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Der Namensvetter

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Ein rundes Jahrzehnt nach dem ersten Weltkrieg mag es gewesen sein — ich war damals noch Mittelschüler und wohnte bei meinen Eltern in Wien —, als es eines Nachmittags an unserer Wohnungstür läutete, und ich ging, um zu öffnen. Ein unbekannter, etwa 35jähriger Mann stand vor mir auf dem Flur. Sogleich fragte er mich, im Gesicht leuchtende Erwartung:

„Wohnt hier ein gewisser...?“ Er nannte meinen Namen. „Der bin ich.“

Die grauen Augen musterten mich nur kurz. Dann sei es also ein Irrtum, meinte er mit gerunzelter Stirn. Der, den er suche, habe mit ihm an der italienischen Front gekämpft. Sein Blick war von mir abgeglitten und schien irgendwo im Wohnungshintergrund weiter nach meinem Namensvetter zu suchen. Einige Augenblicke standen wir einander stumm gegenüber. Wir hatten beide noch nicht begriffen. „Es tut mir sehr leid“, log ich. Denn in Wirklichkeit war ich froh, nicht

der Gesuchte zu sein, der wohl auch nicht mehr jung und ebenfalls Arbeiter sein mochte wie mein Gegenüber. Mit einem verlegenen, beinahe mitleidigen Lächeln wandte sich dieser achselzuckend schon wieder zum Gehen. Ich bin nicht schlagfertig. Gewöhnlich weiß ich nachher erst, was ich hätte tun sollen, wenn mir etwas Unerwartetes begegnete. So war ich auch diesmal wieder nahe daran, ohne weitere Fragen zu stellen — ein anderer Parsifal —, die Tür hinter dem Mann einfach zuzumachen, als mir doch noch etwas einfiel:

„Schrieb er sich genauso?“ fragte ich und wies auf unser Türschild. Halb zurückgewendet, nickte er mit dem Kopf.

„Auch der Vorname? Mit einem ,i' und ohne ,h* am Schluß?“ „Ja, genauso!“ — „Komisch! Nicht?“ Ich begriff plötzlich das Außerordentliche dieses Besuchers, der mich noch gar nicht richtig wahrgenommen hatte, wie ich wohl merkte. Auch schien er keine Lust zu haben, den grünen Jungen kennenzulernen, den er statt des Erwarteten hier angetroffen. „Wie sah er aus?“ Ich fragte aus Verlegenheit, war keineswegs neugierig, es zu wissen. Er zog sofort eine abgegriffene Brieftasche hervor, der er eines jener typischen Weltkriegsphotos entnahm, wie auch wir sie aus Vaters Frontzeit aufbewahrten. Er hielt mir das Bild mit einer Miene hin, die deutlich sagte, wie zwecklos es ihm erschien, es mir zu zeigen. Für ihn war meine Namensvetterschaft mit seinem Kameraden nur eine Nebensächlichkeit.

Die drei Soldaten, welche die Aufnahme zeigte, erschienen wie in Nebel gehüllt. So stark war sie unterbelichtet Ich erkannte dennoch sogleich mein Gegenüber wieder. Der ganz junge Soldat neben ihm, der einen Arm in der Schlinge trug, blickte so überlegen fröhlich aus dem Bild, daß er mir sogleich sympathisch war. Zweifellos war er der Gesuchte. Ich dachte es gerade, als der Finger meines Besuchers auch schon auf den dritten deutete, einen älteren Mann mit Vollbart, dessen Gesicht wie zusammengedrückt aussah. War das möglich? Dieser also. Es war lächerlich, aber die Zumutung empörte mich, daß ein Mann mit einem solchen Gesicht meinen Namen trug. Insbesondere die Gleichheit der Vornamen empfand ich wie einen Affront. Es wurde mir auf einmal bewußt, daß ich den meinigen wie einen Schmiß im Gesicht, als Zeichen meiner Herkunft und Rasse getragen. Ihr aber konnte dieser Arbeiter unmöglich angehören. Als Schönerianer und Wagnerianer zugleich hatte mein Vater mdr meinen Vornamen ausgesucht, der damals noch ganz selten anzutreffen war bei uns. Uber die drei Krieger schob sich eine Feldpostkarte. Ich lag meinen Namen in ungelenker fremder Schrift. Betroffen starrte ich darauf nieder. Erst als das Haustor zufiel hinter ihm, erwiderte ich den Gruß des Mannes, der wieder gegangen war. Meine Mutter kam heraus, um zu sehen, mit wem ich unhöflich so lange im Hausflur sprach. Rasch machte ich die Tür zu. Ich wollte keinen Zeugen für meine Niederlage. Ich fühlte mich hinausgeworfen aus der Mitte des Daseins, wo ich bisher gelebt hatte. Das Leben hatte angeklopft und nach mir gefragt. Mein Name aber war Schall und Rauch. Pflanzenhaft war ich nur da gewesen. Darum hatte der Mann über mich hinweggeblickt wie über Gras. Ich hatte es in seinen sehnsüchtigen Augen gelesen, daß da ein anderer meinen Namen mit Dasein gefüllt hatte bis zum Rand. Während mein Dasein nur Traum gewesen war, hatten sie, in der Gefahr des Krieges sich doppelt fühlend, wunderbar Hochzeit gehalten mit dem Leben.

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