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Kavalkade gegen den Baum

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Er pflanzt einen Baum. Dazu nimmt er den Spaten. Schaufeln sind weniger geeignet. Der Spaten mißt die Erde, die er aushebt, und liegt anders in der Hand. Die Erde ist fett. Er sticht mit dem Spaten einen Kreis, Durchmesser einen Meter, ein Stich hebt mehr als zwanzig Zentimeter aus — zweimal diese Tiefe —, die Erde bröckelt, fällt vom Spaten, kollert in die Grube zurück. Das Blatt zerteilt Würmer; die Hälften winden sich heftig. Er achtet darauf, daß die Wurmhälften wieder unter die Erde kommen, auch, daß die obere Schicht Erde links von der Grube, die untere rechts zu liegen kommt; die Schichten sind getrennt einzubringen, die obere nach unten, die untere nach oben oder umgekehrt; beide Versionen sind gebräuchlich.

Im Dorf hört er viele Dementis. Er sah sie ausziehen, also doch etwas tun, mit Schaufeln und Spaten (sie unterscheiden nicht genau), untertags mit Äxten; um nichts zu verbergen vor ihm. Sie sagen, er wolle die leeren Felder mit Bäumen bepflanzen. (Was gegen ihn spricht, ist leicht gefunden.) Man hat die ausgedehnten Obstgärten gerodet; Äpfel zweiter und, dritter Klasse sind nicht mehr an den Mann zu bringen, und die Kammern zahlen Prämien für Rodungen. Man ist für die Planwirtschaft. Obst kommt vom Süden, hier wird Getreide gebaut. Traktoren ziehen dreifache Pflugscharen, stark lärmende Fordmotoren.

Die Leute berieten am Straßenrand mit dem Fahrer des Raupenfahrzeuges. Der, dick und furchtlos, lachte sie aus; wegen eines Baumes oder Bäumchens würde er die Raupen seines Fahrzeugs nicht in Bewegung setzen. Sie klirren mit den Äxten, blinken mit den Schaufeln zu ihrer Beruhigung.

Eine Kuh, wenn es noch eine gibt im Dorf, kann vors Haus gehen und sich im Weiden üben in Wiesenresten. Er möchte zu den Leuten sagen: Wißt ihr noch, als die Kühe nachts, mit Glocken um den Hals, die Blätter von den Bäumen fraßen?, die silbrigen Blätter im Mond, als die Hufe stampften und die Leiber rauschend durch die Hecken brachen?, alles Bestandteile unserer Nachbarschaft. Man kommt mit wenigem aus, will er sagen. Doch mehr verleiht Sicherheit, hört er, und diese macht glücklich. Die Errungenschaften nützen: eine Arbeit haben, einen guten Verdienst, der die Errungenschaften ermöglicht, nicht Schaufeln, Spaten und Äxte kaufen; die liegen noch von den Großeltern da.

Äxte, Schaufeln und Spaten wird man in Museen bewundern als Kriegs- und Verteidigungswaffen. Denn einst scharten sie sich um den Wehrturm (heute der Kirchturm) hinter der Wehrmauer (heute Friedhofsmauer). Horden aus dem Böhmischen dezimierten Mensch und Vieh. Immer kam einer hinter die Politik, Krieger oder Diplomat, und schloß einen klugen Vertrag. Wie lange dauerten diese Zeiten an? Bis auf unsere Tage, auch wenn der Wehrturm zum Kirchturm und die Wehrmauer zur Friedhofsmauer geworden ist. Fluchtpunkte. Ein unübersehbares Ende. Dann bricht wieder einmal ein ehernes Zeitalter an.

Die Landflucht geht weiter, Bauernsöhne und -töchter auf Akademien; die Väter verachten ihr Gewerbe; mein Kind soll’s besser haben.

Das Bessere ist unbestimmbar in guten Zeiten. Obstbäume weg, zu beiden Seiten der Straße rasch wachsende Pappeln und die Raine mitgepflügt, Wege ausgemerzt; ein Streifen Weizen mehr, mit dem Mercedes benützt man die frischasphaltierten Straßen, Flucht durch die Landschaft zu beiden Seiten der Straße, Via Ap- pia Austria, Neubauten ohne Merkmale, aus einem Sack gelassen; Neuland-Neubesiedelung, Entwicklungshilfe leistet sich jeder selbst, der ein Haus baut.

Noch sind Spaten, Äxte und Schaufeln keine Schaustük- ke. Sie blitzen in der Sonne, dringen in die Erde und in Holz, und wer horcht auf einen Ton oder auf ein Geräusch, das er gewohnt ist? Der Baum wurde gepflanzt, die Wurzeln eingekürzt, die Erde darüber festgetreten und gehäufelt, ein Eimer Wasser eingegossen. Nach älterer Regel liegt die obere Erdschicht unten und die untere, der Lehm, oben. Das Wasser rann über den Lehm, drang in die lok- keren Bereiche der dunkleren Erdschicht, der Fuß trat den Lehm fest, die Erdmasse schwappte unter dem zarten Tritt. Dem Äpfelbaum wird eine Pyramidenkrone geschnitten.

Nur kein Aufsehen, denkt er, stapft zwischen den Pflanzen umher, die er betreut und im Wachstum beobachtet. Er wird darin verschwinden, und die anderen werden ihn nicht mehr einsehen, die, den gebührenden Abstand wahrend, um seinen Garten stehen. Sie sind ohne den Feldherrn, der Bürgermeister ist mit Kreditansuchen beschäftigt. Sie bemühen sich heimlich, ihn zwischen den Büschen zu erkennen. Äste schlagen, er macht Umwege zum Haus, die schlagenden Äste verraten seinen Standpunkt. Er schleicht zur Haustür, öffnet sie, sieht nach dem Telefon; die ungefährliche Waffe! — läßt die Tür offen, um hineinzustürzen, wenn es nötig ist.

Doch er hat nichts nötiger als den Kontrollgang; jedes Pflänzchen unter Beobachtung. Der rote Wasserschlauch liegt im Gras. Die Düse am Ende ist verstellbar. Er reinigt den Spaten mit einem Hölzchen von der Erde, umständlich und sorgfältig, geht zur Außenleitung an der Hauswand, dreht den Hahn auf, läuft zurück bis ans andere Ende des Schlauches, dreht die Düse; ein feiner Strahl steigt, glitzert in der Sonne, er senkt die Düse, der Strahl bohrt sich ins Gras, rinnt über das Spatenblatt, schwemmt den Rest Erde fort. Er wirft den Schlauch hin, der wendet sich im Gras unter dem Wasserdruck, die Düse richtet sich auf, und der feine Sprühstrahl trifft über den Zaun.

Scharren von Füßen. Die Warnung. Wie dünner, gebogener Stahl steht der Bogen über dem Zaun. Es ist niemand da. Das Scharren stammte von Vorübergehenden, und er hat sie vergrämt.

Das Dorf schläft nach einer durchzechten Nacht. Die Kolonne der geparkten Autos reichte bis an sein Haus, dessen Fenster die Lichter aus dem Volkshaus spiegelten. Er hörte die Stimmen nicht und nicht die Musik hinter geschlossenen Fenstern. Er ist taub, auch gegen das Leid.

In jedem Haus leidet ein Mensch, ein Alter, ein Kind, oft sind es unsichtbare Leiden, die keinen Arzt brauchen; das Leid einer Frau, die allein ist, das Leid eines Trinkers, das Leid eines Spielers, eines Tauben, eines Blinden, das Leid eines Reumütigen, Gedemütigten, das Leid eines Versehrten und das einer Schwangeren. Unter dem Neid leidet der Nachbar, unter der Mißgunst der Nächste, unter dem Mißtrauen der Bruder, unter der Verleumdung die Schwester, unter Schweigen, Mißachtung und Vereinsamung jeder; denn der Neid ist die Beimengung, die Hauptschlagader, die durchs Dorf zieht und alle vereint und entzweit. Neid als Krümchen Brot, das nicht vom Tisch fällt, Neid als Laib Brot, der nicht zu Ende geht; zwei- und vierfacher Neid, der am Nerv nagt. Der Neid des Bösen, der Neid des Guten, der aus Angst sich gut benimmt, der Neid des Knechtes und der Magd und deren Kinder und Kindeskinder, Arbeiter im Stahlwerk, der Neid der Grundbesitzer, die er bläht. Die Dürre: Neid; die Auszerrung: Neid.

Die Brunnen rauschen nicht, der Apfel fällt und verfault, die Kirschen holen die Stare, und auf den Feldern gibt es keine Vogelscheuchen. Die Insekten sind immun geworden. Nur immer stärkere Gifte nützen. Die Kundigen sterben aus.

Niemand widerruft etwas. Er hat einen Baum gepflanzt. Die letzte Kavalkade war der Faschingszug. Die Straße führt am Garten vorbei. In soundsoviel Jahren wird der Baum seine Äste über die Straße breiten. Ein Reiterzug kommt darunter gerade noch durch.

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