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Dem Himmel antworten

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Der Himmel ist eine große Frage, die unsere Antwort erwartet.

Der Himmel gibt uns während des Tages ein Beispiel: die gegen den Horizont geneigte Milde des blauen Domes, die Herrschaft der Sonne, den Aufruhr der Wolken, die tönende Polizei des Windes. Es ist ein ganzes Drama, das wenige sehen; beschäftigt, wie sie alle im Lichte der großen Fackel mit den Operationen des allgemeinen Tausdigeschäftes sind. Die tägliche Diktatur des wohltätigen Feuers wird ab und zu m den Augen von uns Talbewohnern von den Verschwörungen jener Wolkenfetzen bedroht, die von den Dichtern des Utilitarismus Kühe oder Brüste des Himmels genannt werden. Denn die zu große Hitze wird schließlich lästig, und die Menschen ersehnen die lauen. Nahrung verheißenden Tropfen und kommen den Kröten gleich hervorgekrochen, um sich ihrer zu erfreuen. Der Wind dieser unsichtbare Patron, jagt ■ oder ruft sie, säuselnd wie ein himmlisdier Hirte oder brüllend wie ein mit den Hörnern stoßender Zentaur. Bisweilen ist es die Sonne selbst, die unbesiegte Herrscherin aller Oriente, die sie aussaugt und sie abwirft und so den heilsamen Glanz des Dunkelblau wiederherstellt, der die klaren Gedanken und jede Liebe begünstigt.

Aber der Hümmel ist immer schän, auch wenn er einmal von eiserner D'chtigkeit zu sein scheint, auch wenn er der Sdiau-platz des Krieges zwisdien Sirokko und Maestrale, und vor allem, wenn er von den Peitschenhieben des Feuers verwundet ist und sich mit den widerhallenden und wie ein peremptorisches Kommando schallenden Explosionen austobt, die die Vogelnester und die Herzen der Mensdien erzittern machen.

Von allen Meistern, die Gott für unsere tausendjährige Kindheit ausgewählt hat, ist der Sturm einer der beredtesten. Wer es nicht versucht hat, ihn anzuhören, die Brust seinen Schlägen auszusetzen und sich in dieser seiner Schwäche zwischen den empörten Elementen stärker fühlte, der wird niemals die erste Silbe der himmlischen Pädagogik erlernen: er wird immer mir Schüler von Meistern sein, die nichts wissen, oder Jünger jenes, der selbst nicht Alumne zu sein verstand.

Jedoch sein wahres Antlitz zeigt der Himmel des Nachts. Die Sonne, das zu vertraute und dienstfertige Gestirn, ist von uns gegangen, um die andere Hemisphäre zu erwärmen. Ihre Nähe hatte uns das Firmament fast klein erscheinen lassen: eine niedrige Kuppel für eine einzige Leuchte. Bei Nacht hingegen sind wir, wenn der Wind seine Pflicht erfüllt hat, mit dem Unendlichen auf dem Du-Fuße Der Mond, ein zweifadi parasitisdier Satellit, kalt, unfruchtbar und gefleckt wie die Phantasie der ihn besingenden Dichter, ist ein Hindernis, ein Eindringling. Er scheint ein Gewissensbiß der Erde zu sein, die verdammt ist, sich ihm gegenüberzusehen, tot, wie eine ausgestoßene Schuld. Bald Sichel, bald Scheibe, pünktlicher Oberaufseher der Ausspülung der Gezeiten und des Getröpfeis der Säfte der Menschen und der Wälder.

Aber der reine, unermeßliche nächtliche Himmel, mit seinem Gewimmel von Sternen, die flimmern, fallen wandeln, fluten, die siderale Polypenstöcke, geballte Inseln, die Sonnennester sind, und jenseits die Staubwolken .von Licht, die die Pupille ärger quälen; der Sternenhimmel ist die heilige Schrift, die wir bis jetzt nicht zu enträtseln wußten.

Galileo sprach von einem Buch der Natur, das seine Zeitgenossen nicht verstanden: „Ich glaube wahrhaftig, das Buch der Philosophie ist jenes, das wir beständig aufgeschlagen vor unseren Augen haben; da es aber in Lettern geschrieben ist, die von unserem Alphabet verschieden sind, kann es nicht von allen gelesen werden; die Buchstaben eines solchen Werkes sind Dreiecke, Quadrate, Kugeln, Kegel. Pyramiden und andere mathematische Figuren, sehr geeignet für solche Lektüre,“ Die Rede des Himmels kann aber durch die Mathematik allein nicht verstanden werden, und um so weniger kann diese uns helfen, sie zu beantworten.

Vor diesem unermeßlichen Felde, in das Gott mit vollen Händen seinen Samen des Lichtes und des Feuers ausgestreut hat, steht der Mensch von Staunen und Schrecken besiegt. „Das unendliche Schweigen dieser Räume“, ängstigt den,( der den Glauben verloren hat oder der befürchtet, ihn zu verlieren, das heißt die Waise. Aber die Kinder Gottes fürchten sich nicht, denn sie wissen, sie sind nicht allein. Und sie betrachten in diesem stillen Ozean von flammenden Inseln einen Entwurf der „d o m u s a u r e a“, wohin uns Gäste rufen, deren Namen wir nicht aussprechen können. David hat auf den Schrecken Pascal, sechundzwanzig Jahrhunderte vor ihm, geantwortet: „Die Himmel erzählen Gottes Glorie... Def Tag ruft dem Tage diese Nachricht zu, und die Nacht gibt der Nacht davon Kenntnis.“

Aber der königliche Prophet und Dichter hat nicht alles sagen können. In welchen Worten ist die Erzählung, das heißt das Gedicht dieser Glorie ausgedrückt? Der Himmel kann unmöglich stumm sein. Vielleicht sind die Sterne Lettern — ar Farbe und Größe verschieden — eines Alphabets, da wir niemals kennen werden? Vielleicht sind die Konstellationen Zeilen oder Sätze einer wunderbaren Inschrift, die zu entziffern uns nicht gelungen ist? Vielleicht stellt uns die nächtliche Fassade immer wieder vor ein Rätsel, das wir seit Jahrtausenden nicht lösen konnten? Vielleicht stellt uns der Himmel Fragen, die je nach der Umdrehung des Tierkreies verschieden sind, aber immer wiederkehren und ewig auf unsere Antworten warten?

Vielleicht wt es diese unwiderrufliche Befragung, was so tief die Betrachter des nächtlichen Festes bewegt. Wir fühlen, daß irgend jemand von uns irgend etwas erwartet — wenigstens ein Stammeln, ein Zeichen des Verstehens, eine bestimmte Beipflichtung. Aber wir antworten mit dem Schweigen der Verwirrung auf die übernatürliche Aufforderung. Wer wird der erste Leser der himmlischen Hieroglyphen sein? Wann wird die feurige' Zunge auf uns herabsteigen, die uns befähigt, auch die Feuersprache der Gestirne zu verstehe?

Die Vokabeln des Himmels haben wir gezählt, gewogen, analysiert, photographiert, und wir bilden ans ein, wir hätten Wunderdinge vollbracht. Aber die Inschrift einer unbekannten Sprache kopieren, üe Linien messen, die Symbole beleuchten und sagen, in welche Gesteins art sie eingegraben sind, heißt noch nicht, sie übersetzt haben. Die Astronomen bereiten die Alphabete des Himmels vor, aber wann wird der erste Knabe geboren, der es gebrauchen kann?

Wir haben eine geschriebene Offenbarung, die wir schlecht verstehen, und die wir selten zu beantworten wissen. Die Offenbarung der Sterne kann nicht im Gegensatz zu jener stehen — der Autor

ist derselbe — aber vielleicht ist sie klarer und echter, da sie nicht durch die Un-durchsichtigkeit der Schreiber zu uns gelangt ist.

Die Astrologen hatten eine Ahnung von der Bedeutung der Gestirne, wenn sie daraus die Geschichte der Menschen ableiten wollten. Aber die Unternehmung war an sich unsinnig und von einem tierischen Hochmut eingegeben. Gott hat der Sonne nicht ihre Satelliten für die Eitelkeit der Lieferanten der Horoskope und dazu angewiesen, daß sie die Lose von uns Erdenwürmern schreiben. Der Himmel gibt keine Weissagungen aus, sondern Aufforderungen. Und wir betrachten ihn mit Wonne und Sehnsucht — aber hartnäckig stumm.

■ Die Poeten haben darin die Schönheit der Unendlichkeit gelesen, die Astronomen haben ihm die Gesetze der himmlischen Mechanik und Vorbilder des abstrakten Denkens entnommen; die Beter- haben darin den 'Puls und die Erwartung Gottes gefühlt. Aber die Bilder, die Theorien, die Extasen sind noch keine Antworten. Pythagoras behauptet, aus den Sphären klänge Musik herab — aber die Harmonie könne noch nicht das Anzeichen und die Begleitung von unerreichten Worten sein?

Wir wissen, daß vom Himmel deutliche Worte herunterklangen: auf den Stall zu Bethlehem, auf die Wasser des Jordans, auf das Licht des Hermon; wir wissen, daß der Prophet in einem Feuerwagen und der Auferstandene durch die Wolken zum Himmel auffuhr, und wir wissen, daß vom Himmel die Trompeten der Engel herabklingen werden, und daß auf den schallende^ Ruf die ganze Rinde der Erde, ein endloser Friedhof, sich auftun wird, um den zu Gericht wandelnden Menschen freie Bahn zu geben. Wir wissen, daß der Himmel gesprochen hat und sprechen wird: warum versuchen wir nicht, auf die schweigende Frage der Nacht zu antworten?

Als Sankt Johannes uns verkündigte, daß am Ende „der Himmel sich wie ein Pergament zurückziehen werde, wenn es zusammengerollt wird“ — wollte er uns nicht zu verstehen geben, daß nun ein Pergament ausgebreitet und offen ist, ein mit glänzenden Schriften bedecktes Pergament? \

Alle Völker wissen, daß das Firmament die Wohnung Gottes ist, und daß die Helden tmd die Seligen dort oben Einlaß fan-

den. Keiner aber bedenkt, daß dieser unantastbare bebilderte Vorhang, der uns vom Empyreum scheidet, einen Sinn haben und eine Antwort heischen könne. Niemand horcht auf die schweigende aber feierlich Befragung des Unendlichen. Niemand kümmert sich um die Entzifferung dieser himmlischen. Kryptographie.

Was wird jemals mit diesen weiß leuchtenden Silben auf der aufgeschlagenen schwarzen Seite des nächtlichen Himmelsgewölbes geschrieben werden? Vielleicht andere göttliche Wahrheiten, die wir bis heute nicht verstehen konnten? Oder eine Fortsetzung der Bergpredigt, eine Predigt des Himmels, die jenen früheren neue, nie vernommene Seligkeiten hinzufügte? Oder wird dort die heitere Verkündigung des Schicksals aufgezeichnet sein, das sich für die Erde und ihre Bewohner vorbereitet? Aber das „Hohe Gebet“ des Firmaments hat bis zur Stunde keine andere Antwort erhalten, als unser unruhiges und vielleicht sträfliches 9chweigen.

Einzig autorisierte Übertragung von Josef Ziwntschka. (Aus dem in der Amandw-Edition erscheinenden Buche: Giovanni Papiiri, „Himmel und Erde“.)

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