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Ein Hymnus für deine Bäume

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Vor vielen Jahren sagte ein alter Freund zu mir, als ich vom Wechseln sprach: „Das erste auf dem neuen Posten, merk dir, ist, neue Bäume zu pflanzen. Das ist nützlich und lehrreich zugleich.“

Ich hätte diesen Ausspruch vielleicht vergessen, wenn mir die Nachbarn nicht in der neuen Gegend gleich beim Einzug gesagt hätten, daß mein Vorgänger die jungen Bäume bei seinem Auszug ausgehoben und mitgenommen hätte.

Seitdem habe ich viele Bäume gepflanzt und beim Umgang mit Bäumen denke ich immer an den oben erwähnten Ausspruch. Nutzen im eigentlichen Sinne hatte ich noch wenig, denn zehn, fünfzehn Jahre sind wenig im Leben eines Baumes, in unserm aber viel. Aber gelernt habe ich viel davon.

Wenn ich an meine früheren Wirkungsstätten zurückkomme, interessieren mich neben den Menschen vor allem die Bäume. Die grüße ich wie alte Freunde und betrachte sie von oben bis unten. Bei dem einen freue ich mich und beim ändern schüttle ich besorgt den Kopf.

Mein Prunkstück aber ist ein Nußbaum. Er hat schon eine Krone wie ein Haus, und als ich ihn pflanzte, an einem trüben Novembertag, war er nicht stärker als mein Daumen. Heute ist sein Stamm so dick wie mein Kopf und er strotzt vor Gesundheit, der Stamm, die Äste, die Blätter. Da heißt es, Nußbäume wachsen langsam, meiner wuchs schnell. Und ihr glaubt nicht, daß er auch Früchte trägt? Seit ein anderer dort sitzt, habe ich noch keine verkostet, der Nachfolger mißt den Baum nur nach dem Nutzen, sonst beachtet er ihn nicht, aber bei mir hängt das Herz daran, von den unzähligen Bäumen, die ich gepflanzt habe, ist er der schönste. Wenn ich ihn betrachte, möchte ich einen Lobpreis auf die Schöpferkraft Gottes aussprechen, die sich so herrlich in ihm kundtut. Nur auf die Gnade kommt es an. Gnade ist alles, Auserwählung. Gott tut mit uns, was er will. Selig die Seligen! Schluß der Aussage.

Es gibt königliche Bäume, die keine Früchte für uns tragen und die uns nur helfen durch ihr Dasein und ihre Schönheit. Da nenne ich zuerst die aussterbenden Bäume, die wie aus Trauer über eine ihnen fremde Zeit aus uns unbekannten Ursachen langsam aussterben: die Rüsten und Ulmen. Veiche Majestät, wslche Größe und Schönheit, ‘wenn sie gegen den Abendhimmel stehen und mit ihrer Krone in die Unendlichkeit der Nacht hineinragen. Wie der Wind in den Millionen Blättern spielt. O Schöpfer, ein Hymnus für deine Bäume!

Und die sinnträchtigsten und mahnend- sten, die Pappeln, die immer mehr Fremdlinge werden in unserer Landschaft. Meine Sehnsucht wäre es, sie an tausend Plätze zu pflanzen. Die Menschen wären anders, Gott näher, wenn sie mehr Pappeln sähen.

Oh, die Gartenfreunde achten viel zu wenig auf die natürlichen Gegebenheiten von Klima und Boden. Sie sehen einen leeren Platz und denken sich, da gehört ein Baum hin. Dann laufen sie in die Baumschule, wo im Kasten die herrlichsten Früchte zur Schau gestellt sind, große und schöne. Danach wählt er die Sorte und empfängt den neuen Baum seiner Hoffnung. Ach, die Gärtner sind nicht immer Gauner, wenn die Sorte nicht stimmt. Sie haben zu viel zu tun, und es dauert etliche Jahre, bis der Setzling soweit ist.

Man müßte selber veredeln. Hier schweig ich vor Scham, denn veredeln kann ich nicht. Gerade das aber müßte man können. Mein Vater hat sich dafür interessiert, und ich habe ihm gerne zugesehen. Es ist keine Kunst, nur muß man die Zeiten beachten und Geduld haben. Leider ist mir beides nicht gegeben. Aber das würde zu weit führen.

Erfahrung ist die Summe der Mißerfolge, heißt es, und danach sind wir schaffenden Männer die Erfahrensten. Mißerfolg umgibt uns wie den Vogel die Luft und den Fisch das Wasser. Was geht uns schon gut aus in dieser bösen Zeit, da Gott seine Gnade so sehr zurückhält. Ich wundere mich nicht mehr, wenn wieder eine Hoffnung, ein neuer Versuch, mißlingt, ich wundere mich nur mehr, wenn sich ein wenig Erfolg zeigt.

Wir pflanzen, wir gie£_n und ER gibt das Gedeihen, oder eben nicht. Und das letzte ist hoc tempore das Wichtigste. Was weiß ich vom Geheimnis der Zeiten? Gewiß gibt es Entscheidung und Schuld, aber das erste und letzte ist die Gnade. Paulus hat einige erschreckends Andeutungen darüber gemacht, die man am besten gar nicht weiter verfolgt.

Also, da kam ich damals auf einen neuen Platz und begann Bäume zu pflanzen; Äpfel, Birnen, Marillen und andere. Ich suchte den autochthonen Baum, die Zwetschke, die wie Unkraut wucherte und wovon es hundert Stock gab, zurückzudrängen. Ich machte mir einen Plan und pflanzte danach. Ich hatte Glück, etliche Jahre wuchsen sie schön. Dann kam ein schneereicher Winter, die Hasen stiegen über die Zäune und fraßen in ihrem Hunger die Rinde von den Bäüm- chen. Nur wenige kamen davon. Zuerst schalt ich, dann resignierte, ich und zum Schluß pflanzte ich neue. Sie wuchsen wieder recht schön, durch einige Jahre, dann kam der Krieg und Haus und Garten lag tagelang im Feuer der splittersprühenden Granaten. Fast nichts blieb über. Wieder Zorn, Resignation und Wiederaufbau, doch nur mehr mit halber Kraft. Irgend etwas in mir war gebrochen. Widrige Winde! Die Mächte sind dagegenl sagte ich zu mir selber.

Der Nußbaum war im ärgsten Feuer gestanden, aber er hatte wenig gelitten und überwand schnell seine Wunden. Ihm waren die Mächte hold. Er war bestimmt, alles zu überdauern. Vielleicht auch, weil er gerade vor meinem Fenster stand, sollte er mich hochreißen und mit Hoffnung und Glauben erfüllen.

Ja, und der Baum, der am weitesten draußen stand, zeigte auch ein merkwürdiges Zeichen, Es war ein Birnbaum, und er wurde von hungrigen Hasen als erster abgefressen. Ich grub ihn nicht aus, sondern ließ den Strunk stehen. Siehe da, er trieb aus und da der Trieb über der Veredelung lag, ließ ich ihn wachsen. Mit besonderer Sorgfalt beobachtete und pflegte ich ihn. Im Krieg lag er gerade an der Hauptkampflinie, in seinem Schatten lag das Schützenloch. Ein russischer Flieger, der am Abend immer diese Linie entlangflog und etliche Bomben warf, legte eine gerade vor mein Bäumchen. Es wurde abgerissen, und es blieb wieder nur ein Strunk. So sucht Gott uns heim, sagte ich, da ich ihn betrachtete. Und siehe, der zweite Strunk trieb wieder aus, und es kam ein neuer Stamm, der Lebenskraft zeigt.

Neulich kam ich in der Gegend vorbei..

Ich wollte nicht stören und ging nur hinten am Zaun vorbei, um das Bäumchen zu sehen. Es gedeiht und wächst in den Himmel. Prognose stelle ich ihm freilich keine mehr. Das hat sich in unserer Zeit als sinnlos erwiesen.

Es gibt zu viele Möglichkeiten. Wir wissen nicht, was E R vorhat, welche Winter und welche Kriege er uns noch schickt. Wir wissen nicht, wieviel Lebenskraft — Gnade — er uns aufbewahrt hat. Wir müssen weiter bauen und hoffen. Aber auf jeden Fall, was immer auch kommt und wieviel Gepflanztes uns noch zerstört wird, blind auf ihn vertrauen. Er ist der Herr der Menschen, Bäume und — Zeiten.

Zum letzten Geburtstag wollte mir jemand etwas schenken, und ich wollte nichts Teures. Da sagte ich: .Pflanzt mir ein Zimmerlindchenl Jene, die bei der Schmerzhaften steht, hat etliche Triebe.“

Sie pflanzten alle vier Triebe in Töpfe und stellten sie mir hin. Ich habe selber die Pflege übernommen. Täglich betrachte ich sie. Jeden zweiten Tag muß ich ihnen Wasser geben, und ich bin ein ungeduldiger Mensch. Sie wachsen — bis auf eines, das vor kurzem einging —, aber ich erschrecke, wie langsam. Mein Gott, wie oft werde ich sie gießen müssen, bis sie zu richtigen Bäumchen werden. Wenn ich sie sehe, habe ich weniger Freude als Sorge.

Welch ein schreckliches Geheimnis ist doch das Leben, ständig umwittert von bösen Mächten und Tod. O Bäume, welche Abgründe werden angerührt durch euch.

Mein Großvater kam bei einem Gewitter mit den Pferden vom Feld heim, und als er an dem großen Nußbaum vorbei gerade ins Haus fahren wollte, stürzte dieser um und erschlug ihn. Das ist die letzte und dunkelste Möglichkeit, von den eigenen Bäumen erschlagen zu werden, wenn böse Winde ihn auf uns werfen.

Ist auch das Gnade?

Wahrscheinlich.

Ein Hymnus auch für diese Bäume?

Ja, wenn auch erst drüben.

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