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In dieser Nacht

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Wenn du auch alt bist, Welt, heute ist der dämmrige Himmel aufgerissen und dahinter gleißt der Tag, der ewig junge. Auf schwarzpoliertem Grund glimmen die Sterne, bleichgolden und bewegt. Es saust dort unten in den Wäldern, die, von Schluchten durchrissen, die Berge verhüllen. Licht liegt auf den Graten, auf den schaumgrauen Wipfeln. Siegessicher und voll Freude erbebt das Firmament, denn heute, ja, heute . ..

Es hat aufgehört zu schneien, nur noch zart sinkt der Schnee nieder, und im dunklen Wasser des Brunnentrogs glitzert es, als hätte eine Hand Smaragde und Rosenquarz hineingeworfen. Noch ist es nicht finster, alles glänzt nahe und stark, voll Wonne blüht die Erde dem Himmel entgegen. Die grämliche Stimme des Flusses ist nicht zu hören. Liegen die Schneepolster so dick auf den Steinen, daß sie die strudelnden Wasser auffangen? Sind die Lifer so weich, daß sich der Uebermut des Bergbaches daran bricht?

Die alte Lena kommt den kleinen Pfad, der ins Dorf führt, herabgetorkelt. Ich erkenne sie an ihrem fuchsroten Unterrock, der die Schneewildnis in lachende Bewegung bringt. Ihre Riesengestalt ist überweht von einetn funkensprühenden Lärchenholzbündel. Sie hinterläßt eine Zickzackspur; ihr Augenlicht ist nicht mehr das beste. Von weitem hört man schon ihre orgelnde Stimme, sie schimpft, weil der Weg schlecht ist und sie die Fußspuren kaum erkennen kann. Sie wuchtet daher und beehrt mich mit ihrem Besuch. Nein, sie ist kein Mensch von Fleisch und Blut, ein Bergtroll ist sie, sonderbares Zeug spricht sie, und ihre Schuhe, die mit Sackleinwand umwickelt sind, gleiten wie Boote über die Schwelle. „Hast Tee? Mich brennt’s im Hals — weil ich lachen und weinen muß — “

„Fehlt was, Lena?“

„Mir?“

Verwundert tippt sie sich auf die Brust. „Wo ich in die Metten geh’n derf? Was soll fehlen?“ gröhlt sie und wuchtet in die Stube, reißt den lisch um und setzt sich mit lustvollem Stöhnen auf die Ofenbank. „Was soll mir fehlen? Nur — die Kirchen kommt nit näher — alleweil hockt sie dort unten, wo sie doch kleinwunzig is —, daß ich sie packen könnte mit meiner Faust..

Und sie lacht so, daß die Stube zusammenschrumpft und sich ängstlich verkriecht vor dieser Uebermacht. Sie trinkt in kleinen Schlucken den Tee, und dann, ganz ohne Ueber- gang, reißt sie die Tür auf und schwankt ins Freie. Begierig schaut sie in die Tiefe, in diese undurchsichtige Tiefe, in der die Kirche steht und kindereifrig emporweist. Die Lena schreit: „Heilige Nacht ist heut!“ Ihr Mund steht offen, und sie lacht stürmisch. Dann setzt sie sich in Bewegung, mit ihrem rauchfarbenen Gewand den Boden kehrend. Die goldene Fahne der Funken, die von den dünnen Lärchenholzstäben aufschwirrt, summt über ihr. Sie stolpert, rafft sich empor, sinkt zur Seite wie ein leckes Boot, steht wieder auf ihren alten Füßen und ist schließlich nur noch ein dunkler Punkt, von einer Funkenbahn begleitet.

Und schon zucken über die Hänge andere Fackeln, stürzen sich goldstrahlend und auflachend in die Tiefe, hinab über die steilen Hänge der Berge. Mit gelben Katzenaugen starren ihnen die geduckten Häuser nach, behaglich verharrend. Der Sternenhimmel scheint sich zu spiegeln. Die metallharten Wäldermäntel sind um die Gebirgsflanken geschlungen. Bleichgrüne Wasser, zu Eissträhnen gefroren, füllen die Schluchten aus. Kinderrudel hüpfen hinunter, schillernde Traubenbüschel. Aller Augen, die der Tiere und der Menschen, sind abwärts gerichtet und glühen auf, geheimnisvoll erhellt vom goldenen Widerschein aus den Höhen: dort unten steht er, der Stall, aus blendender Bläue, aus Glanz gewoben.

Und nun erheben die Glocken ihre Stimmen, zuerst eine, die zaghaft, wie aus einem Traum auf brummt; dann die zweite, frisch und kindlich stammelnd; und eine dritte, schon völlig erwacht, die dröhnend alles heimsucht, alles in sich aufnimmt, gewaltige Berge mit ihren alten Gesichtern, und den zerschrammten Wangen, frostblinkende Grate und die Wälder.

Bei der Kirche münden die zuckenden Lärchenholzfackeln in einem Goldsee, der vom Stoßgebet der Glocken erzittert. Kein Mensch hat das Wort, nur die Kirche hat das Wort. Sie ist voll Macht, sie schreitet aus und steht doch still, sie dehnt ihre Brust und ist dennoch bescheiden, sie neigt sich voll Glanz über die Menschen und ist klein unter der schwarzgeschliffenen Bahn des Himmels.

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