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Der Bauernwald

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Zu unserem Hof gehört ein eigener Waldbesitz. Oberhalb des Hauses beginnt . der Anteil, schmal steilt er sich empor, dehnt sich dann jäh ins Breite und verliert sich arm an Fläche und Wuchs am Grau des Fels. Der Urahn hat die Parzelle erworben. Das Wachstum ist gut, die Vielfalt der Baumgattungen überrascht. Aus dem Grund der letzten Bergwiese schießen Rotweiden hoch. Ihre Zeit ist kurz, Früh blaßt das Blattwerk ab, schrumpft ein, schon der erste Herbststurm peitscht die Büsche nackt; das braune Laub fällt in die letzte Mahd. Der Bauer schneidet das Reisig. Vom Korbflechter werden Körbe und Barren angefertigt. Der Schulbub schmückt die Palmstange mit den Gerten, und er fürchtet die Kraft der Weidenrute, die der Knecht Ruprecht in die Winterstube wirft.

Dem Saum der Rotweiden folgt das dunkle Band der Föhrenbäume. Diese steigen hoch hinauf am Berg, selbst das Kar ist ihnen nicht fremd. Viele helle Kerzlein haben sie im Frühling aufgesteckt. Kurze, braune Zapfen, die Schuppen gespreizt, liegen im blühenden Heidekraut. Arme Leute sammeln sie als Holz. Die Kinder stecken Stäbe zwischen die Zacken, dann sind es Tabakspfeifen. In die rissige Rinde krallt die Mistel ihren Samen, sie beißt sich die Fruchtbarkeit aus dem klebrigen Saft des Stammes. Leise rieselt es durch das

Geäst, wenn der Wind rauscht und die Nadeln fallen. Die dicke Schickte harkt das Bauerngesinde zusammen als Streu für den Stall. Unter dem Wipfeldäch bauen die Vögel ihre Nester, die Biene findet feinen Honig.

Je weiter unser Wald aufwärts strebt, desto stiller und dunkler wird es in ihm. Uralte Fichten rauschen ihr Lied. Das Taglicht wird hier zur Dämmerung. Ein brauner, schlüpfriger Weg — gefallene Nadeln — läuft entlang dem nackten Boden. Rot wie Blut hangen im Mai die Blüten an den Ästen. Die Wurzeln wühlen metertief ins steinige Erdreich. Aus der Rinde quillt in Bächlein das heilsame Harz. Das stille Dunkel bildet Wohnungen für das Getier. Das Reh sucht Schutz vor der Büchse des Wildschützen. In früher Morgenstunde röhrt der Hirsch nach seiner Gefährtin. Der Specht hackt in das Holz. Der Marder lauert auf seine Beute. Der Fuchs leckt sich brennendes Weh aus dem Fleisch, bis die Wunde, die er sich bei einem fehlen Raubgang in den Leib riß, wieder heilt. — Im Fichtenwald sind die Märchen daheim. Auf kühner Flucht vor der bösen Stiefmutter hält Schneewittchen Rast, Das Zuckerhaus der Hexe „Krummnase“ ist von mächtigen Bäumen überdacht. — Mancher Baum ist Jahrhunderte alt. An den Ästen hängt in langen Barten die graue Flechte. Bei Föhn, nach dichtem Winterweiß, rast oft ein Donner vom Berg nieder. Beim Bannwald zerschellt die Kraft der Lawine, wohl bog sie Bäume bucklig und zersplittert das Holz zu Strünken, aber dann sind ihre Arme lahm. Hof und Dorf bewacht der Wald treu wider die weiße Gefahr.

An manchen Stellen ist er licht und sonnig. Da schlug man das Brennmaterial. Jetzt sind Setzlinge gepflanzt. Uber-mooste Wurzelstöcke hocken am Boden, Im Himbeergerank runden sich brandrot die Beeren. Pilze recken stolze Hüte ins Licht. — Auf dem Sonnplatz stehen ein paar Lärchen. Im Wechsel der Jahreszeiten wandelt sich die Farbe der feinen Nadeln vom hellen Grün aufgebrochener Knospen bis ins flammende Rot herbstlicher Tage. Lärchenholz ist eigenwillig. Der Vater hat im Vorjahr eine neue Hausbank gezimmert. Das Sitzbrett bekommt immer wieder Risse, erst Leim und Nägel schaffen Abhilfe.

Im Bauernwald steht stolz manche Tanne. Ihre Majestät zwingt zur Ehrfurcht. Starkes Astwerk durchsetzt ihren Stamm, sie trägt ungebeugt die Schneepolster und erleidet schadlos die Winter-starre. Sie trotzt Sturm und Hagelschlag. Immer sind ihre Nadeln dunkel und satt im Farbton, sie atmet einen herben Duft in die Landschaft. Kranke suchen in ihrem Bereich Gesundung und Friede. Ihr Feind ist der Mens/h. Noch klein, ßtirbt sie unter einem Beilhieb für den weihnachtlichen Lichterbaum. Oder es fressen sich die Eisenzähne der Säge in ihr Mark, der Fall hallt wie ein grausiger Schrei. Die spröde Rinde bricht der Gerber für seine Grube. Der Sägearbeiter schneidet Bretter, aus ihnen wird Wiege, Bettstatt, Dachstuhl, Fußboden und Sarg gemacht. Tannenzweige schmücken den Hochzeitswagen und sind ein Gruß auf dem Grab im Kirchhof.

Recht gern haben wir die Buche. Ihre Krone hält viele Gucklöcher durch das Laub ins Himmelsblau offen.

An der Baumgrenze endet noch nicht der Wuchs. Das Feld der Latschen beginnt. Der Jäger kniet im Busch und knallt das tödliche Blei nach dem Wild. Rundum Hochalmstillei Hier steht die Zirbe. Wie Krallenfinger greifen ihre Wurzeln ins Gestein und erkämpfen sich das Leben, über ihr glänzt blau das ewige Eis, über ihr kreist der Aar. Der Blitz entzündet sie oft, und die Lawine reißt sie in den Abgrund.

Der Bauernwald gehört zum Hof. Er ist gewöhnlich altes Erbtum. Der Bauer schätzt das wertvolle Eigentum. Er pflegt kranke Stämme, tilgt die Brutnester der Baumschädlinge, Blößen forstet er auf, übermäßige Schläge sucht er zu meiden. Er liebt den Wald, jeder einzelne Baum wächst ihm ans Herz. In Notstandszeiten birgt der Wald die letzte Hilfe. Er begleitet die Erdenpilgerschaft des bäuerlichen Menschen. In den Wiegentraum des Jüngsten tönt sein Lied. Später begleitet der Knirps des Vaters Waldgang. Ist er zum Bursch herangewachsen, fällt die scharfe Axt den ersten Dürrling. Zartes Lärchengrün legt er seiner Braut vor das Kammerfenster. Tannenreis ziert den Tisch beim Hochzeitsmahl. Der reife Mann sammelt Falten im Antlitz, so wie der Baumriese im Wald den Stamm entlang die Jahresringe sammelt, lautlos, zwangsläufig, naturgebunden. Alt und müd geworden horcht er still und zufrieden dem friedlichen Waldesrauschen. Von dort kommt sein letztes Kämmerlein auf der Erde.

Unser Wald ist im Ausmaß begrenzt. Uns dünkt er groß wie die weite Welt. Er schenkt uns Freude und Friede. Er verkörpert das liebste Stück der heimatlichen Scholle.

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