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Ein Augenblick der Nähe

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Katharina hatte die Tür zu ihrem Zimmer offen, er trat wortlos ein, ging ans Fenster, nachdem er die Tür nur angelehnt hatte. Der Beamte vom letzten Mal und ein anderer, sagt er, während er sich umwandte, und sprach nicht mehr weiter, denn ihr ernstes Gesicht machte ihn stumm; erstaunt bemerkte er eine Ratlosigkeit darin, und je länger das Schweigen anhielt, umso größer wurde sein Bedürfnis, gegen diese Ratlosigkeit ein Mittel zu finden.

Der Augenblick war da, zu sagen, welchen Entschluß er gefaßt hatte, suchte nach dem richtigen Wort, scheute aber noch zurück, es auszusprechen, wählte einen

kleinen Umweg, erwähnte den Briefbogen, der unter dem obenauf gelegenen Brief steckte, und dachte, daß jetzt nicht der richtige Augenblick wäre, sich zu entschuldigen, daß er neugierig gewesen sei. Ja, sagte sie, es sei richtig. Und als wollte er keine weiteren Erklärungen zulassen, schnitt er ihr das Wort ab und sagte, er sei der Vater des Kindes; wenn man sie oder ihn fragte, gebe es nur eine Antwort, daß er, Rainer Schwertitz, der Vater des Kindes sei, das sie austrage.

Eine Sekunde lang lag auf ihrem Gesicht der Anflug eines belustigten Ausdrucks, den er bewußt übersah. Sie hatte sich umgewandt, und als sie ihn wieder ansah, nickte sie wortlos. Noch sei es nicht soweit, fuhr er fort, vielleicht werde der eine oder andere noch verhört werden, heute oder später, es gehe darum, daß sie beide keine sich widersprechenden Aussagen machten. Jede andere Aussage, des einen oder anderen Franzosen oder der Wachsoldaten, entbehre jeder Grundlage, sei eine Unterstellung, sie, Katharina, spreche als einzige hier französisch und müsse im Meierhof, wo die Franzosen arbeiteten, nach dem Rechten sehen sowie die Gespräche zwischen dem Vater und dem Franzosen, der die Stelle des Verwalters einnehme, übersetzen, und was liege näher, als daß die Kriegsgefangenen über sie sprächen, weil sie sie täglich sähen und Auswüchse ihrer Phantasie unter diesen Umständen die Folge seien.

Er sprach noch, als sie mit der Schulter zuckte, als bezweifle sie, was er sagte, er achtete nicht darauf, trat zur angelehnten Tür, horchte hinaus und schloß sie leise. Er nehme alles auf sich, deutete sein Benehmen an, auch ihre Zweifel, und wenn sie sich übergangen fühle, gebe er zu bedenken, daß seine Haltung lebensnotwendig sei, deutete es an und sprach von vollkommener Anpassung an die Situation. In dem eintretenden Schweigen wußte er, daß er zuviel gesprochen hatte, doch mit der Versicherung, es sei falsch, den Dingen den Lauf zu

lassen, wischte er den Gedanken weg. Katharina sagte noch immer nichts, sah ihn an, als halte sie ihre Meinung zurück, was ihm in diesem Augenblick gleichgültig war; sie sollte wissen, was er dachte und auf ihn hören. Und auch das hatte er noch zu sagen, es war wichtig, der Krieg werde bald zu Ende sein, solange müsse man die Angelegenheit hinausziehen. Er dürfe annehmen, daß sie mit ihm einer Meinung sei, auch darüber, daß er sich als Vater des Kindes ausgebe, wenn es nötig wäre.

Dann öffnete er die Tür. Man hörte aus dem Flur des Parterres Stimmen und Schritte, die sich entfernten. Der Diener machte Anstalten, hinunterzugehen, da hielt ihn Katharina zurück, indem sie eine Hand auf seinen Arm legte. Er blieb stehen, spürte die Wärme der Hand durch den dünnen Stoff des Hemdes, und es war, als merkte sie, daß er wegen der Berührung stillhielt, bis die Hand langsam vom Arm glitt. Durch das offene Fenster hörte man die Schritte im Kies. Beide gingen sie zu dem geschlossenen Fenster, blieben seitlich stehen, sahen hinter den zwei Männern her, die sich nun über die Brücke und durch den Park entfernten.

Die kämen wieder, sagte er. Woraus er darauf schließe, sagte sie. Er nehme es an, um jederzeit darauf vorbereitet zu sein; sie müßten ihre Rollen weiterspielen, bis zum Ende, fuhr er fort. Die beiden Gestapo-Leute seien auf den nichtswissenden alten Herrn

gestoßen, und das habe vielleicht den Verdacht abgeschwächt, er könne sich vorstellen, daß der alte Herr die Gestapo-Leute über ihre, Katharinas Stellung und Aufgabe, sowie über die des Franzosen Henri aufgeklärt habe, was den Männern vorläufig genügt hätte. Ob der Vater von ihrem Verhältnis mit Henri wisse, sagte die junge Frau. Vielleicht ahne er es, sagte der Diener. Sie könne ihre Beziehung zu Henri nicht aufgeben, sagte sie. Er hatte es erwartet, und als anerkenne er das Verhältnis, sagte er, sie müsse mit Henri darüber reden, sie dürfe ihre Besuche im Meierhof nicht abbrechen, es falle auf, und beide, sie und Henri, müßten vorsichtig sein.

Sie blieben stehen, schwiegen, er fühlte ihren Blick in dem seinen, als prüfe sie ihn, was über das Vertrauen, das er ihr bewiesen hatte, hinausging, merkte, daß sie beide das gleiche dachten, das Angebot der Vaterschaft ernst nahmen, es weitertragen würden, als gebe es nichts daran zu deuten und zu zweifeln.

Im Laufe des Vormittags winkte der alte Herr den Diener in sein Büro, bot ihm einen Stuhl an, während er im Raum auf und ab ging. Er, der Diener, wisse, worum es sich handle, sagte er, die alte Anschuldigung, den Kriegsgefangenen gehe es hier zu gut beziehungsweise der Franzose Henri werde wie ein Familienmitglied behandelt. Der alte Herr schwieg und blieb vor dem Diener stehen; der erriet sofort die Gedanken des

anderen, wartete darauf, daß der alte Herr sie ausspreche, und es fiel ihm leicht, eine unbewegliche Miene beizubehalten, weil er mit Katharina im Einvernehmen war.

Katharina befinde sich in einer ausweglosen Lage, wenn es stimme, worauf er von den Gestapo-Leuten angesprochen worden sei, sagte der alte Herr, er habe es befürchtet. Er ging wieder auf und ab, und sie schwiegen beide. Dann sagte der Diener ruhig, ob bekannt sei, wer die Gestapo informiert habe. Sie gingen einer Anzeige nach, antwortete der alte Herr, die er entkräftet habe mit der genauen Darlegung der Stellungen und Aufgaben der beiden, hier und im Meierhof, auch deutlich gemacht, daß in diesen Positionen leicht Verdächtigungen aufkommen könnten.

Er habe gegen jeden Zweifel als Vater für seine Tochter garantiert und glaube, den Verdacht der Gestapo-Leute zerstreut zu haben, wobei ihm seine Unvoreingenommenheit zugute gekommen sei, auch der Gedanke an die absolute Gefahr. Er wisse, daß er, der Diener, der Vertraute Katharinas sei, frage aber nicht, wie weit das Verhältnis gediehen sei, wahrscheinlich weiter, als er annehme, und es gehe darum, es nicht weiter kommen zu lassen.

Es sei nicht gut, den Umgang der beiden einzuschränken, es käme einer Bestätigung des Verdachtes gleich, sagte der Diener. Der alte Herr sagte weder ja noch nein, und der Diener fand es nicht

notwendig, über den tatsächlichen Zustand des Verhältnisses auszusagen.

Aus dem Roman „Das Faktotum und die Lady“, der im Herbst im Verlag Styria, Graz, erscheinen wird.

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