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Das Exempel gegen Cjott

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Ich saß mit einem Mann am Abend in der Küche beisammen, die Kinder waren schlafen gegangen und die Frau war über ihren Strümpfen eingenickt. Und dann kam die Rede unfehlbar auf das, worauf sie überall nach einer Weile Erzählens kommt, auf den Krieg und was der einzelne erlebt hat.

„Ich bin nicht gegen die Religion, ganz im Gegenteil, ich sehe ihre Notwendigkeit in, aber es geht mir nicht zusammen, manches versteh ich einfach nicht. Ich habe auch schon öfter darüber mit gläubigen Menschen gesprochen und keiner konnte es mir befriedigend erklären.“ Er machte eine Pause und sah mich an. „Sie wissen, das Leid und das Böse verträgt sich nicht mit Gott...“

„Also erzählen Sie Ihr Exempel, ich weiß, jeder von euch hat so eines parat.“

„Mein Exempel gegen Gott schaut so aus. Ich war beim technischen Personal eines Flugplatzes in der Nähe von München, Radar war mein Fach. Wir waren nur halbe Soldaten, dem Kleid, der Ausbildung und der Ausrüstung nach. Damals waren die furchtbaren Fliegerangriffe auf die Stadt. Wenn es losging, sprangen wir in einen ungedeckten Splittergraben, der uns wohl von der Seite, aber nicht von oben her schützte. Aber das Konzert konnten wir von A bis Z verfolgen. Mit einem merkwürdigen Geräusch ging es damals an. Es lag eine schwache Nebeldecke auf der Erde, die uns die Sicht nahm. Mit einem noch nie gehörten Gedröhn und Sausen, das immer stärker wurde, kam eine Maschine auf uns nieder. Wir warfen uns zitternd auf die Erde und keiner zweifelte daran, daß das Ungetüm gerade über uns landen würde. Es dauerte so lange und das Sausen wurde immer ärger, daß ich es nicht mehr aushielt und nach oben schaute. Plötzlich sah ich, wie aus dem Nebel der vordere Teil eines riesigen Bombers mit der Spitze nach unten herabkam. Der hintere Teil war weggeschossen oder abgebrochen, die Motoren liefen, da sie leer gingen, auf wahnsinnigen Touren, davon das schreckliche Sausen. Ich sah, daß wir außer Gefahr waren. Ein dumpfer Aufprall und das Sausen war vorbei. Die Flieger waren inzwischen abgefahren, die Flak hatte zu schießen aufgehört, wir eprangen aus dem Graben und sahen die Flaksoldaten anschwärmen. Nun sagte einer von uns: ,Die machen heute wieder reiche Beute.“

Damals flogen nämlich meist Kanadier ein, die herrliche Sachen in großen Säcken mitschleppten: Schokolade, Bonbons, wunderbare Konserven und vor allem kleine, von uns sehr begehrte Pistolen. Auf diese Säcke waren sie heiß und wir auch. Nur durften wir nicht nach Fallschirmspringern ausgehen und waren es ihnen neidig.

Sagt ein Kamerad: ,Wer geht mit, Schatz suchen?'

Mich juckte es und ich ging mit ihm.

Wir hängten uns die Karabiner um und zogen los. Wie gesagt, wehe uns, wenn sie uns erwischt hätten, es war strenq verboten.

Wir gingen in der Richtung, wo der Bomber niedergegangen war. Der Nebel hob sich, es war nicht ganz dunkel, man konnte die Umrisse der Dinge ausnehmen. Vom Himmel sah ich etliche Fallschirmspringer herabbaumeln. Wir stolperten durch einen schütteren Wald. Plötzlich sehe ich etwas vor mir am Boden, der Kamerad ging in einer Entfernung, sollte es der begehrte Sack sein? Ich laufe darauf hin und sehe einen Menschenkopf aufrecht auf einem Bündel Fleisch stehen: ein Abgestürzter. Es war so grauenhaft, daß ich davonlief.

Da rief mein Kollege, ich solle achtgeben, ein Kanadier käme auf uns zu. Nun müssen Sie wissen, daß die kanadischen Flieger alle Riesenkerle waren. So einer kam auf uns zu. Wir suchten Deckung, da sahen wir, daß er von einem Flaksoldaten abgeführt wurde. Wir waren der Abschußstelle ganz nahe. Da rief mich der Kamerad zu sich. Vor uns lag so ein riesiger Kanadier auf dem Boden, er war.flach aufgefallen und tot. Der Anblick war fürchterlich, denn durch den Aufprall erschien er größer und breiter, wie wenn er auseinandergeronnen wäre.

Mir war längst alle Beutelust vergangen, der Teufelswald machte mich fertig.

Wie zur Strafe griffen uns jetzt die Flaksoldaten auf, die mit dem Wagen im Gelände umherfuhren auf der Suche nach Kanadiern. Wir mußten Hand anlegen. Eine Leiche hatte sich in einem Baum verfangen und war zerrissen worden, wir mußten sie herunterholen. Die Flakmänner hatten Särge bei sich, die aber für die Kanadier zu klein waren. Wir legten eine Leiche in die Kiste und waren ratlos, weil die Füße vom Schienbein an herausragten.

.Wißt ihr euch nicht zu helfen', schrie ein Obergefreiter, .brecht die Füße ab und legt sie daneben.'

Wir taten es, aber das gab mir den Rest.

Als sie den Sarg aufgeladen hatten, stahl ich mich abseits, mir war zum Sterben übel. Ich hatte vielleicht nicht an Gott gedacht in jener verfluchten Nacht, aber der Tote hatte um den Hals an einer Kette eine goldene Schutzengelmedaille getragen.

Aber das ist noch nicht alles. Als ich zurückkam, wurden wir verladen und in die Stadt zu Bergungsarbeiten geführt. Ich will es kurz machen. Wir gruben einen Luftschutzkeller aus, in dem noch Leute waren. Ich selber stieß auf die Leiche einer jungen Mutter, der ein Balken die Brust durchstoßen hatte, unter ihr das Kind, ein Säugling, lebte wie durch ein Wunder, die Mutter war tot. Wie sie ausgesehen hat, will ich Ihnen ersparen.

Aller guten Dingen sind drei, der bösen auch.

Am nächsten Tag landete ein Flugzeug mit Urlaubern, das heißt sie umkreisten bereits den Flugplatz und ließen das Fahrgestell heraus. Da erfuhren sie durch Funkspruch, daß sie auf dem unrichtigen Flugplatz niedergegangen waren, ihre Station lag auf der anderen Seite der Stadt. Da ließ der Führer das Flugzeug hochgehen, doch der rechte Motor setzte aus und sie schmierten ab, wie man sich damals ausdrückte. Alle waren tot. Den Urlaubschein hatte jeder in der Tasche.

Damals habe ich begonnen nachzudenken, ich habe alles offensichtlich sinnlose Unglück zusammengezählt, Fall für Fall, und daraus hat sich mir eine schreckliche Anklageschrift gegen die Güte und Gerechtigkeit Gottes geformt, die meinen Glauben getötet hat.

Ich frage Sie nicht, was Sie dazu sagen. Sie können auch keine klare Antwort wissen, Sie und andere glauben trotzdem, das verstehe ich, aber ich kann nicht/

Wir schwiegen eine Weile.

Ich überlegte. Seine Seele hatte ein Trauma erhalten, eine Wunde, die Bilder, die den Schock ausgelöst hatten und die ihn jetzt noch quälten, konnten mit rationalen Gründen nicht gebannt werden. Sie mußten durch ein anderes, stärkeres Bild überdeckt und geheilt werden. Da erinnerte ich mich, daß ich — es war Zeit der Osterbeichte — eine Menge Beichtbilder bei mir trug. Ich nahm sie heraus und blätterte drin. Das Antlitz des gekreuzigten Heilands von Dürer nahm ich heraus und reichte es ihm.

„Wollen Sie es nehmen und bei sich tragen, wie jene Männer den Urlaub-schein. Manchmal, wenn die andern Bil'dr sie bedrängen und nach einer Antwort schreien, dann nehmen Sie es in die Hand und betrachten es. Es werden Ihnen neue Gedanken und neue Einsichten kommen, vielleicht nicht gleich, sondern später.

Dieses Antlitz ist die einzige und große Antwort, die wir haben. Sie werden noch drauf kommen, sie genügt.“

Ich war aufgestanden und hatte den Stuhl gerückt. Da erwachte die Frau über ihren Strümpfen.

.Es ist spät und Zeit zum Schlafengehen“, sagte ich, reichte beiden die Hand und ging. Ich hatte gesehen, wie er das Bild schnell in die Brusttasche steckte, damit es die Frau nicht sah.

Damit ist das Samenkorn in sein Herz gesät, und ein anderer mag zusehen, daß es aufgeht.

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