7027803-1989_18_08.jpg
Digital In Arbeit

Spaziergang, jähe Angst

Werbung
Werbung
Werbung

Seit sieben Jahren gehe ich fast täglich morgens draußen herum, und seit sieben Jahren unterliege ich dem Zwang, der Versuchung oder Nötigung, in den letzten Wintermonaten Februar, März zu denken, oder richtiger gesagt, zu fragen, ob es wieder einen Frühling gebe, ob es grün werde, ob die Sträucher und Bäume, der Hang, die kleinen, von den großen Äckern bedrängten Wiesen, die ich alle, durch mein öfteres Vorübergehen zu jeder Jahreszeit, gut kenne, ob sie wieder Blätter und Blüten bekämen tmd sich begrünen würden.

Es ist eine mich zwangsläufig bedrängende Frage, die ich vor und für mich in die Landschaft stelle, durch die ich beobachtend gehe, eine Frage, die allzu vereinfachend erscheint, aber doch gerade deshalb eine Frage auf Leben und Tod ist. Eigentlich müßten dich die Beispiele der vergangenen Jahre davon überzeugen, denke ich, daß deine Zweifel am Wiedereintritt des Wachstums am Ende des Winters unangebracht sind, verdirbst dir mit diesem Gedanken die Hoffnung, ohne die niemand leben kann, die Erwartung, die einen großen Teil der Hoffnung einnimmt, die Ęreu-de, die am Ende der Hoffnung steht.

Heute denke ich nur dagegen an, in früheren Zeiten wäre ich als Prophet des Untergangs angesehen worden, und obwohl ich meine Befürchtungen jetzt vor allem nur im Selbstgespräch ausspreche, wüßte jetzt jedermann, was dieses Denken für Ursachen hat, würde jeder die Gründe kennen, wenn das Blühen und Grünen zu Ende wäre.

Und die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen, denn das wissen wir schon; wir wissen nicht, wie weit wir gehen dürfen und denken gar nicht daran aufzuhören damit, was die Angst verursacht, es könnte mit dem Blühen und Grünen zu Ende sein. Ich kann mir, wenn ich versuche, die Folgen zu denken, die Welt ohne Baum und Gras nicht vorstellen, und so ist mit dem Denken, es könnte zu Ende sein, auch die Vorstellung von der Welt zu Ende, denn eine Welt ohne Baum und Gras läßt sich zwar denken, aber nicht vorstellen.

Und alles in mir lehnt sieh auf, wenn ich denke - und es bis an den Rand des Möglichen treibe-, hier gehe ich, es ist Winter, ich werde den Frühling mcht erleben, es wird ein Zustand wie im Winter bleiben, und daim, obwohl ich den Winter sehr mag, packt mich die Angst. Dann setzt die Gabe der Verdrängung ein, ich gebe ihr Raum, der wieder ein wenig Hoffnung läßt.

So gehe ich Morgen für Morgen« denke an etwas anderes, ersticke die Angst, es körmte bleiben wie es ist, alles im Keim, der sich nicht mehr entwickelt, biege einen Zweig herab, stelle fest, daß Knospen da sind, sich nur noch nicht rühren, am anderen Morgen beobachte ich die Leute, denen ich begegne^ es sind nur zwei oder drei, denn die meisten fahren mit dem Auto, prüfe sie, ob sie die gleichen Ängste empfinden, kann nichts erkennen, lasse bei einigen, die mir gut bekannt sind, die Befürchtungen anklingen, hoffe auf Verständnis, sie lächeln zwar, als hätten sie Verständnis, teilen es aber nicht mit mir, ihr Lächeln ge-

hört einem Narren, oder milder ausgedrückt, einem Spinner.

Sie sitzen im Gewohnten, bewegen sich nicht gerne weg, ich merke nur ein leises Aufblitzen in ihren Äugen, man antwortet mir ausweichend, als hätte ich einen Witz erzählt; das Bedürfnis, nichts Störendes im Alltag aufkommen zu lassen, ist stärker. Dann wünsche ich, meine Angst sei unberechtigt; es müsse wieder blühen und grünen, es habe immer geblüht und gegrünt, wo führe es hin, wenn es nicht so wäre.

Ich bin aus dem Sattel gefallen, sitze aber gleich wieder auf: irgendwie beneide und bedauere ich sie, sie stecken tief und sicher in der scheinbar sicheren Existenz, andererseits denke ich, deine Angst kommt von der Unsicherheit, die du zwar immer spürst, doch nie ganz annimmst (weil es so schwierig ist, damit zu leben), schöpfe tief Luft und tauche tief hinab, unter die Linie des Alltäglichen und Normalen, wo diese Unsicherheit daheim ist.

lächle ebenso herablassend zurück, als hätte ich den Narren oder Spinner nur gespielt und sei ihnen dankbar für die Sicherheit.

Dann fühle ich mich nicht besiegt, auch nicht ausgespielt oder zum Besseren überführt, wenn sich an den Zweigen, die ich zu mir herabbiege, die Knospen öffnen, die Birkengruppe einen leichten grünen Flor zeigt, über der Pappelallee der weithin sichtbare bräunliche Schimmer von den reifen Knospenhüllen in der blauen Luft liegt, der Winterweizen und der Raps höher werden, die ersten feinen Gräser sich leicht im Wind bewegen. Die Natur besiegt mich rücht, weil ich nicht angetreten bin, es gar nicht wage anzutreten, sie überzeugt mich nur, daß in ihr Kräfte liegen, die stärker sind, wogegen wir nichts sind, obwohl wir tun, als stünden unserem Denken und Handeln ungeahnte Dimensionen zur Verfügung.

Natürlich ist alles beim alten, wenn ich jetzt meine Morgenwege gehe, sehenswert und erfreulich, wie es rundum blüht und grünt, die Vögel sich hören lassen, die Sommervögel wie Grasmücken, Zilpzalp und Fitis sind zurückgekehrt, ihre Stimmen sind für den Ungeübten kaum zu unterscheiden, alles liegt im eindringlich frühen Licht, der Regen nachts hat das Grün erfrischt.

Ihr alle habt recht, die ihr keine Zweifel hegt, mich belächelt, das seien doch Spintisierereien, wo käme man hin und so, und ich nik-ke euch nun zu, bin aber nicht belehrbar, trotz des Auftriebs, den ihr mir gegenüber unterstreicht mit: Es geht doch alles seinen gewohnten Gang. Ich bin geneigt, euch zu glauben, den Optimismus zu teilen, doch nur in Hinblick auf die Natur, nicht auf die Beiehrbarkeit ihrer Ausbeuter, die auch mit unserem Optimismus ihre Gewinne machen; ich verachte ihre Dummheit bis auf den Grund meiner Seele.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung