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Das goldene Volk

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(Schluß)

Noch fielen schwere Tropfen von den Zweigen der Bäume ab und zu ins Gras. Die Fliederbäumchen rochen betäubend schwer, as hatte ich bisher von meinem Wandern gehabt? Was wollten alle sonnenhellen Tage mit ihrer Unruhe auf der Landstraße? Hier mochte sichs gut leben, das Tal war still, ich hatte endlich etwas zu bewahren, und was ich hier beginnen sollte, das müßte ich zu Ende bringen. Vielleicht sind hier alle Abende so gut wie dieser!

Da saß der alte Gärtner und war mit seinem hellen Blick und weißem Haar wie Gottvater selbst. Er hatte gefragt und nun wartete er ruhig und ich sollte entscheiden. Da wollte es mich fast schwerer dünken, fortzugehen, weiter zu wandern, es lockte mich, zu sagen: hier will ich bleiben und . nimmer weiterziehn. Der Alte wartete still und ohne Unruhe. Da hielt ich ihm die Hand hin, er faßte sie, erhob sich sacht und wir gingen durch den schwülen Garten zum Hause hin. Er rief nach der Tochter, und wir wurden beide rot, als wir uns die Hände reichten. Sie war ein Kind von fünfzehn Jahren, dunkel und süß wie Amselsang.

Sie hatten mir Abendbrot gegeben und Kaffee und Wein dazugestellt. Dann führte mich der Alte die Treppe in eine kleine Stube hinauf. Die war eng und es war drückend heiß drinnen. Das kurze Bett nahm fast den halben Raum ein; daneben stand ein Tisch, ein alter Stuhl dabei, an der schrägen Wand hing ein blinder Spiegel.

Ich stellte mich ans kleine Fenster, das von leuchtenden Blumen fast ausgefüllt war. Hoch konnte man von hier aus auf den Garten hinabsehen. Zum Greifen nahe standen die Kronen der Bäume davor. Dahinter ragten Pappeln um einen Teich, in dem viel nackte Kinder, Knaben und Mädchen, badeten. Wie goldene Fische schimmerten ihre Leiber im dunklen Weiher. In den Büschen am Ufer tanzten andere Kinder Reigen, obgleich es schon später Abend war.

Die Nacht wurde warm. Die niederen Wolken lagen als Decke über dem TaL Die Wälder waren hochgestiegen. Gleich einem schwarzen Vogel kam die Dunkelheit von den Hängen herab. Und wie verkohlte Fackeln standen die Pappeln um das stille Wasser drüben.

Es klopfte leise und das Mädchen kam herein. Es bat, noch etwas ordnen zu dürfen, und fragte, ob ich etwas brauche. Ich stand verlegen und wußte nichts zu sagen. Und während sie mit leisen Händen Ordnung machte, ging ich mit kurzem Gruß aus der Stube, ich wollte später wiederkommen. Den Ranzen nahm ich verstohlen mit; ich schämte mich, so unersättlich zu sein, den Mundvorrat mitzunehmen, um draußen noch eine Mahlzeit zu halten.

Gleich hinter dem Zaune stieg hangauf ein Steig, von Brennesseln und Unkräutern fast überwuchert. Ich folgte ihm und kam. ich wußte selbst nicht wie, zu jenen Kastanien hinauf, von denen aus ich das Tal am Nachmittag zum erstenmal erblickt batte. Hier, unter den dunklen, leise schaudernden Bäumen, im kühlen, nassen Grase sitzend, aß ich und nachher legte ich mich um und sah zum Himmel hinauf. Und so, wie ich das Licht verlöschen sah, so löschte in mir die Müdigkeit Mut und Gedanken aus und ich entschlief.

Da träumte ich, ich sei schon viele lange Jahre in dem Tal und sitze in dem schönen Garten. Es war ein stiller, schwüler Nachmittag und ich, ein alter Mann, ruhe auf der Bank vorm Hause aus wie einst der alte Gärtner. Und neben mir, die alte, stille Frau, war jenes junge Mädchen, die Tochter des Hauses, in dem sie geboren worden. Wir saßen und sahen zu, wie dis Licht an den Hängen des Tales verlosch und alles war ruhig in uns und ringsum, nur der Bach rauschte unten.

Da trat ein junger Gesell durch die Gartenpforte und als er näher kam, sah ich, daß es Hannes war, mein Kamerad, der in meiner Jugend mit mir gewandert war. Und erst jetzt sah ich, daß er doch nicht mehr so jung war, denn die Bartstoppeln standen ihm grau ums Kinn. Aber er hatte junge Augen, lachte und hielt mir die Hand hin.

Wir- begrüßten uns stürmisch und hatten unsre kindische Freude aneinander. Meine Frau lief und holte gute Dinge aus dem Schrank und roten Wein, und dann saßen wir den schwülen Abend lang und erzählten und erzählten. Und Hannes wußte endlos viel zu berichten von Landstraßen, Feldrainen und Schenken, Städten und Mädchen, Kuhställen und Scheunen, Tanzdielen und berauschten Abenden, frierenden hellen Morgen und verwehten Winternächten, von dunklen Bodenkammern und Straßengräben. Er war noch der alte Schalk, der mächtig lügen und tief rühren konnte, wenn er seine Schwänke und Schnurren, Gendarmen- und Abenteurergeschichten zum besten gab. Und je länger er erzählte, um so seltsamer wurde mir und als er einen Augenblick schwieg und nach seinem Glase griff, da sagte ich, mehr zu mir als zu ihm:

,3s könnt’ mir fast leid tun, Hannes, Haß ich einmal müde geworden und hier im Tal geblieben bin. Jetzt, da ich dir zuhöre, könnt’ es mir fast leid tun!”

Er lächelte:

„Hast vieles hier gehabt, was ich draußen niemals haben konnte! Immer wird es solche geben, die müssen wandern und suchen und finden kein Zuhause, und immer müssen solche sein, die etwas in Treue zu Ende bringen und etwas zu bewahren haben und zu erhalten, wie du hier deinen Garten.”

Und nach einer kleinen Weile setzte er noch leise hinzu:

„Es muß jeder spüren, zu welchen er gehören will und der Herrgott fragt immer nur einmal.”

„Hannes”, fragte ich beklommen, „habe ich nicht auch zu dir und deinesgleichen gehört, Hannes?”

Aber er schwieg schon wieder, schalkhaft lächelnd zog er seine Mundharmonika aus dem Ranzel, spielte darauf und sang. Es war ein kleines, wehmütiges Lied, doch lustig gesungen, dasselbe, das die nackten Kinder am Weiher oben sangen, wenn sie Reigen tanzten. Der Abend war warm und die Luft stand regungslos über dem Tal. Und das alles weckte etwas auf in mir, ich wußte es kaum zu nennen. So alt war ich geworden, während Hannes auf den Landstraßen umhergezogen und jung geblieben war, sonnenhelle Morgen und schneetrübe Nachmittage gehabt, Mädchen geneckt und Samstag abends Blumen ins Hutband gesteckt hatte. Das alles tat plötzlich sehr weh, und ich hätte weinen mögen, ohne eigentlich zu wissen, warum. Vor mir aber saß wieder de? alte, weißhaarige Gärtner auf der Bank und jetzt wußte ich, daß es der Herrgott selber war. Seine großen, hellen Augen sahen midi ruhig und unverwandt an. Ich wußte, er wartete auf eine Antwort. Ich jedoch hatte ein kleines, rundes Ding in den Händen, das drehte ich hin und her und zeigte es dem lieben Gott und sagte ihm, daß sei mein Leben gewesen und daß ich es wohl größer gedacht hatte, doch es wäre eben so geworden, weil ich es wenigstens zu Ende gebracht habe. Doch derweil ich das noch stammelte, wurden die unbestechlichen Augen des lieben Gottes strahlend hell und übergroß, daß midi ein frierendes Grauen ankam vor den riesigen Augen über mir; ich sah kein Gesicht mehr, ich sah nur die Augen und — wachte auf.

Da war es früh am Morgen und fröstelnd kalt und dichter Nebel ringsum. Ich stand aus dem triefenden Grase auf und hustete mir den Schleim aus dem Halse. Aus den Kastanienkronen über mir tropfte der Tau.

Ein Pfad lief zwischen Unkraut und verwachsenen Hecken hin, dem ging ich nah, bis ih auf eine Straße kam. Nirgends am Wege konnte ih einen Garten oder ein Haus sehen, das Dorf schien im dicken weißen Nebel ertrunken zu sein und als ih lange gewandert war, kam ih durch einen dunklen Wald in ein freies, lichtes Tal. Da war mir, als hätte es jenes Dorf niemals gegeben.

Ende

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