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Herbstliches Diarium

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Der schöne Weg an den Kastanien vorbei ist mir verleidet. Grau und steif stehen sie im Nebel; nicht anders als die Stämme, die genagelten Balken zwischen dem Schutt. Die Allee gleicht einem groben Zaun. Über weitgesteckten Pfählen hocken gestaltlose Knäuel von Astwerk und Laub. Farblos, reglos und versponnen ist der Morgen. Alle Dinge kehren einander den Rücken zu. Ein Schacht durch taubes Gestein ist die Straße; wer sie gehen muß, findet keine Tür offen. Es brennen. Lichter, aber sie leuchten nicht. — Vor mir humpelt einer her; frierend, mit aufgestelltem Rockkragen, die Hände tief in den Taschen. Es muß kalt sein so. — Aber was ist zu tun? — Man knöpft seinen Mantel enger und geht seines Weges. Das ist das einfachste. Das ist alles ...

Wo ist die Trübsal hin? Heute ist Licht auf allen Wegen; nicht der strahlende Glanz des Korns und der Äpfelzeit. In den Gärten blühen Astern, die kühlen Sternblumen. Die Baumkronen sind stumm und ohne Rauschen. Wenn der Wind drin spielt, knistert das spröde Laub. Die Nester sind leer und der weite Himmel schweigt. Die lauten Feste sind um ... Aber heimlich blüht die letzte Freude des Jahres auf. Die Welt verklärt sich im Licht, die farbenselige Welt. — Weinrot funkelt der Fluß an den Rebenhügeln dahin. Wenn du unter die Linde trittst, fällt dir ein goldener Reif ins Haar. Wenn du zum Scherz eyi Blatt aufhebst, spürst du es zittern. Drück es ans Herz —• es, lebt! Es feiert den letzten Tag. Es glüht in deiner Hand. Morgen ist es fahl. — Geh an nichts vorbei. Alles, was • du siehst, schaut dich an. Sag ihm Dank, , eh es vergeht! — Es war dein...

Ich habe einen Brief geschrieben--

Die Abende sind kalt und voller Angst. Manchmal sehe ich ein Gesicht am Fenster, ein blaues Kindernäschen an die Scheibe gepreßt. Dann weiß ich, daß es friert. Nachts schlägt die Not ans Fenster. Es ist der Raum, der uns lange lieb war. Nun steht er schwarz und gesträubt wie ein Unhold. — Was in den Tagen nicht unter Dach kommt, fällt ins Elend. Noch sind die Wege nicht verschneit. Gott helf den Suchenden nach Hause!...

Ich war eine Stunde im Wald. Man wandelt wie durch einen Dom. Alles gleicht jener ungewissen Stille, die zur Andacht stimmt; auch das vielfarbige Licht von obenher und die kalten Säulen der Stämme. Irgendwo hallt ein Schritt. — Von weitem dringt das Knacken der Äste ans Ohr, ehe man die Gestalt erkennt. — Es war ein Kind im dürft gen Röckchen. Es quälte sich mit einem Bündel Holz nach der Straße hin. — Was sagt man dazu? — Es ist wie mit den Betern im Dom: die einen kommen, wenn sie müßig sind, die anderen treibt die Not. An djj- Schwelle aber gehen sie auseinander. — Mir ist, als hätte ich das Bündel tragen müssen. Man besinnt sich zu lang. So bleibt das Rechte allemal ungetan ... «,

Es ist Reif gefallen. Die Dächer glitzern, und das Gesträuch im Hof steht starr vom Anhauch der Nacht. Der kalte Bann liegt in der Luft. Auch die $ohne vermag nichts mehr. Spät am Mittag hebt ein fernes Leuchten an. Der Fluß spiegelt die farbigen Ufer. Der Park steht im Glanz. Aber die satte-Buntheit ist flau* geworden. Rot und Gold sind verblichen. Braun rascheln die Wege. — Kleine, kecke Füße wühlen im Laub.

„Es dampft, es ist warm!“ —

„Es ist feucht und faul, mein Kind!“ — Erfüllung und Vergänglichkeit. — Der Herbst hat zweierlei Gesicht. Ist es nicht eins? —

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