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Die häßliche Mia

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Ich erschrak, lachte und verstand die anderen, die über Mia lach- ten; sie war häßlich, und ich dachte über ihre Häßlichkeit nach. Diese bestand in nichts anderem als in der Form ihres Gesichts: eiförmig, die Augen vorstehend, groß, der Blick scheu, darin etwas Anziehendes, das die anderen nicht sahen, und eine Nase, wie sie Frauen auf alten Bil- dern haben. Mia war Waise und kam zu ihrer Tante, die im Dorf eine kleine Wäscherei betrieb. Mia sprach anders als wir, die Laute saßen ihr tief in der Kehle.

Sie trug die frischgewaschene Wäsche aus. Bevor sie gekommen war, hatten wir die Wäsche ausge- tragen. Sie hielt sich nirgends lange auf, lief immer, und wir stellten uns ihr in den Weg, wenn wir ihr begeg- neten. Deshalb mied sie uns, ent- schlüpfte oder sah uns, ehe wir sie sahen; doch nicht immer entschlüpf- te sie uns. Eine Ratte sei sie, sagte einer. Wir lachten und schwiegen. Mia blieb fremd, fremder als die Zigeunermädchen, die im Wagen in das Dorf kamen.

Als wir herausfanden, daß auch die Tante sie nicht beschützte, fiel sie uns zum Opfer. Sie war häßlich und allein, verachtete uns, war stolz, und wir wußten nicht worauf, lach- ten und spotteten, und Mia blieb immer dieselbe, und weil sie sich nicht veränderte, taten wir es; ein- mal damit begonnen, mußten wir damit fortfahren.

Vom Spiel zurückkommend sa- hen wir Mia mit einem Bündel fri- scher Wäsche unter dem Arm und hielten sie an. Der ihr den Namen Ratte gegeben hatte, sagte Ratte zu ihr. Sie sah ihn verwundert an. Keiner lachte. Wieviel sie für das Austragen bekomme, fuhr derjeni- ge fort. Mia sagte nichts, ihr Schwei- gen wirkte nicht verlegen sondern lähmend, jeder spürte Angst und Verlegenheit, vor dem kleinen Mädchen die Waffen zu strecken. Über die Situation zu ihrem Scha- den hinwegzukommen war keinem klar außer dem, der Ratte zu ihr gesagt hatte und ihr nun die saube- re Wäsche aus dem Arm schlug. Wir gingen, und als er es merkte, folgte er. Ich sah zurück und blieb stehen. Mia hob die Wäsche auf. Ich solle weitergehen, sagten die anderen. Du Feigling, du Schuft, sagte ich dem ins Gesicht, der es getan hatte, doch nicht laut, dazu war ich zu feige. Eine Frau half Mia die Wäschestük- ke einsammeln.

Mia hatte uns nicht verklagt, das tat die Frau, die ihr geholfen hatte. Der Lehrer rief uns, Mia stand neben ihm, der Lehrer sprach, Mia sagte kein Wort, und es sah aus, als seien wir mit Mia gegen den Lehrer ver- schworen. Derjenige, der ihr die Wä- sche aus dem Arm geschlagen hatte, nahm die Schuld auf sich, wurde bestraft, doch es kümmerte ihn nicht. Er sonderte sich von uns ab. Das habe ihn stolz gemacht, sagten wir und merkten etwas Heroisches und zugleich Lächerliches an seinem Verhalten. Man gab ihm den Namen Rattenfänger.

Nur schöne Mädchen galten et- was, deshalb sagten wir zu ihm er werde Mia heiraten, dann würden wir für sein und Mias Geschäft um ein paar Groschen die Wäsche aus- tragen. Und von Mia sagten wir, sie fühle sich stark. Sie vermehrte in uns den Haß, auch weil wir an sie ei- nen starken Freund verloren hat- ten. Mia beschäftigte mich. Sie war eine Hexe, und sie war in mir, bei jeder Gelegenheit dachte ich an sie, auch ehe ich einschlief. Nachts wach- te ich auf, sah sie vor mir, und sie war nicht häßlich, ich stand auf, hörte einen Hund bellen und sah im Fenster die Sterne über den Baum- kronen.

Ich suchte Mia auf der Straße, auf dem Weg zur Schule, in den Pausen war ich in ihrer Nähe. Die anderen Mädchen mieden sie, sie hatte sich nicht verändert, ihr Wesen kam aus den Nächten, in denen ich wach lag und an sie dachte.

Der andere, den wir Rattenfänger nannten, war ihr Freund, das stand ' für mich fest. War er in ihrer Nähe? Nein - und doch, er ging an ihr vorbei, sah ihr in die Augen. Be- stimmt hatten sie geheime Zeichen. Ich sah nichts, und doch war ich froh, daß ich es wußte. Es war mein Geheimnis, es war Mias Geheimnis, und sie beachtete nur den anderen, von meiner Neigung hatte sie keine Ahnung. Sie war nicht häßlich, hatte nur ein Geheimnis, das sie hütete und sie zu dem machte, was sie war.

Die Schulpause ging zu Ende, alle drängten wir zum Tor, das sehr schmal war. Ich befand mich hinter Mia, war ihr ganz nahe, glaubte ihr Haar zu riechen. Ihr Freund befand sich hinter mir. Man lachte und redete, ich sprach kein Wort, spürte die Feindschaft von Mias Freund. Sie redete mit einem Mädchen. Plötzlich kam eine Hand an meinem Gesicht vorbei und zog Mia an ei- nem Zopf. Sie wandte sich nicht um. Wieder kam die Hand. Mia schien vorbereitet, ihr Kopf gab nicht nach. Jetzt wandte ich mich um; ich weiß nicht, was mein Gesicht aus- drückte, ihr Freund und ich sahen uns an, aber es war kein Haß in seinem Blick. Dann sah ich den an, der Mia am Zopf gezogen hatte und nannte ihn laut und deutlich einen Trottel.

Einzelne Stimmen in der Nähe verstummten, wir gelangten durchs Tor, wurden aneinander gedrückt, ich spürte Mias Körper und eine leise Zärtlichkeit. Eine Hand pack- te mich am Rockkragen. Ich blickte mich um; es war nicht Mias Freund, ich war enttäuscht und zornig, daß es der war, den ich einen Trottel genannt hatte. Da blieb ich stehen, hielt den Nachdrängenden stand, die hinter Mia zusammenschlugen, und dann umfaßten wir uns, er, der Mia am Zopf gezogen hatte und ich. Sofort wurde ein Platz um uns frei. Ich schlug ihn mit den Fäusten, er mich in den Magen, ich fiel auf ihn, stöhnte und wollte ihn zu Boden reißen, und als der Schmerz nach- ließ, bekam ich seinen Kopf in die Achselhöhle und preßte den Arm dagegen. Er gab mir einen Tritt aufs Schienbein, ich fiel auf ihn und nahm ihn mit. Ich hörte die Stimme, be- achtete sie nicht, spürte erst die Hand, die mich von dem unter mir Liegenden wegriß und sah ins Ge- sicht von Mias Freund. Ruhig stand ich auf, doch im nächsten Augen- blick kam erneut mein Zorn, und ich fiel über Mias Freund her, was es ihn angehe, es sei meine Sache.

Der Flur leerte sich, ich war müde, und er war stärker. Vielleicht woll- te er mich nur abschütteln, doch der Schlag traf mich ins Gesicht. Ich sah nichts mehr, hatte aber ganz klar den Gedanken, daß nur ich Mia liebte, ich allein, und bereit sei, al- les für sie zu opfern. Liebe, wußte ich, sei die Selbstentäußerung.

Eines Tages kam ein alter Mann, der ging mit Mia bis zur Schule und holte sie ab. Man sagte, er sei ihr Großvater. Wir hielten uns mißtrau- isch zurück, doch dann war Mia weg und kam nicht wieder. Er habe sie abgeholt, sagte man. Ich war traurig, zeigte es nicht, überlegte aber, wo der Sinn liege, etwas zu haben und zu verlieren.

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