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GENOVEVA

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Über der aus Steinen aufgebauten Feuerstelle hing dick berußt der Kupferkessel, in dem der Trank für das Vieh und die Milch gekocht wurden. An der Wand, auf einem Brett lagen einige Schalen und Holzschüsseln, zwischen den Balken steckten Löffeln und Messer. Es war düster, der Raum hatte kein Fenster. Wer auch hielt sich tagsüber darin auf, und wenn, so brannte das Feuer oder die Türe blieb offen. Nebenan war ein schmaler Versehlag mit den Vorräten, den Reinen für die Milch und den Geräten. Auf dem Heuboden war ihr Lager. Oft noch in späteren Jahren, wenn ein Gewitter über die Berge zog, gedachte Genoveva jenes Sommertages, da die Verwünschung wahr zu werden schien. Lustig prasselte das Feuer, den Raum mit beizendem Qualm erfüllend. S^ie stand draußen und molk die Kühe. Im Melken hielt sie inne und atmete auf, es lag eine beklemmende Schwere in der Luft. Sie sah auf zu den Höhen, die ja gelblichfahlem Schein verdämmerten. Eine heiße Luftströmung strich vorüber. Die Tiere wurden unruhig. Draußen, dort, wo das Tal liegen mochte, war es noch hell und sonnig. Sie hatte schon manches Gewitter und manchen frühen Herbststurm erlebt, noch nie empfand sie eine so bedrückende Angst wie an jenem Abend. Das Atmen wurde immer schwerer, es war, als lege sich ein unsichtbares Band eng um ihren Hals. Sie ging in die Hütte, goß die Milch in das Sdiaff und einen kleinen Teil in den Kessel. Draußen war es dunkel geworden, ganz schwarz lasteten die Wolken über dem Almboden. Nodi ferne grollte der Donner. Die Vögel pfeilten in den sdiützenden Wald. Jäh zerriß der erste Blitz das Dunkel. Wie eine teuflische Symphonie entlud sich nun das Gewitter. Im bläulichgrellen Schein der Blitze schienen die Berge nahe und drohend über der Alm zusammenzustürzen, vielfach in ihrem Echo widerhallten die Donner. Der Regen stürzte flutend aus den tiefliegenden Wolken. In wenigen Minuten vereinten sich Dutzende von Bädilein aus allen Richtungen zu einem reißenden Bach im Almboden. Mitten in der niederen, raudierfüllten, von Blitzen grell erhellten Hütte stand sie am Gebälk und bekreuzigte sich. Da schlug sie ein zündender Blitz, in dessen bläulichgrünem Licht sie den stummen Alten am Herdfeuer sitzen sah, zu Boden, und der Widerschein einer Flamme flackerte durdi die Klüfte der Balken. Die alte Lärche brannte trotz des rauschenden Gewitterregens, hochauf stellten die Flammen zum Himmel, woher sie kamen. Die dürren Äste glühten und leuchteten in die Nacht. Neue Blitze entluden ihre geballten Kraftströme in den Schoß der Erde. Noch ganz betäubt und überwältigt vom Geschehen um sie her, ganz im Banne der Sage und des Alten, stürzte sie hinaus. Ein glühender fallender Ast streifte sie, das Feuer züngelte an ihren Kleidern hoch. Er-schred, schützend hielt sie beide Hände um ihren Leib, rannte noch wenige Sdiritte und wälzte sich im nassen Gras, im Blick das grausam schöne Bild der brennenden Lärche im Dunkel. Rasch, wie es gekommen war, ging das Gewitter vorüber Der Regen Verströmte, der Wind blies in die Glut, trug den Rauch und Qualm über sie hinweg, talab. Noch war der Stamm und die selbst zu Stämmen gewordenen Äste in ihren glühenden Umrissen zu sehen, ehe er zusammenstürzte und erlosch.

Sie lag im feuchten Gras, unfähig, einen Laut über die Lippen zu bringen. Aber da kam auch schon Veit gelaufen und schloß sie in seine Arme. Und sie dankten Gott, daß die Verwünschung des Greises sich nicht an ihr erfüllte, daß er ihr Leben und die Hütte bewahrte. Und der goldene Boden war ihr seit damals, da Gott sie, die an dem Tun vergangener Geschlechter wohl schuldlos war, beschützte und ihr nahe war, noch lieber geworden. Kurz darauf gebar sie, vor der Zeit, die Zwillinge, beide trugen ein Feuermal auf ihrer Brust.

. Zwölf Jahre! Genoveva beschattete ihr Gesicht, auf dem noch der Schimmer der Jugend lag, vor der grellen, in den Schneekristallen reflektierenden Sonne und sah auf zum goldenen Boden. Vom neuen Sdvndel-dach des“Hauses taute, obwohl es erst um Maria Lichtmeß war. der Schnee. Mitten im strahlenden Tag, im Frieden und in der (trborgenheit ihres Le en.s empfand sie plötzlich im Anblick der tiefverschneiten Höhen ein dunkle, lähmende Ahnung, daß alles Frohe und Helle aus ihren Tagen jäh in die Schluchten und Abgründe versinken wird. Sie stützte sich mit dem Arm an die . die Nordseite des Hauses säumende FIolz-grede, ein Kälteschauer durchbebte sie. E$ war das ungewohnte, selten geschaute stumpfe Weiß der Berge, das sie erschauern ließ. Ihr Blick fiel auf die vom Hof aufwärts führende Spur, die die Schneereifen einprägten. Eine beängstigende Untuhe podite in ihrem Herzen. Veit! Im Frührot war er aufgestiegen, um zu sehen, ob man das Heu herabbringen konnte und um ein wenig zu jagen. Sie Wollte ihre quälenden Gedanken bezwingen, lud den Arm voll mit Holz und ging ins Haus. Aus dem finsteren kühlen Flur stieg, ausgelöst durch eine blitzartige unheimliche Vision, heftiger als zuvor die Besorgnis und Gewißheit eines Unglücks. Sie warf das Holz in die Herdgrube, rannte hinaus und schrie sinnlos, gehetzt, verwirrt seinen Namen, daß die Knaben erschrocken aus der Stube polterten und sie frugen, was denn geschehen sei. An das Holz, gelehnt, starrte sie mit angehaltenem Atem hinauf, wie leblos sanken die Arme und falteten sich die Hände. Vom Dach perlte das Schneewasser in ihre Haare, im Stall stampfte eine Kuh. Die Stille bannte die Lippen. Der alte Simonlehner humpelte über die knarrende Stiege herab, aus den Höhlen seiner busdii-gen Augen glomm, als er dem Blick der Drei folgte, das Verstehen.

Wortlos. So schauten sie entsetzt, versteinert hinauf, bis Paul sagte, wir gehen ihm nach. Doch in diesem Augenblick durchzitterte ein heulender, pfeifender Ton die Lutt, ein fremdes, beängstigendes Rauschen, eine Wolke, die gegen den Wald staubte, kam näher und wurde im Kradien, Splittern und. Stöhnen des Hochwaldes zur Hölle. Genoveva wu^de an die Holzwand gedrüdet, die Knaben und der alte Simonlehner taumelten in den offenen Flur. Dumpf schoben sidi die mit Baumstämmen, Steinen und Erde vermengten Schneemassen über die Lawinenbahn. Noch lag eine Schneewolke über dem Wald, dann war es wieder stille, friedlich und strahlend. Ein Teppidi von den gelben Nadeln der Lärchen und den kurzgeknickten Zweigen der Fichten lag auf dem Haus und auf den Feldern. Und als sich die Wolke über dem Wald auflöste, sah man, daß eine breite Flanke kahlgefegt war.

Veit! Es war kein Schrei, kein Ruf, nur ein sanft hingehauchter Name voll Zärtlichkeit und Trauer. Sie riß sich los aus der Erstarrung des Augenblicks, und schweigend gebot sie den Knaben, ihr zu folgen. Sie nahmen Schaufel und Stangen und stiegen bergan. Der alte Simonlehner kniete im Herrgottswinkel und keuchte verworrene Gebete. Die Lawine hatte die Spuren verwischt, doch sie wußten die Richtung, die Veit gegangen war. Ob sie im Schnee versanken und vor Anstrengung ermattet stehengeblieben, ob sie ungewiß des einzuschlagenden Weges waren, keines sprach ein Wort. Schon färbte die sinkende Sonne die Schneefelder blutigrot, als sie auf den goldenen Boden kamen. Da war auch die Spur der Schneereifen wieder zu sehen, sie führte in den wenigen sichtbaren Schritten in die Richtung des Abgrundes, durch den di“ Lawine ging.

Unerwartet, befremdend in der abendlichen eisigen Stille, riß ein Laut, wild, unmenschlich, die Knaben aus der erstarrenden Müdigkeit, ein Laut, der, nie verhallend, nicht von der Mutter, der liebenden, demütigen Genoveva, sondern aus de.i Tiefen eines menschlidien Wesens kam, das selbst in dieser Klage erstarb. Hingelehnt an einen Felsen, wie rastend ins Tal blickend, fand sie Veit. Zaghaft berührte sie seine Hände, seine Stirne, gewahrte den kleinen, roten Streifen, der über den Stein im Schnee sich verlor, und die erstarrte Wunde am Kopf. Sie ließ sein Haupt wieder zurückgleiten an den Stein und sah hinab auf den goldenfn Boden, aus dem sich das ausgeaperte Dach der verwehten Hütte hob. Dann wandte sie' sich zu den in ergreifender Hilflosigkeit dastehenden Knaben: „... Euer Vater ist tot. Geht schnell heim und sdiickt morgen Leute herauf...“ Sie sagte dies so ruhig, aber mit so harter, fremder Stimme, daß die Knaben sich ihrer Tränen schämten und die zufckenden Lippen zusammenpreßten. Sie faßten sich an den Händen und gingen.

Genoveva hob das Gewehr vom Boden auf und schleuderte-es in den Abgrund. Sie wollte den Toten auf ihre Arme nehmen, doch mußte sie erst seine mit dem Stein vereisten Kleider lösen. Über den verharschten Schnee trug sie ihn hinab zur Hütte. Sie ging aufrecht, ohne zu fallen, und bettete ihn ins Heu. Rasch kam die Nacht. In den Taschen des Toten suchte sie nach Feuer. Etwas abseits der Hütte auf einer sdinee-freien Stelle schichtete sie Heu und- die Bretter, mit denen die Öffnung verschlossen wurde, auf. Sie wärmte sich an der Glut.

Alle ihre Bewegungen waren von unheimlicher Ruhe und Bestimmtheit. Dann ging sie wieder zurück zum Toten.

„Zwölf Jahre . ..“, sagte sie laut und hart, „... zwölf gute Jahre mit einem guten Menschen. Nein, nicht zwölf, es ist das dreizehnte. Weißt du wohl, Veit, vor dreizehn Jahren, beim Martel, im Heu, begannen wir unseren gemeinsamen Weg, im Heu, im eigenen, nimmer im fremden, endet er und ich bin bei dir. Dein Totenteuer wärmt mich. Dreizehn Jahre, das war mein Leben. Es wird kalt. Ich wußte um deinen Tod, sah didi, wie du von der Hütte weg hang-auf gingst, wo dich eine Schar Schneehühner lockre, sah, wie der Luftdruck der Lawine dich gegen den Felsen warf und ich schaute, daheim im dunklen Flur, dich, wie du nun daliegst, tot. Idi sah dies alles, weil idi dich liebte, Veit, mehr und anders, als andere es vermocht hätten. Oft wollte ich dir, wenn du heimkamst, ein gutes Wort geben, deine Hand nehmen, ich tat es so selten, weil immer Wichtigeres zu tun war. Ja, Veit — sie umschloß seine eisige Hand —, ich war so wenig gut zu dir, darum ist dir so kalt. Das Leben wird kalt, Veit, kälter als der Tod, stiller als der Tod, wenn die Wärme der Liebe von uns weicht.

Im Walde schrie der Totenvogcl, sein Hu-hu klang wie eine klagende Stimme. Genoveva gedachte der letzten Sommertage, da sie das Bergheu mähten und eine stürmische Regennacht sie vor Kälte nicht schlafen ließ. Sie, die sich einst im Rausdi der Jugend selig in den Armen lagen, waren zu scheu geworden, nahe zusammenzurücken. Der Alltag hatte sie in zwölf arbeitsharten Jahren längst dem Traum und der Erfüllung von damals entwöhnt. Auch in jener Nacht hörten sie das Steinkäuzchen, und Veit sagte: „Einer von uns wird bald sterben müssen!“ Und er zog sie an sidi und sie vergaßen die Kälte, den rauschenden Regen, der auf die Sdiindeln hämmerte, die Ahnungen, die in den Nächten der Flöhe sosehr das Menschenherz in die Welt des Unirdisdien geleiten.

Genoveva tastete über seine Hände, die sie einst jubelnd und stürmisch emporhoben, ehe sie im Zug der Säge, im Schwingen der Axt, im Führen des Pfluges und der Sense so rauh, derb und hart wurden, daß sie es nicht mehr wagten, sie zu berühren. Sie rückte näher zum Toten, legte einen Arm um seinen Kopf und sie sah durch die Lücke hinaus zu den schnecrhellten Bergen. Die Stunde löste sie für immer von den Menschen, vom Tal, vom Bistumerhaf, ja selbst von den Kindern. Ihre Seele glitt, frei aller irdischen Last, wie sie selbst einst über dem Almboden schwebte, über die fahlen, ewig starren Berge auf zu den Sternen und wurde selbst zur Stille und zum Licht.

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