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In diesen Tagen vor neun Jahren…

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12. Februar 1945.

Es war ein Dienstag. Ein Wintertag ohne Schnee, mit trockenem Pflaster und verhangenem Himmel. Dresden fühlte sich sicher. Nur wenige Bomben waren bis dahin über dem Stadtgebiet ausgeklirikt worden. Man erzählte sich, Stalin habe Dresden als „späteren Zentralsitz für die Regierung einer deutschen Sowjetrepublik“ vornotiert. Man sprach von einem nahen Verwandten Churchills, der als Gefangener in Dresden saß. Mari stellte tausenderlei Kombinationen auf, glaubte daran, daß die Stadt verschont bleiben würde — und war auf nichts gefaßt.

Damals, im Februar 1945, ging ich auf Krücken. Mein Lazarett hatte mir Studienurlaub gegeben. Man konnte an meinem zersplitterten Oberschenkelknochen nicht operieren. Es mußte abgewartet werden, bis das Gewebe um die Bruchstelle wieder genügend durchblutet sein würde. Ich lernte inzwischen an eirier Dolmetscherschule in der Dresdner Moritzsträße Französisch, hauste in eirier Untermieterbude im bayrischen Viertel, hätte in der Stadt meine Schwester, noch ein paar gute Freunde urid fühlte mich wohl.

Am Vormittag dės 12. Februar traf ich einen alten Schulfreund. Ich mußte ihn grüßen. Fr war Leutnant, ich nur Unteroffizier, Wir sprächen von zu Hause, von guten Bekannten und verabredeten uns für den gleichen Abend um halb zehn irii „Bristol“.

Mein älter Schulfreund war pünktlich. Ės war knapp nach halb zehn, als wir in eirier Ecke des Teeräums beschlossen, einer Flasche Wein den Hals zu brechen. Es gab soviel zu erzählen.

Plötzlich — es war Zehn Minuten vor 22 Uhr — karri ein Lüftwaffemajor in den Raurri: vMeine Damen und Herren, Anflug stärker Bomberverbände auf EJresden. Mög licherweise gilt es Prag. Dennoch, bitte, machen Sie sich fertig, es kann jeden Augenblick losgehen…"

Es vergingen keine zwei Minuten mehr, da hörte man das grelle Aufjaulen der Sirenen. Mein Freund •wollte in die Katakomben am Elbeufer und lief los. Ich blieb im „Bristol“. Bis zu den Katakomben mit- zuhurnpeln, war unmöglich. Fünf Minuten vor 22 Uhr waren die Flugzeuge über der Stadt. Die ersten Bomben fielen. In den Luftschächten des „Bristol“-Kellers brachen sich die heulenden Geräusche. Minuten später stand ein großer Teil der Dresdner Innenstadt in Flammen.

Im Rotkreuz-Keller, in dem auch ich als Verwundeter sitzen durfte, kam es zu entsetzlichen Szenen. Frauen weinten. Die Kinder wüßten nicht, was geschah. Ein alter, ungarischer General stand kreidebleich an einer Seitenwand des Raumes und hielt sich die Hand vor die Augen. Niemand wußte, ob es ein kornbinierter Angriff mit Spreng- ünd Brandbomben war, ob nür ein kleinerer Teil verband über Dresden war oder eine ganze Bomberarmee.

Ich glaube, ich wär der erste, der die gelbgrünen Braridgäse durch den Kellergang zienen sah. Kein Zweifel, das Hotel brannte, die Gase wurden nach unten gedrückt, schoben sich durch die Kellergänge und suchten weiteren Raüm. Ich sah den ungarischen General an und wußte augenblicklich, daß er dasselbe dachte wie ich: Heraus aus dem Loch, bevor es zu spät ist.

Wir versuchten, die Aussteigluke zu öffnen. Der Griff des Drehriegels ließ sich bewegen — der Riegel selbst war eingerostet.

„Nehmen Sie die Kinder“, schrie ich die Frauen an, „halteri Sie sie dicht an Ihre Körper, lassen Sie Ihr ganzes Zeug hier und kriechen Sie mir nach!“ Wir stießen die Türe zum Kellergang auf. Es war höchste Zeit. Dicke Gasschwaden schlichen durch das Gewölbe.

Ich kroch durch den Kellergarig. Zentimeter für Zentiriieter. Ohne Krücken, ich mußte sie zurücklassen. Nach acht, zehn Metern etwa fühlte ich, daß die Hand der mir hinterherkriechenden Frau losließ …

• Sekunden später sah ich links von mir einen lichterloh brennenden Küchenraum. Auš Wandschränken schössen Flammen heraus. Knacken und Aufspringen von Gläsern. Explosionen. Dazwischen dieses widerliche Zischen. Ueberall die grünen Gase, die mir fast den Atem nahmen. Endlich — ich erkannte, wohin die Gase abzogen. Waren es noch vier, waren es noch vierzig Meter? Ich sah einen mächtigen dunklen Schatten vor mir. Eine Torausfahrt. Eine halbe Minute später lag ich auf dem Gehsteig der Sidonienstraße. Rechts und links zersplittertes Glas. Wie Lava kochende Asphaltstreifen. Ueber mir, auf dieser und der anderen Straßenseite, ein einziges Meer von Flammen.

Als dicht neben mir ein schwerer Holzbalken aufschlug, war mir klar: ich mußte unbedingt auf die andere Seite der Straße. Das kranke Bein war wie gelähmt, ohne jedes Gefühl. Ich nahm zwei kleine Steinquadern in die Hände und kroch wie ein Tier weiter. Meter für Meter.

Es gelang. Drüben war es nicht so schlimm. Das Haus an dieser Front brannte erst in den oberen Stockwerken. War es eine Täuschung, war es ein unwahrscheinlicher Zufall? Fünfzig, sechzig Meter von mir entfernt sah ich einen Sanitätswagen, einen Kübelwagen, mit dem großen roten Kreuz stehen. Ich rief, ich schrie, ich brüllte' mit aller Kraft, die ich noch hatte — und ein Mann kam auf mich zu, zerrte mich hoch und schleppte mich bis an das Fahrzeug.

Dort an der Ecke lag ich eine halbe Stunde auf Steinen. Dann kam der Wagen, der mit Verletzten fortgefahren war, wieder zurück. Er brachte mir Krücken mit. Funkelnagelneue Krücken. Woher, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich die Krücken nahm, aufstand, probierte, ob es ohne Hilfe ging, und losmarschierte, besser gesagt, loswankte. Nach Hause.

Am Bahnhof lagen verbrannte Vtenschen, daneben verkohlte Postsäcke. Auf der breiten Straße, die zum Nürnberger Platz hochführt, sah ich in einer Toreinfahrt einen Braunbären, der aus dem Zoo ausgebrochen sein mußte. Ueber die Fahrbahnen, die von Splittern und verbranntem rfausrat übersät waren, Letzten Menschen. Mit Kinderwagen, Handkarren, Koffern auf Trittrollern und Fahrradanhängern. Ein Anblick der furchtbarsten elementaren Not. Ich selbst mitten drin, kaum qoeh so stark, daß ich mich auf den Beinen halten konnte. Ich dachte an meine Schwester, die in einem Mädcheninternat in der Liebigstraße war.

Zehn Minuten später sah ich meine Schwester wieder. Alles, was sie besessen hatte, war in dem Pensionat verbrannt. Das Haus existierte nicht mehr, es war nur noch ein einziger Schutthaufen.

Ich sagte zu meiner Schwester: „Sobald du wieder die Sirenen hörst, läufst du sofort zu mir. Wir versuchen dann, rechtzeitig auf freies Gelände am Stadtrand zu kommen.“

Das Haus in der Bienertstraße, wo ich wohnte, stand. Die Fenster waren zersplittert, sonst war nichts passiert. Ich zog mich am Treppengeländer hoch, ging in mein Zimmer, fegte die Glassplitter von der Bettdecke, packte die wertvollste Habe zusammen, wickelte die Bandage vom verwundeten Bein und legte mich, angezogen wie ich war, über das Bett.

Halb im Wachen, halb im Schlafen hörte ich die Sirenen. Die Sirenen! Das hieß, jetzt kommen die Sprengbomben.

Augenblicklich war ich auf. Nahm eine Zehnerpackung R 6, den Koffer mit defn Wichtigsten und ging hinunter in den Keller.

Meine Schwester kam dicht.

Erste Bombeneinschläge in den nordwestlichen Vororten. Ein mächtiges Brausen kam auf die Stadt zu.

Im Luftschutzkeller des Hauses in der Bienertstraße standen siebzehn Menschen dicht an dicht. Eine Sprengbombe, die auf dem Nachbargrundstück einschlug, riß die massive Eisentür aus den Angeln. Augenblicklich jagte ein ungeheurer Windsog durch den Keller. Ich humpelte in den Garten, legte mich dicht an eine Mauer und grub mich ein. Dort fühlte ich mich sicherer.

55 Minuten lang kreisten die Bomberverbände über Dresden. Wie ein bewegliches Sternenmeer zirkulierte die Armee der fliegenden Festungen über der Stadt. Keine Flakabwehr, keine Geräusche von Feuerstößen deutscher Nachtjäger, nichts von dem.

Nur die qualvolle Frage, ob man den Morgen noch erleben würde.

Das Haus iii der Bienertstraße blieb stehen. Niemand war verletzt. Gegen zwei Uhr früh kam meine Schwester. Auch sie hatte im Garten gelegen, auf einem zerwühlten Quadratmeter Blumenbeet heben dem abgebrannten Pensioną):. Sie war gesund.

Dresden war in diesen Stunden Schutt und Asche, Trümmerwirrwarr und nur noch Gerippe ohne Seele. Die Menschen, die der Tod verschont hatte, flüchteten zu Tausenden aus der Stadt.

Als am Vormittag, gegen 11 Uhr, der dritte Angriff kam, lagen meine Schwester und ich in einem Erdloch auf freiem Feld, lieber uns wurden die Bomben ausgeklinkt. Die Flugzeuge waren so tief, dal? man jede geringste Einzelheit außenbords erkennen konnte. Wieder schlugen Spreng- und Brandbomben in die Stadt.

Die Bomberverbände flogen ein Kreuz. Zuerst direkt über die Stadt, nach einer großen Rechtskurve wieder neuer Änflug, Ueberfliegen Dresdens mit den letzten Bombenabwürfen, Abflug im gleichen Kurs.

Von einem Hinterhof in der Bienertstraße hatte ich einen klapprigen Kinderwagen gestohlen. Auf ihm führten meine Schwester und ich unsere ganze Habe über die Landstraße. Unterwegs, auf dem Weg zum nächsten Ort mit einem Bahnhof, aßen wir trockenes Brot und kleine, halbvertrocknete Aepfel, die uns ein Autofahrer geschenkt hatte.

Wir marschierten zehn, zwölf Kilometer weit, blieben in einem überfüllten Gasthaus zur Nacht und fuhren am nächsten Morgen mit einem Zug nach Westen.

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