune erwachte, fühlte, daß seine Schmerzen ein wenig gemildert waren, und auch Dunkel und Einsamkeit hatten nichts Bedrückendes, ein seltsames Wogen war ringsum, das nidit bloß Klang und nicht bloß Licht war. eher ein Schwingen lebendiger Töne und tönenden hellen Lebens. Wie auf weichen, weichsten Daunen glitt man darauf auf und ab, und wie ein Spiel unzähliger Lichtpünktchen flirrte es um die Augen.

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