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DAS OSTERGESCHENK

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Seit Jahren kam der alte Sepp nicht weiter als bis zu den nächsten Höfen, die mageren Beine biegen sich schon ein wenig, und er sieht auch nicht mehr genug. Jetzt aber nimmt er sich vor, die 80jährige Martha zu besuchen. Sie ist fünf Jahre jünger als er. Unterwegs rastet er auf der Bank vor einem Bauernhof, behaglich auf seinen langen Stock gestützt, lauscht er dem lieblich-verwegenen Klang des Wassers, das aus dem Brunnenrohr schießt. Hauchdünn liegt der Schnee hier auf der Höhe. Scharfblau sind die Schatten, und die Gebirge verwehende, rosenfarbene Flämmchen. Der Alte schnuppert in den Himmel, und seine apfelglänzenden Wangen verziehen sich zu einem Lachen.

Dann erhebt er sich und geht weiter. Es sind durchaus keine kleinen Schritte, die er macht. Er wiegt sich dahin, den Stock tastend vorgeschoben, die Flügel seiner gebogenen Nase weiten sich. Ein wenig verschwimmt ihm der Weg vor den Augen, sanfte Schleier sind über die Landschaft gebreitet, die aufwogen und sich gespinstartig über die Fichten hängen, die nun den schmalen Pfad säumen. Es summt und säuselt, es zischelt und knistert. Eichhörnchen äugen nach dem Alten, frech schnalzen sie, und der Sepp bleibt stehen. „Ja, ja, ja”, sagt er einleitend und zündet sich eine Pfeife an. „Sehen tu ich euch nit, aber frech seids wie eh und je, doch keines von euch weiß, wie’s vor achtzig Jahren war, da habens die Menschn noch nit so eilig ghabt wie heut.”

Schmal windet sich der Weg durch den Wald. Die durchdringende Stille braust und rauscht. Der Himmel stülpt sich über die Bäume, schützend und dicht, so daß kein Windhauch die feuriggrünen Heidelbeersträucher in Bewegung zu bringen vermag. Und dem Alten kommt zum Bewußtsein, daß die Bäume, die sich so hoch emporrecken, auch so alt sein könnten wie r.fDa grüßr sie,-.init einem leichten Lüften des Hutes, ein wenig spöttisch lächelnd — denn was haben sie schon von fhrem’ After, wenn slesch erinnern können, wie es vor achtzig Jahren gewesen ist. Damals gaben sich die Frauensleute demütig und bescheiden. Die meterlangen Strümpfe rollten sie dick zusammen, daß man ja nicht die Waden sah! Aber, freilich, das Pfeifenrauchen konnten sie nicht lassfen, und niemand nahm ihnen das übel. Zuckerzeug und Weißbrot gab’s nicht. Wenn es finster wurde, strickten die Mädchen beim Schein einer winzigen Ölfunzel. Aber singen konnten sie, und das war ihre Unterhaltung! Die Häuser waren wie Bienenkörbe, in denen es summte.

Jetzt muß der Sepp rasten, das Blut kommt ihm in Wallung, wenn er an die Tänze von damals denkt, und er dreht sich ein wenig mit Gekicher und zartem Schnalzen. Und wie die Martha tanzte! Aber er durfte sie nicht heiraten, der Vater hatte für ihn die Genoveva ausgewählt. In diesem Jahr könnten sie diamantene Hochzeit feiern, aber sie ist ihm weggestorben. Doch die Martha, die Martha lebt noch! Zwölf Jahre mochte es her sein, daß er sie besuchte. Jung war er damals; er wundert sich, daß es soviel Jugend überhaupt gab! Ja, bis achtzig konnte ihm noch schaurig zumute werden, wenn er an sie dachte. Und jetzt geht er zu ihr.

Der Wald ist durchquert. Zart wird jeder Baum mit dem Stock betastet. Zuweilen greift der Sepp nach seiner Brusttasche, da steckt ein Geschenk für sie. Ein wenig senkt sich hier der Weg. Oh, er weiß es, er kennt noch jede Biegung. Jetzt liegt schon der Mareiner-Hof unter ihm. Er schnuppert. Es riecht nach Holzrauch. Nichts ist so voll Erinnerung wie dieser Geruch. Hundert Feuer brennen, auf der Hochwiese, im Wald, bei der Almhütte, im Graben beim Holzfällen. Sie alle machen ihn glücklich, und er lacht, unbezwungen vom Leben. Müde? Nein, müde ist er nicht. Links vom Weg steht ein Kreuz — und, ja, er tastet ihn ab, den hölzernen Leib des Herrn, der hier hängt; es ist noch derselbe, ausgedörrt vom Sonnenschein, verwaschen vom Regen. Der Sepp schlägt ein Kreuz und betet. Und dann tupft er ihm ins Gesicht, seinem Herrgott. „Du weißt wohl noch alles, dir sind tausend Jahr wie ein Tag — aber dafür, will mir scheinen, ist mir manchmal ein Tag wie tausend Jahr vorgekommen. Nit, wenn ich unglücklich war, sondern wenn ich glücklich gewesen bin.”

Und vielleicht ist auch heute wieder so ein Tag, denkt er, selig lächelnd. Schlau wischt er sich unter der Nase. „Wenn die Martha auch heut ein altes windschiefes Gestell hat — Herr, sie machst Du auch einmal neu, ganz neu”, flüstert er.

Der Weg windet sich nun geradehin, kein Lüftchen tastet dem alten Sepp ins Gesicht, er geht jetzt noch bedächtiger, fast feierlich dahin, da nun bald das Haus kommen muß, in dem die Martha wohnt. Dann brummt er ein wenig über die großen Steine, die hier liegen. Kocht sie nicht? Es steigt ja kein Rauch auf! Eine Stille webt und streicht um die Hütte. Und er ruft, so laut er kann, ihren Namen. Aber die Haustür öffnet sich nicht. Könnte er nur durch das Fenster sehen! Doch seine Augen sind recht schlecht. Martha sitzt auf der Ofenbank und strickt. Sie blickt nicht auf. Sie hört nicht gut. Und die Enkelin, die Marie, ist heute nicht daheim. Der alte Sepp läßt sich auf die Hausbank nieder. Ist er sehr traurig? Nein. So durch die Wand spricht er mit der Martha, leise summt er die Worte vor sich hin. „Ich hab dich nit nehmen dürfen, damals. Hab dich nit heimführen dürfen. Was machst denn jetzt drin in der Stube? Hörst mich nit? Und ich seh dich nit!” Er faltet die wurzelbraunen Hände über den Stock und verharrt ganz still — das Warten hat er gelernt. Dann schiebt er zwei Stück Zucker in den Mund, entfaltet das Papier, in dem der Kranz Feigen und die warmen Fäustlinge eingepackt sind. Mit einem hellrosa Band umwickelt er das Geschenk. Wird sie erkennen, daß es jenes Band ist, mit dem sie vor sechzig Jahren ein Geschenk zusammengebunden hat: einen Gurt, bestickt mit Federkielen. Damals ging er weg von daheim, aus Gram, daß er sie nicht heiraten durfte. Und er blieb jahrelang fort.

Der Sepp spürt, daß es kalt wird. Es muß schon spät sein. Bedächtig erhebt er sich, klopft noch einmal an die Fensterscheibe, rüttelt an der Tür und lauscht lang. Aber drinnen rührt sich nichts. Ganz fein surrt etwas — die Stricknadeln der alten Martha. „Martha! Martha!” ruft er.

Und nun muß er fort. Er findet es gar nicht bitter, daß sie ihm die Tür nicht aufmachte. Geduld hat er gelernt im Leben; und Warten. Der Weg ist wie blaues Wasser. Jetzt will er nicht mehr durch den Wald gehen. Er kennt noch den Pfad, der über die Wiesen führt. Was lodert in der Feme? Sind’s die alten Berge? Ja, sie sind’s. Rosenglanz werfen sie über den Pfad, sanfte, heilige Glut. Was tut’s, Martha, wir sehen einander ein anderes Mal. Wie? Und wenn nicht hier - dann dort. Lächelnd zwinkert er, verharrt Augenblicke lang und schreibt mit der Stockspitze ein zittriees Herz in den Schnee.

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