Seine Hände stecken Winter und Sommer in fingerlosen Handschuhen, derGicht wegen, erträgt weiche Stoffschuhe, der Anzug schlottert an seinem dürren Körper. Der Kopf, der eines Patriarchen, eingerahmt von wallenden, weißen Locken, deren vielfach gedrehte Enden im Lichte aufleuchten, ebenso die Bartspitzen. So blieb er in meinem Gedächtnis, der alte Schneider, der zu wenig an die frische Luft ging und, heute würde man sagen, an Kreislaufstörungen litt, dem Alkohol zusprach und Mesner wurde, als er keine Kleider mehr machte (oder keine Aufträge erhielt) und sich durchschlug mit
Was dich durchdringt sind außer Gedanken, Überlegungen und Erinnerungen Gefühle, und sie kommen von unten, aus der Basis, aus der Erde, die du berührst, nahe der Pflanze, die in der Erde wurzelt, ohne die sie nicht leben könnte.Du bist der Erdrinde verhaftet, hast also noch genug freien Raum. Doch sie stutzt deine Freiheit, mahnt dich an den Ursprung, macht dich schwer, oft so schwer wie einen gefüllten Sack.Es ist Frühling und alles im Aufbruch. Da wirst du unruhig, in mehrfacher Hinsicht, und brichst auf. Früh am Morgen verläßt du das Haus, um zur Bahn zu gehen und fort zu fahren,
Als ich zu malen anfing, dachte , ich an einen Mäzen. Ich hatte die Tatsache, daß jeder Maler einen Mäzen habe, der Lebensbeschrei- bung Alter Meister entnommen. Die hatten das gemalt, was die Mäzene von ihnen verlangt hatten, und sie hatten die Wunschbilder vorzüg- lich gemalt. Auch ich wollte vor- züglich malen. Mein Mäzen würde mir Aufträge für vorzügliche Bil- der geben. Die Sujets der Alten Meister stammten aus dem Leben und der Umwelt ihrer Mäzene. Den Details der Bilder nach führten diese ein großartiges Leben, hatten eine großartige Umwelt. Auswir- kungen und Inhalte
Ich erschrak, lachte und verstand die anderen, die über Mia lach- ten; sie war häßlich, und ich dachte über ihre Häßlichkeit nach. Diese bestand in nichts anderem als in der Form ihres Gesichts: eiförmig, die Augen vorstehend, groß, der Blick scheu, darin etwas Anziehendes, das die anderen nicht sahen, und eine Nase, wie sie Frauen auf alten Bil- dern haben. Mia war Waise und kam zu ihrer Tante, die im Dorf eine kleine Wäscherei betrieb. Mia sprach anders als wir, die Laute saßen ihr tief in der Kehle.Sie trug die frischgewaschene Wäsche aus. Bevor sie gekommen war, hatten wir die
Als der Mann noch lebte, der das Schlittenrennen veranstaltet hat- te, war es sehr einfach gewesen; er hatte die Verantwortung übernom- men. Jetzt, ein Jahr nach seinem Tod, wollten es die Männer organi- sieren und sprachen vom Breitene- der-Gedächtnisrennen. Sie bilde- ten ein Komitee. Der Junge kannte sie; er war wegen eines Gebrechens vom Treiben der anderen Jungen ausgeschlossen, hinkte hinter den Männern her. Sie trugen steife Überröcke, und als der Junge die Namen Stella und Lux hörte, be- achtete er den Mann, der die Na- men der zwei Pferde aussprach, die noch im Stall des
Es ist sehr wesentlich, was du behältst und verlierst, was du dir nimmst oder ich dir geben kann, was du brauchen kannst, bis du es vergißt und ich dir nichts mehr zu sagen habe, alles nachklingt wie im Märchen. Du sagst, erzähle die Geschichten vom Feuer.Du bist einverstanden, daß ich erfinde, wenn ich erzähle, und doch sind die Geschichten wahr, denn du lachst und bist traurig. Schon der erste Satz nimmt dich gefangen: Als ich klein war, war deine Urgroßmutter sehr alt und ging gebückt, was aussah, als werde sie von Tag zu Tag kleiner.Sie und dein Urgroßvater bewohnten einen
Seit sieben Jahren gehe ich fast täglich morgens draußen herum, und seit sieben Jahren unterliege ich dem Zwang, der Versuchung oder Nötigung, in den letzten Wintermonaten Februar, März zu denken, oder richtiger gesagt, zu fragen, ob es wieder einen Frühling gebe, ob es grün werde, ob die Sträucher und Bäume, der Hang, die kleinen, von den großen Äckern bedrängten Wiesen, die ich alle, durch mein öfteres Vorübergehen zu jeder Jahreszeit, gut kenne, ob sie wieder Blätter und Blüten bekämen tmd sich begrünen würden.Es ist eine mich zwangsläufig bedrängende Frage, die ich vor
Wenn hierzulande ein nicht kastrierter Kater ein Alter von sechs bis sieben Jahren erreicht, besteht Aussicht, daß er älter wird. Der Grund dafür sind die Gefährdungen, die er mit Glück bestanden hat. Die natürliche Auswahl, daß nur das Starke und Gesunde überlebt, wie sie früher unter seinesgleichen im Kampfmit natürlichen Feinden Voraussetzung war, hat sich abgeschwächt; ein Kater, der in die Kategorie der Gesunden und Starken fällt, weil seine Urin- stinkte gut ausgebildet sind, muß dazu neue Instinkte auf dem langen, bitteren Weg der Erfahrung gegen neue Feindbilder entwik-
Katharina hatte die Tür zu ihrem Zimmer offen, er trat wortlos ein, ging ans Fenster, nachdem er die Tür nur angelehnt hatte. Der Beamte vom letzten Mal und ein anderer, sagt er, während er sich umwandte, und sprach nicht mehr weiter, denn ihr ernstes Gesicht machte ihn stumm; erstaunt bemerkte er eine Ratlosigkeit darin, und je länger das Schweigen anhielt, umso größer wurde sein Bedürfnis, gegen diese Ratlosigkeit ein Mittel zu finden.Der Augenblick war da, zu sagen, welchen Entschluß er gefaßt hatte, suchte nach dem richtigen Wort, scheute aber noch zurück, es auszusprechen,
Ich male nicht, was ich sehe, sondern was ich sah“, schrieb Edvard Münch in Paris im Jahr 1890. Als der norwegische Maler diesen Satz aufzeichnete, war er siebenundzwanzig Jahre alt. Eine evolutionäre Einstellung damals, in Wahrheit nichts als die Anerkennung der Verweigerung der Wirklichkeit durch einen Künstler, der mit fanatischem Drang unter Beweis stellte, daß für ihn die Wirklichkeit nur dann Wert besitze, wenn er sie innerlich verarbeitet habe.Der Künstler gestaltet seinen eigenen Kosmos. Es ist ihm erlaubt. Dieser Kosmos läßt deutlieh erkennen, daß er dem eigentlichen am
Er pflanzt einen Baum. Dazu nimmt er den Spaten. Schaufeln sind weniger geeignet. Der Spaten mißt die Erde, die er aushebt, und liegt anders in der Hand. Die Erde ist fett. Er sticht mit dem Spaten einen Kreis, Durchmesser einen Meter, ein Stich hebt mehr als zwanzig Zentimeter aus — zweimal diese Tiefe —, die Erde bröckelt, fällt vom Spaten, kollert in die Grube zurück. Das Blatt zerteilt Würmer; die Hälften winden sich heftig. Er achtet darauf, daß die Wurmhälften wieder unter die Erde kommen, auch, daß die obere Schicht Erde links von der Grube, die untere rechts zu liegen
Das waren Märztage, man sagt, die kältesten seit mehr als hundert Jahren. Ging das Vogelfutter zur Neige auf der Terrasse über dem südlich gelegenen Teil des Gartens, der noch tief im Schnee lag, so saßen die Vögel nahe dem Boden in den Zweigen des Weißdorn, warteten, und nur einzelne, meist Spatzen, hüpften über die vom Schnee freigekehrten Steinplatten, um die Reste der Hanf- und Sonnenblumenkerne aus den Fugen zu holen. Später, am Mittag und in der ersten Hälfte des Nachmittags, schien die Sonne schon kräftig, ein Hoffnungsschimmer, auch für die Vögel; Amseln probierten leise
Er hat die Chance nicht genützt. Er scheiterte, als er mit der Vorstellung, wie er an das Dorf herankäme, daranging, sie zu verwirklichen. Die einfache Vorstellung vom Dorf war ihm abhanden gekommen seit dem Tag, da das Dorf ihn ignorierte. Er habe ein grünes Gesicht, sagten die Leute im Dorf, und das hieß, er sehe alles anders.Die Chance zum Beispiel sah er nicht. Er hätte nur sein grünes Gesicht ablegen müssen, und die Ka-stanienblüte, die pyramidenförmige, wäre von jeder Kuh angenommen worden. Kühe stehen nicht mehr auf der Straße, undwenn sie der Fleischer beim Bauern abholt,
Albert hatte ein neues Quartheft in seinem Pult, es hatte einen blauen Einband und vorne ein weißes Schildchen, worauf er etwas zu schreiben versucht war, es sich überlegte und fand, daß es besser sei, nichts darauf zu schreiben und das Heft im hintersten Winkel des Pultes, unter einem Stoß Bücher, zu verstecken. Es war eine nutzlose Geste, die ihn zwar beruhigte, doch den Zweifel nicht nahm, das Heft werde entdeckt; es gab kein anderes Versteck.Er überspielte jedesmal den Verdacht, wenn er das Heft herausholte und wieder hineinschob, daß ihn ein Mitzögling oder sogar der Präf ekt vom
Wir wissen wenig oder nichts. Deshalb haben wir Angst.Wissenschaftler wissen mehr, aber nicht so viel, daß sie keine Angst zu haben brauchten. Sie fällen ein Urteil über die Augenblickslage direkt und sprechen indirekt von den Folgen. Glaubhafter klänge es, mit jeder Aussage schon beim Aussprechen Zweifel anzumelden. Der Ängstliche gibt seiner Angst Ausdruck, indem er das Einfachste fordert: Weg mit dem, was uns Angst macht! — Das sei nicht so einfach, entgegnen Politiker.Erinnern wir uns: Es war alles sehr einfach. Das Einfache zieht die Grenze zum Irrationalen. Man sah nichts, hörte
In unserem Keller steht ein Pferd, ein Schaukelpferd; ich bekam es vor sechzig Jahren, und vor fünfundzwanzig Jahren schenkte ich es dem älteren Sohn, und vor siebzehn Jahren versuchte ich es dem Jüngsten anzubieten.Pferde standen nicht hoch im Kurs, ob lebend oder aus Holz. Ich sagte zu meinem Ältesten: Setz dich drauf, du kannst reiten.Er umging es zweifelnd. Es ist ein Fuchs, mit blonder Mähne und blondem Schweif, echtes Pferdehaar, es bläht die Nüstern, hat die Trense im Maul, der Sattel, mit den Steigbügeln daran, ist aus echtem Leder.Als ich den Ältesten aufforderte zu reiten,
Die Straße, die am Haus vorbeiführt, ist eine Sackgasse. Sie endet bei den letzten Häusern und bildet ein T. Dort ist die Kehre. Die Sackgasse geht aus von der Bezirksstraße, und zwar im rechten Winkel. Wer die Sackgasse betritt, hat eine Absicht; er besucht jemand, der hier wohnt, hat etwas zu tun oder, näherliegend, wohnt selbst hier. Die Häuser wurden von Siedlern erbaut; es sind Ein-oder Zweifamilienhäuser.Für das Gebiet besteht ein Ver-bauungsplan, doch als der Mann baute, bestand dieser noch nicht; deshalb konnte der Mann nach seinem Plan bauen. Er baute ein flaches, ebenerdiges
Warum läßt Gott das zu? Ich denke die Frage, sage sie laut vor mich hin, ein-zweimal oder öfter, die Frage reizt mich, sie laut auszusprechen und zu wiederholen, wie den Frevler, der, wenn er einmal zu freveln begonnen hat, nicht mehr aufhören kann. Ich gehe die Kirchturmstiegen hinab, bleibe hin und wieder auf einem Absatz stehen, um zu lauschen oder an einer der wenigen Turmluken zwischen den Jalousien hinauszuspähen, gehe weiter, eine Hand am Holzgeländer, und vermeide die laut knarrenden Stufen; eigentlich knarrt jede Stiege, doch nicht gleich stark, und die laut knarrenden Stufen
Franz Rieger, Sieger im Wettbewerb für christliche Literatur, Sparte Roman, ist kein Unbekannter. Sein literarisches Werk umfaßt Romane, Erzählungen und Hörspiele. Mehrere Förderungspreise würdigten seine Arbeit.Rieger ist am 23. Jänner 1923 als Sohn eines Lehrers in Riedau, Oberösterreich, geboren, besuchte das Gymnasium in Linz und Passau, leistete ab 1941 Arbeitsdienst, war ab 1942 Soldat in Rußland, Kroatien und Italien, wo er 1944 in Kriegsgefangenschaft geriet. 1944 - 1946 lebte er als Kriegsgefangener in Amerika und England. Seit 1955 arbeitete er bei den Büchereien der Stadt