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Lateinische Landschaft

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Grün und dunkel wölbt sich das dichte Laubdach der Steineichen über die graue Autostraße, die durch die Villa Borghese zur Piazza del Popolo führt. Die Kamelien-sträucher haben dicke Blütenknospen und an der Straßenecke werden weiße, duftende Tazetten verkauft. Grün und vornehm wie immer, steht der Pincio über den Häuserzeilen, die unsere Straße flankieren, und dann sind wir am Tiber. Die alte Brücke ist ein paar Augenblicke lang unpassierbar, weil eine Schafherde herüber muß, aber schon winkt der elegante Polizist mit der weißbehandschuhten Rechten und wir übersetzen den Fluß, der ruhig und lehmgelb dem Meer zufließt. Man würde seine Nähe nicht vermuten, wenn man nur den Fluß sähe und sein schmales, glattes Gerinne. Die warme Feuchtigkeit aber, die der Wind immer wieder über die Stadt trägt, läßt sie uns ahnen. Denn wir sind im Dezember und um diese Zeit friert man oben im Po-Tal schon und versinkt Mailand in dichte, kalte Nebel. Hier aber sind die Tage frühlingsgleich und sonnenhell. Hoch und schimmernd steht der Himmel über den fernen Hügeln. Im Westen säumen ihn noch violette Morgenschleier, indes hinter uns schon klargelbes Sonnenlicht über die gelben Häuserblocks fließt, mit denen die Stadt in das grüne Land übergeht.

Hoch und dicht steht die Herbstsaat auf den Feldern, die vom Schnee nichts wissen und nur nachts den Anhauch des Frostes fühlen, wenn das leuchtende Goldflimmern ungezählter Sterne über dem hügeligen Land steht. Wie ein wandernder Turm-auf einem schwankenden Schiff kommt uns ein Bauernkarren entgegen: über den mächtigen Rädern thront der Lenker auf umdachtem, schräggestellten Sitz. Geruhsam trabt der grauschwarze Esel weiter. Das Wort Eile ist hier den Merschen so fremd, wie der Landschaft selbst, in der alles nach uralten Gesetzen zu wirken und zu weben scheint. Ein Mädchen geht auf der Straße, von einer Ortschaft zur anderen. Hochaufgerichtet geht sie, einen großen, bauchigen Krug auf dem Kopf, der der Stütze ihrer Hände nicht bedarf. Wie sie tragen hier alle Bäuerinnen ihre Lasten, mag es ein Bündel mit Kleidern sein, ein Krug mit öl, ein kleines Faß Hügelwein oder auch ein Haufen Reisigholz für das Küchenfeuer. Wie sie sind sie jetzt auch alle in das schwarze Tuch gehüllt, darunter die roten Röcke leuchten.

Tiefeingeschnitten sind die Täler Latiums, die Ortschaften liegen stets hoch am Hang der steilen Berge. Sie gleichen bizarren Felsgruppen, versteinerten Kulissen und unwirklichen Ruinen, grauverwittert und aus dem gleichen Fels gefügt, der sie trägt. Die Hügellage, allen frühen Völkern gemeinsam, weil sie Schutz gab und Verteidigungsmöglichkeit, ist nirgends so auffällig und eindrucksvoll wie hier, wo sie auf die alten etrurischen Siedlungen zurückgeht. Civitta Castellana, über enger Schlucht gebaut, ganz steil, treppengleich und mauerumgeben, unter sich den jähen Hang, der zum Tiber abstürzt, war schon berühmt und rege, ehe die Latiner noch von sich reden machten. Erst viel später wurden sie zum Machtfaktor in der gebirgigen Mitte dieser Halbinsel, die sie später zum Rückgrat ihres großen Reiches machten, dessen geistiger Schatten heute immer noch quer durch den Mittag Europas fällt. Seine Konzeption aber wird stets erneut beschworen — von den Nachfahren im alten Stammland und von den Bewunderern späterer Generationen. Und dies ist die Landschaft, aus der sie wurde: dunkel das immergrüne Gebüsch, grau das bröckelnde Gestein und hell der Himmel darüber, der seinen Segen lieh und sein Veto sprach, zu diesem, wie zu allen Völkern unserer Welt.

Wir kommen dem Gebirge näher und die Straße steigt in vielen, raschen Kurven die Hügel hinauf und wieder hinab. Streckenweise haben wir nun ein zweites, dunkles Band neben dem unserer Straße: plattengefügt, glatt und wagenbreit. Das ist die alte, die antike, die römische Via Flaminia! Bald ist sie links, bald rechts neben der neuen Straße und stets durch ein blaues Schild gekennzeidinet, unübersehbares Denkmal einer stolzen Epoche. Wie drüben, dem Süden zu, die Via Appia durch das alte Kernland des einstigen Imperiums führt, so durchquert sie in nördlicher Richtung das alte Latium, das Land der Latiner, das Fundament des Reiches, dessen Sprache lebendig und wirksam blieb über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg und dessen Hauptstadt, aus der wir heraui-gefahren sind, ihm den Namen gab und ihn zum Begriff werden ließ.

Langgestreckt und dunkel liegt nun der Monte Sorakte vor uns. Eine dünne, graue Wolke hängt an seinem kahlen Felsgipfel, als verhüllte sie den Sitz alter Götter, die sdion die „alten“ genannt wurden, als die Latiner erst in dieses Land einzogen. Der breite Hang, der sich aus weiter, ackergesäumter Mulde zu dem mysterienumwo-benen Berg aufschwingt, ist silbergrau vom Laub der Ölbäume und erdbraun von der Farbe ihrer alten und rorm'os gewordenen Stämme. Durch diese hellen Haine, in denen nur da und dort ein wenig Grün schimmert, ziehen die Schafherden. Mit tiefroter Flamme und glashellem Rauch zeigen sich die Feuer der Hirten an, die in dunklem Umhang dastehen und der Zeitlosigkeit solcher Landschaft keinen Abbruch tun. Kein anderer Baum kann Hügeln und Hängen so viel Würde verleihen, wie diese südlichen Bestände es tun, wo immer man sie auch antrifft. Im Bannkreis ihres silberhellen Laubes, das sie nie verlieren, scheint die Zeit stillzustehen und der Raum, den sie umstehen, empfinden wir irgendwie geweiht und über das Maß anderer Gründe geachtet.

Heiter und sonnendurdileuchtet ist der mittägliche Himmel jetzt über uns. Die dämmernde Düsternis der nördlichen Winter kommt hier niemals auf und selbst jetzt, im Dezember fehlt alles, was uns daran erinnert. Die Heiterkeit der Landschaft, ihr sbnnengeborene Klarheit und Durchsichtigkeit formt auch die Menschen, die hier leben. Eine verbindliche Fröhlichkeit durchwirkt ihren Alltag, ein Ja zum Leben, das sich aber den Komplikationen .des Schwermuts und der Konsequenz verschließt und dem Glauben so viel Raum läßt, wo andere nur nach Erkenntnis streben und gedanklicher Durchdringung. Doch ist auch hier Tiefe und Besinnung — doch immer dem Fröhlichen näher als dem bitteren Ernst. Wohl der Tragik verbunden und der großen Geste, aber nicht jener tragenden Dauerhaftigkeit und Standfeste, auf die der Nordländer so stolz ist und an der er doch so sehr leidet. Hier wirken Jahrtausende nach und ihre unbestrittene Größe, durch steinerne Zeugen belegt und durch klangvolle Namen, die dieser Landschaft verbunden sind. Wie immer wir auch denken und urteilen, über das Einst und über das Heute, stets reißen wir uns nur schmerzlich los von der Helligkeit dieses Raumes und von dem Zauber, der ihn durchdringt.

Im Abenddämmern sind wir der Stadt wieder nahe. Sie kündet sich nicht lange an — man ist rasch aus dem Grün der Felder, die sie umgeben, im Grün der Gärten, die sie durchwirken. Und dann sehen wir das Abendrot in ein zartes Violett vergehen, weit hinter den kleinen, grauen Wolken, die über den Kuppeln schweben. Sankt Peter ragt hoch auf gegen den Himmel, der noch mit letztem Licht erhellt ist und viele Glocken klingen durch die Straßen. Nur linde Hügel sind um uns' und dunkle Piniengruppen. Die Gebirge sind weit weg mit ihrer Kälte und ihren rauhen Winden. In den Gärten blühen Veilchen und Narzissen, der Blumenstand am Fuße der Spanischen Treppe ist bunt, wie sonst zu irgendeiner Zeit im Jahre. Nur der Kalender spricht vom Winter und von Weihnacht, die nahe ist. Schon rüsten die Kirchen zum großen Fest und in wenigen Tagen werden die Lichter vor den Heiligen Krippen brennen. Hier in der ewigen Stadt und überall in der Welt.

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