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Der Boxer

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Herr W. $nders hat, wie 4l meisten Menschen, ganz einfach angefangen. Seine Schuljahre verbracht er unbeachtet. Selbstverständlich sahen seine kleinen Kameraden wohl, daß r ein kräftig entwickelter Junge war und daß er während der Körperübungen seine Vogelnester geschwinder als seine Klassengenossen machte, aber etwas Besonderes bemerkten sie nicht an ihm, um so mehr, weil seine Noten für die anderen Fächer bedeutend schlechter waren.

Aber all er einmal einen kleinen Freund. Peter Rienkema, scherzhaft auf die Schulter sehlug und der kleine Junge hiernach wie ein Block auf der Fahrbahndecke liegen blieb und erst zwei Monate später den Gebrauch seiner Glieder völlig wiedergewonnen hatte, da begriff der Manager F. Holman, daß es Zeit wäre, einzugreifen. Er nahm den inzwischen je Jahre alt gewordenen Burschen in seine Hut und bildete ihn für den Ring aus Ein Jahr später trat er gegen Herrn L Vlasbol, Ortsmeister von Coevorden, In die Schranken und wurde von diesem schon in der ersten Runde platt geschlagen. Da erwaehte in W, Sanders der Ehrgeiz. Er fing an, seine Fuß- und Hüftenarbeit zu verrichten, er verstärkte seine Rechte (ohne seine schon gefürchtete Linke zu vernachlässigen), er vergrößerte sein Vermögen zum Einstecken und verlegte sich auf das Dribbeln-aus-der-Nähe. Ein Jahr später ging er gegen Herrn P. Rombouts (Velocitas) in der dritten Rund zu Boden und wurde vom Ringrichter ausgezählt.

Da begriff W, Sanders, daß er die Sache beim andern Ende anfassen müsse. Er rauchte von nun an nicht mehr, er trank nieht, er ging um Viertel nach acht und sonntags zehn vor halb neun zu Bett und nährte sich von Haferflocken und stärkemehlhaltigen Bestandteilen. Auch begann er, der Verstärkung des Zwerchfells und dem Ausbau der Wadenarbeit seine Aufmerksamkeit zu widmen. Und sieh, die Folgen blieben nicht aus, Schon Dienstag darauf siegte er über Herrn D. Speld („unzähmbarer Dick“) aus Wormerveer, Herr Speld trat darnach nicht mehr auf. Zwei Tage später chlug er Herrn Duifhuii (Gulpen) entscheidend gegen die Seile. Herr Dulfhuis zog sieh aus dieser Sportart zurück und ließ sich zu Ukkel (Gld.) als Chemikalienhändler nieder. Sein Zustand ist befriedigend. Sofort hiernach zerschmetterte Sanders Herrn Mellema („Eiserner Heinz“) au Zandvoort. Ei war der Wettkampf, der ihm den Beinamen „Der Tiger von Medemblik“ eintrug.

Wir brauchen den siegreichen Aufstieg W. Sanders' nicht weiter zu schildern; wie er zuerst Meister der Provinz Nord-Holland wurde und darnach des Königreichs selbst. Wie kurz darauf der Kontinent Europa ihm zu Füßen lag. Wie er schließlich Weltmeister wurde, indem er Joe Louis mit einem Schlag seiner linken Hand der Obhut seiner medizinischen Betreuer anvertraute, dies alles haben die Sportzeitungen hinreichend beschrieben. Wir erwähnen nur die schlagende Besonderheit, daß sowohl in New York wie auch in Prag und Kapstadt die Gegner sich durch den reinen Anblick seiner Erscheinung von selbst zu Boden legten, was den Wettkampf beträchtlich vereinfachte.

Diese gigantische Persönlichkeit nun wußte ich zu einer persönlichen Unterredung zu be wegen. Um zu beweisen, daß menschliche Größe durchaus kein Hindernis für ein kindliches Gemüt und eine tiefe Einfachheit des Herzens zu sein brauchen, teile ich hier mit, daß Herr Sanders telephonisch zu erkennen gab, „sofort selbst vorbeizukommen“. Diese Nachricht erfüllte mich mit einiger Sorge. Kaum hatte ich Zeit, die zerbrechlichsten Möbel aus meinem Studierzimmer zu entfernen und einen der Stühle mit Mutterbolzen zu verstärken, als es schon läutete. Ich kam zu spät, ihm aufzumachen: er stand schon vor mir, die Tür in den Händen. „Ein Spaß“, sagte er, das Panel zur Seite stellend, „wie geht es?“ Ich krümmte mich unter seinem Händedruck.

„Und, Herr Sanders“, fragte ich, sobald wir uns gesetzt hatten, „wie erklären Sie Ihren Erfolg?“

„Weiterschlagen, bis es abgelaufen ist“, antwortete der berühmte Mann einfach, „und dann Punkt zwei: Muskeln.“ Er nahm vorsichtig meine Hand zwischen Daumen und Zeigefinger und legte diese auf den Bizeps seines rechten Arms. „Jetzt schwellen wir“, sagte er, den Unterarm aufhebend, „wir fangen an.“

Meine Hand stieg zwei Zentimeter empor.

„Stärkemehl“, erklärte Sanders, „und Eiweiße. Und weiter kalkhaltige Bestandteile. Legen Sie großen Wert auf dieses Klavier?“

„Nein“, sagte ich, „ich spiele nicht.“

Herr Sanders hob die flache Hand auf und ichlug das Instrument in zwei genaue Hälften entzwei.

„Kohlenhydrate“, erläuterte er, „und pflanzliche Fette. Und dann natürlich dribbeln. Um zum Beispiel dieses zu tun (er brach die Lehne meines Stuhls ab), ist weniger erforderlich, als die Menschen wohl denken. Es ist teilweise eine Nahrungsfrage. Dieses (er schlug den Kronleuchter von der Decke herunter) ist wieder etwas schwieriger, soll aber nicht überschätzt werden. Das folgende, das ich Ihnen zeigen werde, ist interessanter.“

Er lief auf einen Eichenschrank zu und warf diesen zum Fenster hinaus.

„Dies alles“, fing er wieder an, sich setzend, „ist Sache der Uebung und der Ausdauer. Es handelt sich hier nicht sosehr um physische Kraft wie wohl um psychische Stärke.“

„Herzlichen Dank. Darf ich Sie nun, im Namen der Leser dieses Artikels, bitten, einige Schläge zu demonstrieren?“

„Mit Vergnügen. Stellen Sie sich, bitte, da auf. Sie \ brauchen keine Angst zu haben. Es wird Ihnen nichts passieren. Ich will Sie einen Uppercut sehen lassen. Von der linken Schulter aus. Bleiben Sie ruhig. Ich tue es möglichst vorsichtig. Schau, der linke Arm bewegt sich bogenförmig rückwärts, der Körper senkt sich ein wenig nach vorne, Jetzt hole ich schnell aus und —“ abgebrochen.

Der Zustand des Schriftstellers Godfried Bomans hat sich, wiewohl er anfänglich besorgniserregend war. einigermaßen gebessert. Es hat das Ansehen, daß er in kurzem aufsitzen darf. Von Irgendeiner Wiederaufnahme seiner Tätigkeit kann aber vorläufig nicht die Rede sein.

Ahs dem NiedetländlfckeH übtrsetlt von A. F. C. Brosens.

Das Gedicht

RUDOLF LIST

Elegien am Rande der Zeit i.

Nock bedrückt uns der Welt gtwandtlttt Antltti, neuer Dome G'präng über Hügeln von Leichen und der Gebete Schrei im Mund dtr Verstummten. Daß sich der tödlichen Jraumnatht dts Grauens dieser Morgen entrang, von tarieren Farben gerat, Schale der Hoffnung, Kelch der Erwartung, der die unendliche Bläue de$ Himmels aufnimmt und der Gewitier Flut über friedlichen Triften, nimmt uns die Ruh.

11.

Ruh, nickt wiedergekehrt, Herz, noch grausam zerstückt, Rese, noch feucht ven Blut, frisch von Gräbern gepflückt, lüsterner Dem des Leids, Dolch aus feindlicher Sacht, immer noch Glut und Brand, am der Asche entfacht.

Immer noch Tränt, geweint fem von Kreuz und Gebein, liefet wie /liier Schmers: herbstlich herzcnkln ein, Ruh, nicht wiedergekehrt, Schutt, va.n Lattich bekränzt, Gmft, noch nicht übergrünt, Wunde stemübergläuzt.

III.

Wunde stemübergläuzt, tröstlich itcrHixbeiär, hellendem Himmel frei und dem Winde, dtr wtht über die Furchen hin, die das Grauen beschritt! nirgend Acker und Stein, der nicht stÖHMt und litt.

Nirgend Acker und Stein, der dem Schiefe/ entging, Pfeil des Todes, der traf: Larve und Schmetterling. Doch die Blühnis von Mohn tchlug über Brach und Rand. Und der Heidlercht Lied segth steil überm Land,

IV. ' ' , :“,L -V -

Segelt |f#l7 überm Land Wolke vom rotem Qualm,

Sehrer ven Strauch und Baum, Würger von Krum und Halm,

Rauch, den inen ntstrewf, hephästeischer Qlut,

Gijt zum Himmel gesät, stählerner Drachen Blut:

Denk der Uusaat da Grams, da die Erde einst barst: Tod des Tage Geleit, Morgen der Nächte Karst, Opfcrttätte (Htweifef, Herd der Heimat zerspellt, überm Scheitel dtr Zeit Henkerbeil dieser Welt.

Ueberm Scheitel der Zeit ruhiger Schwalben Flug, nicht mehr Raubvogetschwarm, der die Aengstigen tchlug, weit übern Ozean hin trächtiger Schiffe Fracht, fahles Gebirg von Erz, Baal im Taumel der Nacht.

Fahles Gebirg von Erz, mordgetränkt und verflucht, unheimlich Herz der Welt, lüsternen Tramms gesucht, Spiel in verwegner Hand, heimliche Kraft voll Tod, Flut der Meere in Brand, Götterdämmerung rot.

VI.

Flut der Meere in Brand, Inseln von Flut verzehrt, Sturm des letzten Gerichts, der über Städte hin fährt: Dome, gebaut auf Sand, Kreuze, gepfählt in Stein, hängende Gärten der Lust, Turm von Menschengebein;

Alles zum End gereift, alles zu Babels Fall. Gottet Gnade allein zieht den rettenden Wall, Mutter, von Gram gebeugt, schuldles lächelnd ein Kind, einsame Träne des Leids, fernher wandernd im Wind.

VII.

Einsame Tränt des Leids, tausendfach fülltnd dt Krug, weidwunder Welt kredenzt, Träne still überm Pflug, Träne nächtlich versitgt, Tau auf der Mutter Hand, ängstiget Traum vom Sohn, Grab in Dschungel und Sand,

Atngstiger Traum vom Kind, Trift im wandernden Schnee, stürzendem Knie im Sturm, sinkendem Lot im See. Tränt zu Träne gereiht: wirres Gestrüpp von Qual, Angst, der keiner KtrlMHt. Menschheit am Marterpfahl.

VW.

Angst, der keiner entrinnt, der dies Leben betrat: Windhauch schwärendes Gift, Strafe malmendes Rad, Buschwerk heimlicher Tod, Kelch der Blume versengt, Grab von Enkel und Ahn grauenvoll blutbesprengt.

Grab von Enkel und Ahn, einst der Andacht Geheg: über der Leichen Gebirg schwingt der taumelnde Weg, Weg zum Gipfel der Macht, Himmelslicht übergrellt vom betörenden Schein, magischer Glut der Welt.

IX. ■

Vom betörenden Schein Brachen fähllngs tnttttlnt, letzte Tränt der Net, dieser Erde geweint, ruhleser Ruhe Lust, Weltall silbern durehpfeilt, glittlieh, der tleh bewegt, sterblich feder, der weilt.

Fuf! dem Staube entrückt In der Sterne Geleit, uvtbcgreuzt Flug und Schritt, wunderlos benedtit. Doch am Rande der Zelt- sieht, Gelt Ist erwacht. Und der Vermessenen Traum stürzt ins Nackte der Nacht.

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