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TAUBEN IM LICHT

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In klaren Umrissen steht das Britische Museum im Sonnenlicht vor dem tiefen Blau des nördlichen Himmels. Dieses Blau wirkt so dicht, so fest, als wölbe sich eine azurene Riesenschale hinter den Giebeln. Die dunklen Kanten des Mauerwerks heben sich deutlich davon ab, die Oberfläche des Steins ist von der Zeit und von der Witterung geschwärzt, alle Härte und Schwere aber scheint geschwunden.

Jene kleinen, gerundeten Körper auf den Gesimsen sind Tauben, die In der Sonne rasten, so unbeweglich und von so unbestimmter Färbung, daß man sie für Teile des Zierats halten könnte. Ein doppelter goldener Ring — ein Kreis in den anderen gefügt — erglänzt auf dem Sockel einer allegorischen Statue. Unter den hohen Säulen, diesen Stämmen

aus Stein, nisten die tiefen Schatten. Einige Tauben flattern herunter und suchen auf dem sonnenbeschienenen Kies am Fuß der Treppe nach Futter. Für sie ist dieses Gebäude nichts anderes als ein Felsen, in den die formende Zeit bergende Höhlungen grub. Licht und Weite, der leuchtende Kies, der grüne Rasen dazwischen und die äußeren Einfriedungen, dies ist ihr Reich, in dem sich ihr Wesen entfaltet.

In den Galerien des Museums stehen Götterbilder, auf deren gemeißelte Gesichtszüge vor Jahrtausenden die heiße Sonne des Ostens schien. Menschliche Schöpferkraft und menschliche Kunstfertigkeit gaben ihnen Gestalt, Menschensinn im Widerstreit zwischen Erkenntnis, Zweifel und Irrungen fügte ihnen den Sockel des Götzendienstes. Die Tauben umflatterten in jenen Tagen die Kultstätten, sie flogen um die Tempel Griechenlands und ließen sich auf die Säulenhallen nieder, in denen die Philosophie geboren wurde. Wir mühen uns, sinnen nach und formen unsere Idole aus vergänglichem Stoff. Die Zeit jedoch weht den Sand der Jahrhunderte über unsere Taten, unbeweglich bleiben wir in der Niederung unserer Geschäftigkeit, eingerammte nutzlose Pfähle eines Stegs, den die Fluten der Geschichte hinwegschwemmten. Die Tauben aber, erhoben über die Plagen des Leibes und die Bedrängnis des Geistes, besitzen auf ewige Zeiten das Sonnenlicht.

Als ich mich vom Vorraum zur Halle wende und das hochgewölbte Haus der Bücher betrete, verdichten sich die Schatten. Das Licht unter der Kuppel ist matt und leblos, von seltsamer Starre, wie milchiges Glas. Gestaut von der Kuppel und den Bücherwänden, verlieren die Strahlen ihre Kraft und verebben in der Bewegungslosigkeit, gleich dem Bachwasser, das in einen Weiher fließt. Wenn jemand meint, er werde den wahren Gedanken in hochgestapelten Büchern finden, wird er sicherlich enttäuscht werden. Die tiefsten Erkenntnisse wohnen am Strom, an den Gestaden des Meeres, auf den Hügeln, im Waldland, dort, wo die Wildtaube ihren Aufenthalt hat. Wände und Dächer schließen das Spiel der Gedanken aus, wie sie das Spiel des Lichtes ausschließen. Selbst der Blitz vermag den Panzer aus Mauerwerk und Metall nicht zu durchdringen. Jähes Verdämmern läßt da Nahen einer Wolke ahnen, die Kuppel lastet als

trübe Schale zu Höupten. Aber der lodernde Strahl des Gewitters wird zum fahlen Widerschein abgeschwächt, und der Donner klingt nicht lauter als das Rollen eines Zugwagelchens, das, mit schweren Folianten beladen, durch die Korridore fährt. Wenn man den Himmel ausschließt, ist damit alles verbannt, was der Himmel verkünden kann, mit seinem Licht oder mit der Gewalt seines Sturmes.

Immer wieder zieht es mich In die Bibliothek und ebensooft scheide ich enttäuscht. Fast will es mir scheinen, als ob alle Bücher, die je geschrieben wurden — die wahrhaften Bücher — um die Summe von zehn Pfund zu erstehen wären. Den ganzen Gedankenreichtum der Menschheit könnte man um diesen geringen Preis kaufen. Denn alles übrige ist nur Wiederholung und Abwandlung. Die Weizenkörner wurden geerntet und gespeichert, vor zweitausend Jahren schon. Unablässiges Bemühen auf der Tenne der Welt hat die Garben getürmt, gewendet und verstreut, doch es blieb nichts als ein Wust leerer, trockener Halme. Was wollen wir im dürren Stroh noch finden? Unser Dreschflegel schlägt nur die polternden Bohlen, unser Wühlen nach dem segensreichen Korn ist vergebens. Kehren wir zurück, zu den Gewässern und den Hügeln, laßt uns des Nachts nachsinnen, Im Anblick der Gestirne.

Es ist schön, wieder ins Freie zu gehen, In die Vorhalle unter den mächtigen Säulen. Die Sonne scheint, und südwärts, über den Dächern, steht eine Statue, sie bekrönt den Giebel eines Bauwerks. Die Figur schwebt inmitten des Lichtes, weiß und leuchtend, wie unter dem Himmel Italiens. Und es ist schön und wohltuend, den grünen Rasen zu schauen, obgleich ihn trockener Ordnungssinn erbarmungslos kurz geschnitten hat. Wenn sie das Gras nur frei emporwachsen ließen! Dann wäre vielleicht irgendwo Im Gehalm ein Gedanke eingewoben, gleich einem Tautropfen, der in den Tiefen, nah am Boden, verborgen ist. Hier, unter den hohen Säulen oder am Rand des Grases sollte man Sitze anbringen, damit sich die müden Leser nach der Beschwernis der Buchweisheit des Sonnenscheins erfreuen und die Tauben beobachten könnten.

Sie fürchten sich nicht vor den Menschen, kommen bis zu meinen Füßen, doch der Lärm einer Tür, die im großen Gebäude schwer ins Schloß fällt, schreckt sie auf: sie erheben sich, ziehen eine Runde und kehren wieder zurück. Das Sonnenlicht wirft einen Schatten von Kopf und Hals der Taube auf ihre Schultern. Sie wendet den Kopf, und schon dunkelt der Schatten ihres Schnabels auf dem Brustgefleder. Metallischer Schimmer von Bronze, Grün und Blau spielt um den Hals der Taube. Auf ihren rosa Füßen trippeln die Tiere so nahe, daß man die rote Ränderung um ihre Augen wahrnimmt. Als eine der Tauben sich erhebt und in steiler, gerader Bahn in die Höhe flattert, schlagen ihre Flügelspitzen fast über ihrem Rücken zusammen und berühren sich in der Gegenbewegung unter ihrem glatten Körper. Allmählich geht der Flug in ein sanftes Gleiten und Sichsenken über, die Flügel schwingen in ruhigerem Tempo aus ...

Seit den Tagen des alten Hellas leben die Tauben in der königlichen Freiheit des Sonnenscheins. Wir, die Ringenden und Geschäftigen, die wir uns klug, ja weise wähnten, halten trockene Halme in den Händen. Nichts blieb uns als Worte, Worte, die der Wind wie Staub verweht. Nur im Sonnenlicht, im leuchtenden Dämmer der Wälder, bei den klaren Wassern, wo die Wildtaube den Kopf zum Trunk neigt, können wir den Schatz der Gedanken heben.

(Aua dem Englischen Ubenetst Ton Gunther Martin.)

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