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„Das Reich des Friedens...“

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... Alles war da: das Gold, das Pulver und das Rezept. Raymondos aber, der Adept, hatte sich zu Boden- geworfen und lag wie von Sinnen. Wenn schon Not und Qual sich schwer erträgt ohne ein Gegenüber, wie hätte er den Jubeldank, der sein Wesen aufzulösen drohte, ertragen sollen — ?

Die uralten Worte der Gebete, die er murmelte, ohne es zu wissen, halfen ihm, er selbst zu bleiben und den Sturm der Erhörung zu überstehen.

Raymondos hatte das Experiment wiederholt, einmal, fünfmal, achtmal, an speiselosem Tag und in schlafloser Nacht, bei verriegelter Türe, in einer Luft, die sich kaum noch atmen ließ. Achtmal war es geglückt, und ein Hügel von Gold lag neben seiner Bettstatt. Der Boden war bedeckt mit Ruß und Asche. Nun war kein Holz mehr da, es zu verbrennen, kein Blei, es zu schmelzen.

Er warf ein Fell über den Goldhaufen und öffnete die Türe. Die Sonne stand schon tief; in den Vorfrühlingsästen jubelten die Vögel und bauten sorglos an ihrem Nest, das sie nur für eine Brutzeit beschützen würde vor dem Grimm der Welt.

Raymondos mußte geblendet die Augen schließen, und sein Atem verkrampfte sich zu quälendem Husten. Undeutlich nahm er wahr, daß jemand da sei, und er trat unwillkürlich zurück in die Oeffnung der Tür; auch der andere wich erschrocken zurück, ein Jüngling in Schmuck und Harnisch.

Trotz seines Hustens war es Raymondos, der das erste Wort herausbrachte.

„Wen suchet Ihr?“ fragte er; „Ihr seid wohl fehlgegangen, Herr!“

„Das glaube ich nicht!“ antwortete der schöne Vornehme; „ich suche den Adepten Raymondos!“

Sehr abweisend sagte Raymondos:

„In meine Höhle kann ich Euch nicht führen, denn Ihr möchtet doch nicht so aussehen wie ich, nicht wahr?“

„So geruht zu bestimmen, wo wir sprechen können!“ bat der Fremde; aber bei aller Höflichkeit klang es wie ein Befehl. Leiser fügte er hinzu: „Ich bin weit hergereist um Euretwillen!“

„Wollt Ihr mitkommen zum Bach, wo ich mich säubern möchte? Wir können dort lagern, wenn es Euch nicht zu kalt ist; dort gibt es keine Lauscher.“

Er versperrte die Türe und prüfte rüttelnd, ob das Schloß hielt. Dann schritt er dem Fremden voran und grübelte, nicht, was der von ihm wolle, nur: — woher er wissen konnte, daß Raymondos das Gewünschte besaß.

Wer hätte nicht an ein Zeichen geglaubt bei der Ankunft dieses hellen, offenäugigen Gastes zu dieser, genau zu dieser Stunde!

Nun sprach er lässig ins Gras gerekelt, ebenso offen, wie er blickte mit seinen Augen blau wie Männertreu:

Er müsse das Gold bekommen, des Raymondos Gold; nichts anderes fehle ihm, um ein großes Werk zu tun. Denn er wisse, daß Raymondos den Stein der Weisen gefunden habe! Während er sonst den Zuflüsterungen seiner Berater immer mißtraue, habe er diese ihre Botschaft mit dem ungestümen „Ja!“ einer inneren Eingebung angenommen ...

„Aber ich wußte auch gleich, daß ich miclT selbst zu Euch begeben müsse!“ Er lachte sorglos. „Den König könnt Ihr nicht mir nichts, dir nichts heimweisen, denn er kehrt das Sprüchlein um, kraft seines Amtes: Mir das Gold, dir alles, was du begehrst!“

Des Raymondos Zügen war Uebcrraschung anzumerken, nicht aber der Sturm von Zweifel, Glauben, Scheu, Eitelkeit und Scham, der in ihm aufstand. Er kämpfte um Fassung und Klarheit.

Langsam sagte er:

„Herr König...,“ er wählte mit Bedacht die ungebräuchliche, weltfremde Anrede der Märchen, die es an Ergebenheit nicht, wohl aber an Unterwürfigkeit fehlen läßt. „ ... ich wüßte nichts, was ich von Euch begehrte. Außer, Ihr hättet jetzt ein Stück Brot bei Euch? Mich hungert gar sehr!“

Kindlich lachte der junge Fürst.

„Das trifft sich gut“, sagte er, „denn einen Knauf hab ich meist bei mir, für meinen Hengst; aber er ist so altbacken, wie er dem schmeckt. Ob Ihr ihn beißen könnt?“

Raymondos nahm dankend die trockene Rinde und kaute schweigend, solange bis sie süß wurde und, in kleinen Schlucken genossen, seinen wölfischen Hunger stillte. Der Gast sah ihm zu; sein klares, junges Antlitz spiegelte seine Empfindungen wider: Neugier und Scheu, Belustigung und Unwillen.

Raymondos aber nützte die Frist zu fliegender Ueberlegung. Was sollte er tun mit dem Haufen Goldes neben seinem Bett? Schon in der Nacht hatte ihn diese Sorge angeflogen.

Sollte er ableugnen, daß er das Gold besaß — diesem jungen Fürsten in seine klugen, vertrauenden Augen hineinlügen? Das wäre so unwürdig wie vergeblich. Sollte er also den Besitz zugeben, aber die Auslieferung verweigern, ein für allemal?

Furcht beschlich sein Herz. Der hier lehnte wie ein junger Freund und Spielgeselle, war ein gar mächtiger Herr, und von mächtigeren beraten. Viel wußte Raymondos nicht von der Welt und denen, die sie regieren, aber selbst er ahnte, daß es dann aus sein würde mit seiner Freiheit und mit seiner Forschung.

Nein, so ging es nicht! Mit Leugnen und Verweigern war nichts gewonnen; er mußte ruhig anhören, was von ihm gefordert wurde, und nachher kalten Blutes die Entscheidung treffen.

Er stand auf.

„Laßt uns umhergehen, Herr König!“ sagte er, „sonst wird Euch kalt. Sagt mir von Eurem Werk, das des Goldes so dringend bedarf. Wer bedarf Eures Werkes?“

Kreuzzug! Befreiung des Heiligen Grabes! Eine Einigung der gesamten Christenheit könne darnach nicht ausbleiben. — Hundertmal schon vom Kinde gehörte Worte und verwelkte Wahrheiten blühten hier wieder auf, im Erdreich eines stolzen jungen Herzens, und wollten Wirklichkeit werden. Er hielt keine glatte Rede; er widersprach sich manchmal, und was er eben für das erste und Wichtigste erklärt hatte, wurde, nach einem Einwand Raymondos', zur Nebensache.

„Nicht Wortemachen ist meine Stärke!“ rief er endlich ungeduldig aus. „Höret doch Heber die Aufrufe des großen Mönches im Norden; wollt Ihr auch dem die Wahrheit streitig machen? Ich bin nur ein Fürst, ich bin zum Handeln geboren. Ich brauche Schiffe, Waffen, Reittiere. Und um all dies zu beschaffen, Euer Gold! Was könntet Ihr denn Besseres damit tun, Meister — ?“ schloß er atemlos.

„Auch meine Sache ist nicht das Reden!“ erwiderte Raymondos leise. „Aber habt Ihr denn überlegt, mein König, daß Ihr das Reich des Friedens aufrichten wollt mit Blutvergießen, wenn Ihr mit dem Schwerte kommt, um das Kreuz zu pflanzen über Golgatha — ?“

„Es geschieht zum letztenmal!“ rief der junge Fürst leidenschaftlich. „Verkennt Ihr denn, daß auf Erden nichts sich ändern läßt ohne Gewalt?

Selbst Christus, unser König, sagt: Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!

Rein und unrein, Christ und Heide müssen ein für allemal getrennt werden, ehe das Tausendjährige Reich Seiner heiligen Herrschaft anheben kann!“

... Raymondos nahm den Weg zurück zu dem verlassenen Weinkeller, in dem er hauste. Der Pfad war schmal, er mußte vor dem Fürsten gehen und verstand im Gegenwind nicht jedes seiner Worte; immer dichteres Grübeln umfing ihn. Er erwiderte nichts mehr.

Mühsam drehte er den uralten Schlüssel im rostigen Schloß. Innen war es fast finster. Der junge König schien zu zaudern. „Tretet vor mir ein“, sagte er. „Ich sehe nichts.“

Raymondos nahm das Fell von dem blinkenden Haufen und warf es beiseite.

„Hier ist das Gold, Herr König!“ sagte er. Er lächelte, als er sah, wie der Jüngling rot und bleich wurde, sich unwillkürlich bekreuzigte, und stammelte: „Und das habt wirklich Ihr gemacht?“

„Aber, Herr, warum wäret Ihr denn sonst zu mir gekommen?“ fragte Raymondos, indes der Gast sich, nach Fassung ringend, auf das Lager setzte.

„Wieviel braucht Ihr für Euren Kreuzzug?“ — Ihre Besprechung dauerte nicht mehr lange. Raymondos hatte versprochen, das Gold bis zum nächsten Neumond herzustellen. Er wünschte keinen Lohn, aber er stellte zwei Bedingungen: ungenannt zu bleiben war die eine, die zweite: das Versprechen des Königs, sein Verlangen niemals zu wiederholen.

„Vermögt Ihr das zu geloben, mein hoher Herr?“ fragte Raymondos, „Sei's drum!“ lachte der Fürst. „Dieses Gold wird uns zum Sieg verhelfen. Darnach haben wir Goldes genug! — Warum aber seid Ihr zu stolz, Ruhm und Ehre von Uns zu empfangen?“

„Auch ich“, sagte Raymondos ernst, „will, so gut ich es vermag, mithelfen, das Reich des Friedens aufzurichten!“

„Ihr sollt Euren Willen haben!“ sagte der König. „Also, am Tag des Neumonds —?“

„Am Tag des Neumonds, Herr König. Und Ihr gelobet Nimmerwiederkehr — ?“

„Versprechen um Versprechen!“ bestätigte der Jüngling. Schmal und einsam entfernte er sich über das Feld.

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